Im Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag von Hanau mit zehn Toten werden am Freitag erstmals Angehörige der Opfer als Zeugen gehört. Sie hoffen, endlich Antworten auf ihre offenen Fragen zu bekommen.

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Angehörige suchen Antworten und Verantwortliche

Ein Mann betrachtet in der Ausstellung "Mindbombs" ein Werk der "Initiative 19. Februar Hanau". (dpa)
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"Ich hoffe, bald kommt alles raus", sagt Vaska Zlateva immer wieder. Sie steht hinter einem Tisch, neben ihr die Eltern des getöteten Said Nesar Hashemi, gegenüber sitzen die Eltern des getöteten Hamza Kurtović. Sie alle nicken zustimmend. In den Räumen der "Initiative 19. Februar" in der Hanauer Innenstadt treffen sich viele von ihnen immer wieder. Hier haben sich einige von ihnen auf ihre Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss vorbereitet. Vaska Zlateva ist als erste Zeugin am Freitag in den Hessischen Landtag in Wiesbaden geladen.

Ein 43-jähriger Deutscher hatte am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Nach der Tat soll er seine Mutter umgebracht haben, bevor er sich selbst tötete.

"Wir kämpfen seit 22 Monaten"

Die 36-Jährige hat ihren Cousin Kaloyan Velkov verloren. Wie sie den Anschlag und die Zeit danach erlebt hat, darüber soll sie am Freitag im Untersuchungsausschuss sprechen. Dafür, dass sie und die anderen Hinterbliebenen das dürfen, haben sie viel getan. "Wir kämpfen seit 22 Monaten", sagt sie. "Bis heute haben wir viele Fragen, aber keine Antworten."

Eine Frage, die Vaska Zlatev umtreibt: Wie kann es sein, dass ihr Cousin als erstes Todesopfer erschossen, aber erst viel später gefunden wurde? Laut Akten entdeckte ihn die Polizei nur zufällig: Weil eine Beamtin in Ruhe telefonieren musste, zog sie sich am Tatort in der Bar "La Votre" zurück und entdeckte erst dabei den getöteten Kaloyan Velkov, der dort als Kellner ausgeholfen hatte - knapp 25 Minuten, nachdem die Polizei am Tatort eingetroffen war. Die ebenfalls getöteten Fatih Saraçoğlu und Sedat Gürbüz waren da längst entdeckt.

Angehörige werfen Polizei Schlamperei vor

Vaska Zlateva sagt, die Polizei habe am Tattag nicht gründlich gearbeitet , auch nicht in den Tagen nach den Morden. So kritisiert Zlateva, dass sie und ihre Tante, Kaloyans Mutter, tagelang nicht informiert worden seien, was genau am 19. Februar 2020 mit Kaloyan passiert war. Die Polizei habe sie nicht finden können, so die Begründung. Dabei hatte Velkov laut Akten unter anderem seinen Ausweis und sein Mobiltelefon bei sich. Wenige Augenblicke vor den tödlichen Schüssen hatten Kaloyan Velkov und seine Cousine sogar noch telefoniert. Auch psychologische Unterstützung hätte die Familie erst sechs Tage nach dem Anschlag angeboten bekommen.

Wer trägt die Verantwortung für Versäumnisse?

Ähnlich äußern sich auch andere Hinterbliebene der Opfer. Fast alle kritisieren den Umgang mit ihnen - ob in der Anschlagsnacht oder in den Tagen und Wochen danach. Waren das Versäumnisse der Hessischen Landesregierung oder ihr nachgeordneter Behörden, also zum Beispiel bei der Polizei? Das soll nun der Untersuchungsausschuss klären.

Dass es solche Versäumnisse gegeben hat, da sind sich viele Angehörige sicher. "Das muss ans Tageslicht", sagt zum Beispiel Armin Kurtović, Vater des getöteten Hamza Kurtović. "Hanau darf sich nicht wiederholen. Das geht nur, wenn Lehren und Konsequenzen gezogen werden. Und der Fisch stinkt nun mal vom Kopf." Die Angehörigen wollen, dass die politisch Verantwortlichen diese Verantwortung tragen. Viele denken dabei nach eigenen Aussagen an Innenminister Peter Beuth (CDU) als obersten Dienstherren der Polizei.

Viele offene Fragen, die geklärt werden sollen

Insgesamt zehn Themenkomplexe haben Kurtović, Zlateva und die anderen Angehörigen gesammelt. Zu allen sehen sie offene Fragen: Warum etwa durfte der spätere Attentäter legal Waffen besitzen, obwohl er mehrfach aufgefallen war? Oder wieso war der Notruf in der Anschlagsnacht zeitweise nicht erreichbar? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich ab Freitag der Untersuchungsausschuss erstmals öffentlich. "Das ist ein besonderer Tag", findet Hagen Kopp von der Initiative 19. Februar, die sich für die Hinterbliebenen des Anschlags engagiert. "Dass es dieses Gremium gibt, dafür haben die Angehörigen schließlich lange gekämpft." Um die Hinterbliebenen zu unterstützen, hat die Initiative vor dem Landtag zu einer Mahnwache aufgerufen.

Vaska Zlateva freut sich über diese Unterstützung - Unterstützung, die sie sich auch von der Landesregierung gewünscht hätte. "Bis heute hat sich niemand mit mir getroffen", sagt sie. "Ich kämpfe seit 22 Monaten für meinen Cousin - und ich kämpfe bis zum Ende!".

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