Afrikanische Studierende aus der Ukraine "Sind wir nicht alle auf der Flucht vor dem gleichen Krieg?"

Nach teils traumatischer Flucht aus dem Ukraine-Krieg sind afrikanische Studierende in einer Frankfurter Kirchengemeinde untergekommen. Viele von ihnen haben keinen Pass mehr und ihre Zukunft ist ungewiss.
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Rettung afrikanischer Flüchtlinge aus der Ukraine

Calep Gabila ist 26 Jahre alt und hat schon zwei Kriege überlebt. "Jetzt lächele ich zwar, aber ich bin ehrlich gesagt noch immer besorgt", sagt Gabila in einer kleinen, schlichten Wohnung der evangelischen französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt.
Hier ist er vorerst in Sicherheit - vor dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland Kamerun, vor dem Krieg in der Ukraine, wo er studieren wollte und vor der Gewalt, die er auf seiner Flucht erlebt hat.
Überfall an der ukrainischen Grenze
Spuren dieser Flucht sind noch an Gabilas rechter Hand zu sehen. Unterhalb des Daumens klafft eine tiefe Schnittwunde. Krempelt er seinen Kragen etwas hinunter, ist auch am Hals eine ähnliche Wunde zu erkennen. Kurz vor der Grenze zu Polen sei er überfallen worden, erzählt der 26-Jährige. Seine Taschen, sein Handy, sein Pass - alles sei ihm gestohlen worden.
Zu diesem Zeitpunkt habe er bereits einiges hinter sich gelassen: Das Studentenwohnheim in Bila Tserkva, das Gedränge durch Menschenmengen am Bahnhof in Kiew, ein überfüllter Zug, dann ein Tagesmarsch zu Fuß von Lwiw bis zur polnischen Grenze. "Als wir dort waren, hat es ewig gedauert, bis wir durchgekommen sind", erinnert sich der junge Mann.
"Sind wir nicht alle auf der Flucht vor dem gleichen Krieg?"
Auf der ukrainischen Seite habe es mehrere Stellen gegeben, die die Menschen passieren sollten, um einen Ausreise-Stempel in ihren Pass zu bekommen. "Sobald ukrainische Bürger gekommen sind, mussten wir Platz für sie machen", erzählt Gabila. "Da habe ich mich manchmal gefragt: Sind wir nicht alle auf der Flucht vor dem gleichen Krieg?"
Rund 100.000 Geflüchtete aus Drittstaaten
Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, dem UNHCR, sind seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine bereits über zwei Millionen Menschen (Stand 8. März) aus dem Land geflohen. Nach UNHCR-Angaben sind darunter etwa 100.000 Menschen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit. Beispielsweise handelt es sich um Studierende aus Indien oder afrikanischen Ländern.
Ende der weiteren Informationen
Ähnliche Schilderungen wie jene von Calep Gabila hat Tim van de Griend nun schon mehrmals gehört. Auch andere Medien berichteten über Rassismus-Vorfälle an der Grenze. Der Frankfurter Pfarrer hat den jungen Mann und zehn weitere Geflüchtete aus der Ukraine, die ursprünglich aus dem Kongo oder Kamerun kommen, vor vier Tagen in zwei 50-Quadratmeter-Wohnungen der Kirchengemeinde sowie bei seiner eigenen Familie aufgenommen.
Viele der jungen Menschen hätten ihm Ähnliches berichtet: "An der Grenze hoffen alle, möglichst schnell durchzukommen", sagt van de Griend. "Da gilt offenbar das Recht des Stärkeren." Auch die Gewalterfahrung, von der Calep Gabila berichtet, teilen einige der anderen Geflüchteten laut Pfarrer van de Griend. "Sie fliehen aus dem Krieg, aber müssen an der Grenze wieder Angst um ihr Leben haben, weil es dort Gruppen gibt, die sie ausrauben wollen."
"Die Reise war lang und auf gar keinen Fall einfach"
Diese Erfahrungen blieben der 20-jährigen Tina Dunia erspart. Sie wurde ebenfalls in der Frankfurter Kirchengemeinde aufgenommen und stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Dunia studierte in der ukrainischen Stadt Odessa und flüchtete über Rumänien. "Die Reise war lang und auf gar keinen Fall einfach", sagt sie. Nachts träume sie noch von den vielen Frauen und Kindern, die es noch nicht aus den Kriegsgebieten geschafft haben.
"Ich habe auf der Flucht aber keine Probleme mit Dokumenten gehabt oder - wie einige andere - Rassismus erlebt", erzählt sie. "Überall, wo wir waren, wurden wir sehr freundlich aufgenommen - sowohl in Rumänien, als auch in Deutschland."

Pfarrer fuhr mit dem Auto nach Warschau
Der 41 Jahre alte Pfarrer ist mit zwei weiteren Gemeindemitgliedern am vergangenen Wochenende selber nach Warschau gefahren, um die Geflüchteten dort abzuholen. "Ich dachte mir, es ist dermaßen dramatisch, da können wir wenigstens versuchen, etwas zu machen." Über Gemeindemitglieder aus dem Kongo in Frankfurt sei der Kontakt zum kongolesischen Botschafter in Polen entstanden. Er habe die Geflüchteten an den Pfarrer vermittelt.
Unter ihnen war neben mehreren Kongolesen auch der Kameruner Calep Gabila. In Warschau habe Pfarrer van de Griend ihn gefragt, ob er mitkommen wolle. "Ich sagte, ich habe niemanden, ich komme mit", erinnert sich Gabila. Schließlich könne er nicht nach Kamerun zurück, weil dort noch Bürgerkrieg herrsche.
Aufenthaltsrecht für Kriegsflüchtlinge aus Drittstaaten
- Ukrainischen Staatsangehörigen soll über die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie der EU in europäischen Ländern Schutz gewährt werden. Sie haben somit in Deutschland die Ansprüche auf staatliche Unterstützung, die auch Asylbewerber bekommen - müssen dafür aber kein Asylverfahren durchlaufen.
- Laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) soll die Regelung in Deutschland nicht vom Pass abhängig sein und somit auch für Geflüchtete aus Drittstaaten gelten, die in der Ukraine ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hatten.
- Das Hessische Innenministerium schreibt, dass es "insbesondere mit Blick auf bestimmte Gruppen von Drittstaatsangehörigen und deren Schutzstatus" noch Bedarf für Konkretisierungen der Regelungen gebe. Ziel sei, "dass die Aufenthaltserlaubnis Zugang zu selbständigen Tätigkeiten und abhängiger Beschäftigung umfasst."
Nun feiert die Gemeinde mit den mittlerweile 14 jungen Menschen gemeinsam Gottesdienste und versorgt sie über Spenden mit Lebensmitteln - zumindest für die ersten Tage. Auf Dauer brauche es größere Unterkünfte und Beschäftigung, doch wie genau es weitergehen wird, weiß auch Pfarrer van de Griend noch nicht sicher. Viele der Geflüchteten hätten wegen der Überfälle in der Grenzregion keine Pässe mehr.
Weiter studieren in Deutschland?
Tina Dunia erzählt, dass sie in Deutschland gerne weiter studieren möchte. "Ich hoffe für die jungen Menschen, dass es klappen wird", sagt van de Griend, "dass sie weitergehen können mit ihrem Leben." Sie seien alle mit dem Wunsch zu studieren in die Ukraine gegangen. "Daran hängt in Afrika immer auch eine Familie."
Auch Calep Gabilas Familie lebt in Kamerun. "Ich bete für meine Familie, dass sie den Krieg überleben", sagt er. Für sich selbst wünsche er sich "einfach ein gutes Leben" - auch wenn noch völlig unklar ist, wie das aussehen wird.
750 Hrywnja als Erinnerung
Trotz seiner traumatischen Erfahrungen auf der Flucht habe er in den vergangenen Tagen viel Glück gehabt. Dass er Tim van de Griend kennengelernt habe - und dass ihm nach seinem Überfall eine fremde Ukrainerin geholfen habe. Dank ihr habe er es über die Grenze geschafft und in Polen medizinische Versorgung bekommen.
Als Gabila davon erzählt, lächelt er wieder und holt zerknitterte Geldscheine aus seiner Hosentasche: 750 ukrainische Hrywnja, etwa 23 Euro, habe die Frau ihm gegeben. Als Erinnerung an die Person, die ihm das Leben gerettet habe, trage er die Scheine jetzt immer bei sich.