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Aylin Tas studiert Medizin - dank Landarztquote

Ein Schild weist den Weg zu einer Arztpraxis.

Landärztemangel ist seit Jahren ein Problem in Hessen. Schwarz-Grün zog ins Medizinstudium deshalb eine Landarztquote ein, die ersten Studierenden haben gerade begonnen. Aber wird das reichen?

Das neue Wohnzimmer von Aylin Tas ist wechselweise der Vorlesungssaal oder die Bibliothek der Universität Gießen. Die 22-Jährige aus Frankfurt hat dort vor wenigen Wochen mit ihrem Medizinstudium begonnen. Genauer gesagt: mit dem Landarztstudium. Aylin Tas hat einen der insgesamt 75 Studienplätze ergattert, die es seit diesem Wintersemester an hessischen Unis speziell für die Ausbildung zur Landärztin oder zum Landarzt gibt.

Das heißt auch: Sie hat sich verpflichtet, nach dem Studium zehn Jahre lang im ländlichen Raum zu arbeiten, als Kinder- oder Hausärztin in einem schlecht versorgten Gebiet. In Hessen besteht ein gravierender Mangel an Landärzten.

Fast 200 Ärzte gesucht

Derzeit seien 196 Vertragsarztsitze unbesetzt, informiert die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen. An Orten mit allgemein mangelnder Versorgung, wo es zum Beispiel keinen Bäcker oder Metzger mehr gebe, sei es auch schwer, einen Hausarzt zu finden. Die KV Hessen erwartet, dass sich die Lage in den kommenden Jahren noch deutlich verschlimmern werde.  

Aylin Tas, Landarztstudentin in Gießen

In welche ländliche Region es für Aylin Tas und die anderen Landarztstudenten gehen wird, entscheidet nach dem Abschluss des Studiums allein der Bedarf. Ein Mitspracherecht haben die Absolventen nicht, nur Wünsche können sie äußern, die nach Möglichkeit berücksichtigt werden, wie ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums dem hr sagte. Wer sich weigert, einen zugewiesenen Platz einzunehmen, müsse eine Vertragsstrafe in Höhe von 250.000 Euro zahlen. Es sei denn, es lägen "von der jeweiligen Person nicht zu vertretende besondere soziale, gesundheitliche oder familiäre Gründe vor".

Der NC zählt nicht, dafür Sozialkompetenz

Für Aylin Tas war diese Klausel keine Hürde. "Medizinstudium oder nichts", sei ihre Maxime nach dem Abitur gewesen, erzählt sie. Dabei hat sie eine sehr persönliche Motivation: "Ich hatte mit fünf Jahren Leukämie. Und ich möchte jetzt anderen helfen, wie mir damals geholfen wurde." Nur: Mit 2,2 war ihr Notenschnitt beim Abi für ein reguläres Medizinstudium nicht gut genug. Da kam die Sache mit dem Landarztstudium für sie genau zur rechten Zeit.

Hier konnten die Bewerberinnen und Bewerber wie Aylin Tas mit anderen Kompetenzen punkten, der Numerus Clausus (NC) zählte dagegen nicht. "Wir prüfen auch persönliche Eignung, Motivation und soziale und kommunikative Fähigkeiten", schildert Joachim Kreuder, der Leiter des Instituts für Primärärztliche Versorgung und Hausärztliche Medizin an der Uni Gießen.

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Landarztquote

Zu diesem Winteresemester haben die ersten Studierenden in Hessen über die Landarztquote ihr Medizinstudium begonnen. An drei Universitäten gibt es insgesamt 75 Plätze: 23 in Gießen, 27 in Marburg und 25 in Frankfurt. Nach Auskunft des Wissenschaftsministeriums gab es 144 Bewerbungen auf die Landarztplätze und die 15 Plätze für Ärzte im Öffentlichen Dienst.

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Kreuder hat für alle hessischen Universitäten das Auswahlverfahren für die neue Landarztquote erarbeitet. Getestet wird unter anderem mit Schauspielern, wie die Bewerberinnen und Bewerber eine schwierige Diagnose übermitteln oder wie sie mit widerspenstigen Patienten umgehen.

Alternatives Auswahlverfahren kommt gut an

"Wir haben geschaut, wie sie sich verhalten und es schaffen, auf die Menschen einzugehen", schildert Kreuder. Berücksichtigt wurden auch das Ergebnis des Medizinertests und einschlägige Vorerfahrung in Form von Praktika, einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder einer Berufsausbildung im medizinischen Bereich. Aylin Tas zum Beispiel hatte ein FSJ in einem Krankenhaus absolviert.

Zur Betonung der sozialen Kompetenz sagt Kreuder: "Das ist eine wichtige neue Perspektive." Es gebe seit längerem eine Debatte, ob der NC als Auswahlkriterium reiche. Doch Kreuder räumt ein: "Viele Jurorinnen und Juroren waren erst einmal skeptisch. Aber nachdem sie gesehen hatten, wie sich die Bewerberinnen und Bewerber schlagen, waren sie sehr angetan."   

Hobbys? Erst einmal studieren

Auch Aylin Tas hat hier punkten können. Ihre Motivation spürt man sofort, wenn man sich mit ihr unterhält. Selbst für das Interview zum Landarztstudium hat sie sich vorbereitet und einen Zettel mit Notizpunkten mitgebracht. Wenn man nach ihren Hobbys fragt, lacht sie nur und sagt: "Gerade gar keine, weil ich mich voll aufs Studium konzentrieren und erst einmal zurechtfinden will." Es sei eine Menge Stoff, kein Vergleich mit dem Abi, sagt sie: "Aber ich glaube, mit dem Willen und der richtigen Einstellung kann man das schaffen."

Apropos zurechtfinden: Da hat Aylin Tas, was die Uni angeht, wenige Vorbilder. Sie ist die erste aus ihrer Familie, die studiert. Ihr Großvater kam als sogenannter Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Umso mehr schätzt sie, dass es im hessischen Landarztstudium ein Mentoring-Programm gibt.

"Da habe ich das Gefühl, hinter mit steht ein ganzes Bundesland", erzählt Aylin Tas. Beim Mentoring gebe es früh Hilfe, wie sie sich im Studium zurechtfinden, zielgerichtet lernen könne. Auch der Praxisteil ist größer und setzt früher ein als bei regulären Medizinstudierenden. Es gibt außerdem Vernetzungstreffen. "Wir Landarztstudis haben direkt zusammengefunden und hängen jetzt miteinander ab", sagt Aylin Tas.   

Verbände sehen Quote kritischer

Während für die 22-jährige Studentin die neue Landarztquote viel Positives mit sich bringt, gibt es von anderer Stelle auch Kritik daran. Beispielsweise von der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und der Kassenärztlichen Vereinigung in Hessen. Beide Verbände weisend darauf hin, dass generell die Zahl der Medizinstudienplätze erhöht werden müsse. Die Landarztquote reserviert nur einen Teil der ohnehin bestehenden Studienplätze.

Vor allem die Attraktivität des Landarztberufs müsse verbessert werden, sagt Christian Schwark, der Vorsitzende des Marburger Bunds in Hessen: "Wir brauchen attraktivere Bezahlmodelle. Viele Leistungen von Hausärzten sind schlechter vergütet als in anderen Zweigen des Berufs." Schwark mahnt: "Wenn wir nur auf die neuen Landarztstudierenden setzen, haben wir erst in etwa zwölf Jahren neue Fachkräfte. So viel Zeit haben wir gar nicht bei dem Bedarf. "

Schwark sagt, ihm mache Sorgen, dass sich die Studierenden mit der Landarztquote so früh festlegen müssten. "Denn das Studium dauert sehr lange, und oft findet man erst im Laufe des Studiums heraus, was wirklich zu einem passt."

Aylin Tas jedenfalls ist happy. "Ich will anderen Mut machen, dass man seine Träume nicht aufgeben soll und es schaffen kann", sagt sie. Deshalb ist sie auch überzeugt, dass sie es schaffen wird, mindestens zehn Jahre im ländlichen Raum zu praktizieren. Als Ärztin anderen zu helfen, sei einfach ihr Traum.

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