Aufmacherkombo mit 3 Protagonisten; Karsten Daum, Conny Heutz-Döring, Martin Steinmetz

Die Zahl der Organspenden ist zurückgegangen. Dabei warten Tausende auf eine lebensrettende Spende. Drei Menschen aus Hessen haben uns ihre Erfahrungen geschildert. Zwei von ihnen haben neue Nieren bekommen, ein Dritter hofft auf ein Spenderherz.

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Organspenden in Hessen

Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird am Eingang eines OP-Saales vorbeigetragen.
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Tausende kranke Menschen warten in Deutschland auf Organspenden. Um die Spendenbereitschaft zu erhöhen, findet alljährlich am ersten Samstag im Juni der Tag der Organspende statt. hessenschau.de hat mit drei Menschen aus Hessen über das lange Warten auf ein Spender-Organ gesprochen.

Martin Steinmetz - Niere frisch transplantiert

Foto des Protagonisten Karsten Daum

"Es ist befreiend, dass es geschafft ist", sagt Martin Steinmetz. Der 46-Jährige aus Bad Vilbel (Wetterau) hat rund sieben Jahre auf eine Niere gewartet. Am 22. Januar war es endlich so weit. Morgens bekam er den Anruf aus der Klinik, dass ein Spenderorgan eines Verstorbenen zur Verfügung steht. Wenige Stunden später war er im Krankenhaus und wurde operiert.

Zuvor machte Steinmetz eine lange Leidenszeit durch. 2009 kam die völlig überraschende Diagnose, dass er nierenkrank ist. Ab 2016 musste er in die Dialyse, damit sein Blut gewaschen wird - dreimal pro Woche für je sechs Stunden. Zudem noch der Halbtagsjob als Kapitalmarktspezialist, der Haushalt und die Kinder. Steinmetz ist allein erziehender Vater von drei Kindern.

Doch die Dialyse kann eine gesunde Niere nicht richtig ersetzen, wie Steinmetz findet. "Ich habe zunehmend Probleme bekommen, unter anderem Konzentrationsschwierigkeiten und ständig taube Füße." Sein Zustand verschlechterte sich. Jetzt mit der neuen Niere will er wieder durchstarten. "Ich bin sehr glücklich und habe der Familie des Verstorbenen aus Dankbarkeit einen Brief geschrieben."

Ein Restrisiko bleibt

Die neue Niere bringt für ihn neue Freiheiten. "Jetzt kann ich mit den Kindern auch mehrtägige Wanderungen unternehmen." Der nächste Urlaub ist schon anvisiert. "An die Ägäis, in die Türkei." Doch bei aller Euphorie: Ein Restrisiko begleitet ihn wie ein lästiger Schatten. Wird sein Körper das Spenderorgan dauerhaft annehmen? Oder womöglich noch abstoßen? "Befürchten muss man es immer. Aber ich denke positiv", sagt Steinmetz.

Mit Blick auf die vielen auf Spenderorgane angewiesenen Menschen appelliert er: "Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft mehr über das Thema nachdenkt. Jeder Einzelne kann seinen Beitrag leisten und mit seiner Spende nach dem Tod anderen das Leben retten oder es erträglicher machen."

Karsten Daum - Leben mit einem Kunstherz

Foto des Protagonisten Martin Steinmetz in Klinik

Karsten Daum aus Friedberg wartet seit Jahren auf ein Spenderherz. Im Dezember 1999 wurde der Bauingenieur krank und musste wenig später in Frührente - im Alter von 34. Seine Krankengeschichte hat sich zu einer Odyssee mit ungewissem Ausgang entwickelt. Seit Jahren kämpft er um Leben und Tod. Sein Herz setzte schon mehrfach aus. Immer wieder wurde er von Ärzten gerettet.

Der 56-Jährige bezeichnet sich als "sterbenskrank". Am Leben gehalten wird er durch ein Kunstherz, das ihm im Oktober 2016 eingesetzt wurde. Eine elektrisch betriebene Pumpe hält seinen Blutkreislauf in Schwung. Ohne zwei Batterien und ein Kabel, das in seinen Bauchraum führt, geht es nicht mehr. Er trägt andauernd Apparaturen mit sich herum - "meine einzige Chance", sagt Daum.

Kunstherz funktioniert in kühlen Räumen besser

Doch vertrauen kann er dem Kunstherz nicht. Daum sagt: "Der Hersteller hat die Produktion des Systems eingestellt. Es gab zu viele Tote." Seither lebt er in noch größerer Unsicherheit, er leidet unter Angstzuständen. Batteriewechsel sind für ihn enorm belastend - "da darf nichts schief gehen". Warme Sommertage verbringt Daum vorzugsweise im kühlen Keller, weil dann das Kunstherz-System zuverlässiger arbeitet.

Durch die lange Leidensgeschichte ist auch seine Frau Christiane, die sich um ihn kümmert, nicht mehr arbeitsfähig. Doch sie lassen sich nach eigenen Angaben nicht hängen, versuchen das Leben zu genießen, kochen gerne und präsentieren ihre Gerichte auf Instagram.

Daums große Hoffnung ist es, ein intaktes Spenderherz eines verstorbenen Organspenders zu bekommen. Doch die Chancen sind gering: "Das wäre wie ein Sechser im Lotto", sagt er. Denn laut Vergaberegeln ist er nicht krank genug. Er steht wegen seines Kunstherzens nicht auf der dringlichen Empfängerliste.

Conny Hentz-Döring - 17 Jahre mit einer Spender-Niere

Portraitfoto der Protagonistin Conny Heutz-Döring

Die 61 Jahre alte Conny Hentz-Döring aus Lauterbach (Vogelsberg) lebt seit 17 Jahren mit einer Spender-Niere. "Ich bin über die ersten kritischen Jahre hinweg. Für mich war die Transplantation ein Glücksfall. Ich habe nicht mehr das Gefühl, schwer krank zu sein."

Aber Hentz-Döring muss dennoch kürzer treten. "Ich muss täglich Medikamente nehmen. Die machen müde. Deswegen brauche ich immer meinen Mittagsschlaf." Wegen ihrer Erkrankung ging die ehemalige Frauenbeauftragte des Vogelsbergkreises auch früher in Rente.

Die Spender-Niere und ihre zurückgewonnene Gesundheit sind für Hentz-Döring nicht selbstverständlich. Jedes Jahr feiert sie an dem Tag der Transplantation ein Fest. "Dann wollen meine Familie und meine Freunde immer meinen zweiten Geburtstag feiern. Aber ich kann Glückwünsche nicht annehmen. Dem verstorbenen Spender gebührt der Dank."

Ihres Erachtens wird von der Politik nicht genug unternommen, um mehr Menschen zur Organspende zu motivieren. "Die Bürgerinnen und Bürger werden ja nicht gerade offensiv angesprochen. Und es herrscht viel Misstrauen und Unsicherheit bei dem Thema. Ich wünsche mir wie viele andere Bedürftige, dass jeder Mensch automatisch Organspender wird, bis er dem widerspricht. Das würde vieles erleichtern."

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Tag der Organspende – Wie funktioniert das eigentlich?

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Zahl der Organspenden eingebrochen

In der Tat: Die Zahl der Organspenden ist Anfang des Jahres massiv zurückgegangen. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtete in Frankfurt von einem Einbruch um 29 Prozent im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Spender sank auf 176. Die Zahl der nach dem Tod entnommenen Organe verringerte sich um 28 Prozent auf 562.

Axel Rahmel, dem Medizinischen Vorstand der DSO, macht das große Sorge, wie er sagt: "Wir stehen vor einer dramatischen Entwicklung für die rund 8.500 Patienten auf den Wartelisten." Der Einbruch komme "völlig unerwartet". Deutschland sei bisher ohne größere Einbußen durch die Corona-Pandemie gekommen.

Die DSO vermutet, dass die Arbeitsüberlastung in den Kliniken ein Grund sein könnte. Und: Verstorbene mit einer Corona-Infektion waren von Organspenden ausgeschlossen.

Register für Organspender kommt verzögert

Mit einer Organspende-Reform versucht die Politik, mehr Spender zu informieren und zu animieren. Am 1. März trat dazu ein vor rund zwei Jahren beschlossenes Gesetz in Kraft. Doch der Start des zugehörigen neuen Bürger-Registers verzögert sich. Es soll frühestens Ende des Jahres in Betrieb genommen werden - wegen der hohen Belastung für die Kliniken. In dem zentralen Register sollen Erklärungen zur Spendenbereitschaft online gespeichert werden.

Widerspruchslösung in Deutschland gescheitert

In der Schweiz wird derweil die sogenannte Widerspruchslösung nach einer Abstimmung eingeführt - und damit eine radikale Änderung der bisherigen Regeln. Künftig gilt jeder Mensch in der Schweiz als potenzieller Organspender, solange er dies zu Lebzeiten nicht ausdrücklich abgelehnt hat. Bislang dürfen in der Schweiz wie in Deutschland Organe nur jenen Menschen entnommen werden, die sich dazu bereit erklärt haben, etwa mit einem Organspendeausweis (Zustimmungslösung).

Organspende Ausweis

Kritik in offenem Brief: "Deutsches Systemversagen"

Die Initiative ProTransplant appellierte wegen des Tiefstands bei den Organspenden in einem Offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Gesundheitsminister der Länder, schnellstmöglich einen Runden Tisch einzuberufen. Trotz vieler erfolgreicher Kampagnen und einer eigentlich stetig steigenden Spendebereitschaft in der Bevölkerung erlebe man ein "Desaster".

Die betroffenen Patienten seien "entsetzt und verzweifelt". Die Verantwortung zwischen Bund und Ländern, zwischen Krankenhäusern, Spitzenverbänden und der Deutschen Stiftung Organtransplantation werde hin- und hergeschoben. Der europaweite Vergleich offenbare ein "deutsches Systemversagen".

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