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Serpil Unvar und ihre Bildungsinitiative Ferhat Unvar

Graffito im Tunnel mit den Portraits der Opfer von Hanau - mit einem extremen Weitwinkel fotografiert.

Zwei Jahre sind seit dem rassistischen Anschlag von Hanau vergangen. Aus dem Schrecklichem ist auch Gutes entstanden: Die Mutter eines Opfer gründete eine inzwischen ausgezeichnete antirassistische Bildungsinitiative.

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Das Prinzip Hoffnung nach dem Horror von Hanau

hs
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Was sie erlebt hat, sollen andere nicht durchmachen müssen. Serpil Unvar wiederholt diesen Satz immer wieder. Sie hat beim rassistischen Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 ihren Sohn Ferhat verloren. Ein Ereignis, das ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Zuerst war da die Trauer, dann Wut. "Irgendwann habe ich mir gesagt: Ich muss was tun", erinnert sich die 47-Jährige.

Ihr Sohn Ferhat habe schon in der Schule rassistische Erfahrungen gemacht. Aus ihm könne nichts werden, habe man ihm gesagt. Er habe schlechte Zeugnisnoten bekommen, obwohl seine Leistungen nicht schlecht gewesen seien. Im Gegenteil, erzählt seine Mutter: Ferhat sei hochintelligent gewesen, habe einen Intelligenzquotienten von 141 gehabt. Er sei nicht gefördert, sondern einfach in eine Schublade gesteckt worden. "Für die war er eben ein Ausländer."

Am Geburtstag ihres getöteten Sohns gegründet

Die Schulzeit: ein einziger Kampf. "Ich will Ferhats Kampf weiterführen: zwischen Schule, Lehrerinnen und Lehrern, Kindern und Eltern Brücken bauen", sagt Serpil Unvar. Deshalb hat sie an Ferhats Geburtstag, am 14. November 2020, eine antirassistische Bildungsinitiative gegründet und sie nach ihrem Sohn benannt.

"Unser Hauptaugenmerk liegt auf antirassistischen Workshops an Schulen", erklärt Ali Yildirim, ein Mitgründer der Bildungsinitiative. Der 28-Jährige war mit Ferhat seit der Kindheit befreundet. Heute ist er der Projektkoordinator der Bildungsinitiative. "Wir versuchen, junge Menschen aufzuklären und klar zu machen, warum Rassismus uns alle anzugehen hat - fernab, ob wir diese Erfahrungen am eigenen Leib spüren", sagt Yildirim.

Serpil Unvar, Mutter eines der Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau

Neben Ali Yildirim und Serpil Unvar engagieren sich noch andere Familienmitglieder und Freunde von Ferhat. Fast alle sind jünger als 30. Sie haben sich von der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank zu sogenannten Demokratietrainern ausbilden lassen.

Gespräche über beleidigende Bilder und Begriffe

In ihren Workshops sprechen sie zum Beispiel über rassistische oder beleidigende Bilder und Begriffe in der Werbung oder in Musiktexten. Sie kämpfen dagegen an, weil sie die Folgen kennen. Was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verstehen sollten, formuliert Yildirim so: "Dass junge Menschen jetzt aktiv werden müssen und nicht erst, wenn die eigene Stadt betroffen ist, die eigenen Freunde oder Familienangehörige."

Die Bildungsinitiative hat eigene Räume am Freiheitsplatz angemietet, zentral gelegen in der Hanauer Innenstadt. Wochenlang haben die jungen Menschen nach der Arbeit, der Schule oder der Uni renoviert, geputzt und Möbel aufgebaut. Heute stehen hier gemütliche Couches, aber auch Schreibtische und Flipcharts. Hier treffen sie sich, bereiten ihre Workshops vor oder planen Veranstaltungen wie die Kundgebung auf dem Hanauer Marktplatz an diesem Samstag, zu der mehrere hundert Menschen erwartet werden.

Bei der Kundgebung werden auch Angehörige der Opfer sprechen. Auch Serpil Unvar tritt oft bei Podiumsdiskussionen auf. "Weil sie in einer Art und Weise empowern kann, die ich nicht kann", sagt Ali Yildirim: "Weil sie eine Mutter ist, die aus einer so schrecklichen Tat etwas so Positives gemacht hat."

Mit Aachener Friedenspreis ausgezeichnet

Dieses Engagement hat mittlerweile bundesweit Aufsehen erregt. Im vergangenen November zum Beispiel wurde die Bildungsinitiative Ferhat Unvar mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Serpil Unvar war außerdem kürzlich als Wahlfrau bei der Wahl des Bundespräsidenten geladen.

All das macht sie stolz, die Arbeit mit den jungen Menschen in der Bildungsinitiative gibt ihr Kraft, wie sie sagt. "Das ist Lebenskraft für mich! Ich fühle mich nicht alleine. Und ich denke: Ein Teil von Ferhat ist hier. Ferhat lebt", sagt sie mit einem breiten Strahlen im Gesicht, das für einen Moment vergessen lässt, was sie durchgemacht hat.

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