Gedenktag Erinnern an die Opfer des Holocaust

Am 27. Januar 1945 befreite die russische Armee Auschwitz-Birkenau, das größte Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Deren unzähliger Opfer wird auch in Hessen gedacht - virtuell und physisch.
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Gedenken zum Holocaust

Eva Szepesi hat den Holocaust überlebt, weil die Nazis sie für tot gehalten haben. Szepesi, in Ungarn geboren und seit mehr als 50 Jahren in Frankfurt zuhause, lag auf einer Pritsche im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, als die KZ-Aufseher die Insassen zum Todesmarsch zusammentrieben.
"Ich war todkrank, war kaum bei Bewusstsein", erzählt Szepesi dem hr. Ihr Körper habe einem Skelett geglichen, sie habe neben Toten und Halbtoten gelegen. Am Leben habe sie der Gedanke gehalten, ihre Mutter wiederzusehen, ihren Vater, ihren Bruder.

"Doch meine Familie wurde ermordet", sagt Szepesi. Vater, Mutter, Bruder seien "stumm gemacht" worden – deswegen will sie von dem unglaublichen Schrecken erzählen, der ihr, ihrer Familie und Millionen anderer Juden von den Nationalsozialisten angetan wurde.
Diese hätten im Angesicht der vorrückenden russischen Armee schnell aufbrechen müssen – und die damals zwölfjährige Szepesi liegen gelassen. "Das Erste was ich dann sah, war ein russischer Soldat", sagt sie. Der Soldat habe sie angelächelt.
Am 27. Januar 1945, jenem Tag, an dem sie als Zwölfjährige ein zweites Leben geschenkt bekam. Jenem Tag, der seit 1996 als "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" einen nationalen Gedenktag in Deutschland darstellt, den 2005 auch die Vereinten Nationen zum Internationalen Gedenktag erklärten. Und an dem auch in Hessen der unzähligen Opfer gedacht wird.
"Unsere Pflicht, daran zu erinnern"
Die zentrale hessische Gedenkveranstaltung soll am Donnerstagabend vor allem an das Schicksal der Sinti und Roma in der NS-Diktatur erinnern, teilte die Staatskanzlei mit. Wegen der Corona-Pandemie findet die Veranstaltung auch in diesem Jahr digital statt und wird aus dem Plenarsaal des Landratsamtes des Main-Taunus-Kreises in Hofheim am Taunus gestreamt.
"Wir alle kennen die Bilder von der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Sie führen uns unmissverständlich vor Augen, welches Unheil das Dritte Reich über diesen Kontinent gebracht hat", sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im Vorfeld.
"Wie kein anderer Ort symbolisiert Auschwitz die Verbrechen und unfassbaren Gräueltaten der Nationalsozialisten. Sie ermordeten systematisch Menschen, die anders dachten, lebten, liebten oder glaubten, als es ihre Ideologie zuließ", so Bouffier. Deshalb sei es nicht nur heute, sondern auch an jedem anderen Tag "unsere Pflicht, daran zu erinnern und frühzeitig Tendenzen entgegen zu treten, die diese Gräuel verharmlosen, leugnen oder solche Ideologien billigen."
Zeugen der Zeitzeugen
Das unterstützt auch Eva Szepesi, die mit 89 Jahren zu den noch wenigen lebenden Zeitzeuginnen gehört. Sie erzählt oft in Schulen von ihrem Schicksal, "die Schüler werden so zu Zeugen der Zeitzeugen", sagt sie.
Am Abend wird sie im Frankfurter Papageno Theater an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen, auf der auch Hessens Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker (CDU) sprechen wird. Er sagt vorab: "Engagement gegen Antisemitismus wird nicht automatisch vererbt - jede Generation muss aufs Neue dagegen aufstehen." Und damit könne man nicht früh genug beginnen.
Becker: "Es darf kein Recht auf Vergessen geben"
"Man muss nüchtern feststellen: Auch 77 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz nimmt der Antisemitismus leider eher wieder zu", sagt Becker. Es gebe ein gesellschaftliches Grundrauschen mit vielen antisemitischen Stereotypen. "Deswegen darf es auch niemals ein Recht auf Vergessen geben, wie es manche Menschen fordern." Es müsse an Gedenktagen wie diesen darum gehen, nicht nur Kränze niederzulegen, sondern sich als Gesellschaft stark dafür einzusetzen, "dass jüdisches Leben eine Zukunft hat", sagt Becker.

Landtagspräsident Boris Rhein (CDU) erinnerte daran, dass das Leben vieler Juden, Sinti und Roma und auch anderer Minderheiten viele Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch von Benachteiligung, Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt sei. "Wir müssen deshalb kritisch hinterfragen: Ruhen wir uns zu sehr auf dem Wissen um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung aus?"
Die Stärke der Demokratie erweise sich im Umgang mit Minderheiten. "Keine demokratische Gesellschaft kann auf Dauer überleben, wenn Minderheiten bedroht, beschimpft, geschädigt oder getötet werden, denn das widerspricht all unseren freiheitlichen, demokratischen Werten", sagte Rhein.
Kranzniederlegung in Frankfurt
Neben der gestreamten Gedenkveranstaltung finden weitere Aktionen auch physisch statt. In Frankfurt hatte der Magistrat der Stadt zu einer Gedenkstunde in die Paulskirche eingeladen, an die sich eine Kranzniederlegung am Mahnmal für Opfer der Gewaltherrschaft auf dem Paulsplatz anschloss.
"Gerade in schwierigen Zeiten ist diese Veranstaltung besonders wichtig, um die Geschichte am Leben zu erhalten", sagte Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD). "Dies gilt umso mehr, wenn einige im öffentlichen Raum die Verharmlosung und Relativierung der faschistischen Verbrechen betreiben. Hier gilt es, deutliche Zeichen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu setzen", betonte das Stadtoberhaupt.
Lesung in Marburg
Die Stadt Marburg hält eine öffentliche Lesung ab: "Und dann kommst du dahin an einem schönen Sommertag – Frauen in Ravensbrück", heißt die Veranstaltung, die am Abend an der Volkshochschule (vhs) Marburg stattfindet. Ravensbrück war das größte Frauenkonzentrationslager im Nationalsozialismus. Frauen aus mehr als 30 Ländern sowie einige Männer waren dorthin deportiert worden.
Audiowalk in Kassel
In Kassel war das Friedrichsgymnasium eine Kooperation mit der Gedenkstätte Breitenau eingegangen, durch die Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse in einem fachübergreifenden Projekt intensiv im Archiv der Gedenkstätte Breitenau recherchieren konnten. Das Ergebnis: Ein Audiowalk für Jugendliche namens "Tonspuren von Kassel nach Breitenau", der einzelne Biographien mit unterschiedlichen Bezugs- und Erinnerungsorten in Kassel und Breitenau seh- und vor allem hörbar verbindet.

Am Eingang zum Frankfurter Ostpark haben zudem jugendliche Fans aus der aktiven Fanszene des Fußball-Regionalligisten FSV Frankfurt dessen jüdischen Ex-Präsidenten Alfred J. Meyers ein Denkmal gesetzt, das auch allen Opfern des Nationalsozialismus gedenken soll.
"Wir haben als FSV Fanprojekt sehr gerne diese Initiative der Fans unterstützt und gefördert", sagte Peter Heering, Leiter der sozialpädagogischen Einrichtung der Sportjugend Frankfurt. Das Gedenken an Meyers mache Jugendlichen deutlich, "dass die Nazi-Zeit kein abgeschlossenes, abstraktes Kapitel aus dem Geschichtsunterricht ist."