Bild von einer Straße, die auf eine Kirche mit zwei Tümen zuläuft. In der Mitte ein langes Band aus Betonbecken mit Wasser.

Wegen eines unentdeckten Defekts in einer Brunneninstallation versickerten 20 Millionen Liter Trinkwasser im Boden. Das Wasserband in der Marburger Ketzerbach sorgt inzwischen deutschlandweit für Lacher. Und es entwickelt sich zum Streitpunkt in der Stadtpolitik.

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20 Millionen Liter Wasser in Marburg versickert

hs
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Jeden Tag guckt er drauf: Das lange Band aus Betonbecken, das zwischen den Fahrbahnen der Straße Ketzerbach in der Marburger Innenstadt direkt auf die Elisabethkirche zuführt. Eigentlich eine nette Idee, wenn da im Sommer das Wasser die Stufen runterplätschert, meint Hartmut Möller, der in der Ketzerbach wohnt.

Wäre da nicht folgendes Detail: Wie in den vergangenen Monaten bekannt wurde, sorgte dieses Wasserband für eine enorme Trinkwasserverschwendung: 20 Millionen Liter Wasser, einfach versickert im Boden.

Bei der Kontrolle des Wasserzählers vor der Winterpause 2019 stellte die Stadt einen enorm erhöhten Wasserverbrauch fest. Durch einen technischen Defekt war offenbar im Laufe des Jahres Trinkwasser für rund 35.000 Euro unter der großen Brunneninstallation versickert.

Großer Wasserverlust durch Verdunstung

Inzwischen ist das Wasserband zwar wieder repariert - nach Angaben der Stadt für weitere rund 22.000 Euro. Im Zuge dessen wurde jedoch auch bekannt: Das Wasserband verliert sogar im Normalzustand große Mengen an Wasser, und zwar wegen seiner großen Oberfläche. Jährlich verdunsten in der Ketzerbach laut Stadt rund 500.000 Liter Trinkwasser. Hinzu kommt: Das Wasserband hat eine Pumpe, die wiederum mit Strom betrieben wird.

Die Installation aus Beton und Stahl stammt aus einer Umgestaltung der Ketzerbach im Jahr 2007, zu der es auch ein Bürgerbeteiligungsverfahren gab. Früher standen zwischen den Fahrbahnen Platanen, die in diesem Zuge gefällt wurden. Das Wasserband mit seinen abfallenden Treppen soll an den früheren Bachlauf aus Marbach erinnern, der heute im Untergrund verläuft.

Nachdem zuerst die Oberhessische Presse und dann das hr-fernsehen über das "Marburger Watergate" berichtetet hatten, griff kürzlich auch die NDR-Satire-Sendung "extra 3" das Kuriosum auf und machte den Brunnen deutschlandweit als Marburger Peinlichkeit bekannt.

Kommunalpolitiker fordern Stilllegung

In Marburg entwickelt sich das Wasserband nun zum Politikum: Stimmen werden laut, die Installation stillzulegen oder umzugestalten. Dazu forderten Kommunalpolitiker von CDU und FDP die Koalition aus Grünen, SPD und Klimaliste auf.

Die Klimaliste sprach sich bereits für eine "kritische Prüfung" aus. Vor dem Hintergrund der Ressourcenschonung von Energie und Wasser solle die Stadt Marburg Alternativen erwägen, heißt es in einer Stellungnahme, die auch eine Wiederbegrünung der Ketzerbach ins Spiel bringt. Die Grünen teilten mit: Man wolle alle Aspekte erörtert und sich darüber beraten. Von der SPD gibt es bisher keine Stellungnahme, aber der Fraktionsvorsitzende sagte: Man sei offen für eine Diskussion.

Stadt: Verdunstung ist bewusst geplant

Das Problem: Ein Abriss wäre sehr teuer. Wie Stadträtin Kirsten Dinnebier (SPD) dem hr erklärte, müsste die Stadt in diesem Fall wohl zudem möglicherweise Fördergelder, die man damals für die Umgestaltung der Ketzerbach bekommen habe, wieder zurückzahlen.

Zudem erwiderte die Stadt auf die Kritik der Wasserverschwendung: Man habe das Wasserband bewusst als Teil der "blauen Infrastruktur" geschaffen, die wegen des Klimawandels in verdichteten Innenstadtbereichen notwendig sei. "Die reguläre Verdunstung des Wassers ist gewollt, weil sie positiv zum Mikroklima und zur menschlichen Gesundheit gerade in Hitzesommern beiträgt", hieß es.

Man habe eine Begrünung des Wasserbands geprüft, aber davon abgesehen, weil der Kühlungseffekt deutlich geringer wäre. Zudem gebe es durchaus Stimmen in der Stadt, die sich einen Erhalt wünschen. Immerhin: Die Stadt kündigte an, den Wasserzähler in Zukunft monatlich zu überprüfen.

BUND: "Einfach Unsinn so was"

Marburger Umweltschützer fanden dazu klare klare Worte: "Einfach Unsinn so was", sagte Henner Gonnermann vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Marburg dem hr. "So was kann man heute einfach nicht mehr machen." Der BUND will in Kürze eine Stellungnahme zum Wasserband ins Stadtparlament geben.

Die Umweltschützer wollen vorschlagen, die Installation in der Ketzerbach zwar stehen zu lassen, aber nicht mehr mit Wasser zu betreiben. Stattdessen solle man die Becken ähnlich wie bei einer Dachbegrünung bepflanzen.

"Diese Art Grünanlage braucht keine zusätzliche Bewässerung, ist schöner als diese Betonwüste und gut für Insekten", sagte Gonnermann. In der Rückschau sei es sehr bedauerlich, dass das Wasserband überhaupt gebaut worden sei, damals sogar unter Mitwirkung der Grünen.

Umweltschützer fordern achtsameren Umgang mit Trinkwasser

Gonnermann erklärte: Der BUND kritisiere schon länger den aus Sicht der Umweltschützer oft gedankenlosen und falschen Umgang mit Trinkwasser - auch in der Stadt Marburg, die sich häufig zum Klimaschutz bekennt und sogar 2018 eine der ersten deutschen Städte zur "Blue Community" wurde. Dadurch will sich die Stadt für einen besonders achtsamen Umgang mit Wasser einsetzen.

Die Debatte übers Wasser werde auch in Marburg bisher viel zu wenig geführt, sagte Gonnermann. "Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Trinkwasser zu verschwenden, und das wird leider auch hier gemacht, etwa wenn damit Grünanlagen bewässert werden."

Auch der örtliche Naturschutzbund (NABU), dem Anwohner Hartmut Möller angehört, kritisierte den Trinkwasser- und Stromverbrauch der Anlage. Möller schlug vor, die Installation mit Photovoltaik-Strom und Brauchwasser zu betreiben. "Und ich weiß ja nicht, ob das technisch möglich ist - aber wieso nimmt man nicht das Wasser aus der Ketzerbach, die nicht weit weg unter der Erde fließt?" Schließlich solle das Wasserband ja an diesen echten Bach erinnern.

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