Pilotprojekt in Frankfurt Erstes hessisches Childhood-Haus für misshandelte Kinder

Noch in diesem Jahr soll in Frankfurt das hessenweit erste Childhood-Haus die Arbeit aufnehmen. Es erspart misshandelten Kindern, ihre traumatisierenden Erlebnisse immer und immer wieder schildern zu müssen. Alle relevanten Behörden sind dort vertreten.
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Childhood-Haus für misshandelte Kinder

Besteht der Verdacht, dass ein Kind misshandelt wurde, muss es zahlreiche Vernehmungen hinter sich bringen: durch Polizei, Anwälte und Richter. "Und nicht alle sind dafür geschult", sagt Matthias Kieslich. Er leitet seit zehn Jahren die Frankfurter Kinderschutzambulanz, wo Opfer medizinische Hilfe erhalten. Die Ärzte dort sind darauf spezialisiert zu erkennen, ob ein Kind tatsächlich gestolpert oder brutal verprügelt worden ist. Oder Opfer sexueller Gewalt geworden ist.
Bald wird Kieslich auch das erste Childhood-Haus in Hessen leiten. Noch in diesem Jahr soll es die Arbeit aufnehmen, wie der hr exklusiv erfahren hat. Es ist eine zentrale ambulante Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die körperliche oder psychische Gewalt erlebt haben. In ganz Deutschland gibt es bisher sechs solcher Häuser.
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Auch die Gestaltung ist am Kindeswohl ausgerichtet
Alles sei dort "vom Kind her gedacht", sagt Kieslich. Medizinische Untersuchungen etwa bei sexueller Gewalt müssten nur noch einmal stattfinden, da Kindergynäkologen und Rechtsmedizinerinnen die Opfer gemeinsam untersuchen.
hr-Thema: Gewalt gegen Kinder in der Pandemie - was tun?
In der Corona-Pandemie ist die Zahl der Kindesmisshandlungen auf einen Höchststand gestiegen. Es ist für Behörden schwieriger, Kinder und Jugendliche vor Gewalt zu schützen. Homeoffice und Homeschooling bedeuten zusätzlichen Stress. Nicht alle Eltern waren und sind dem gewachsen.
Dennoch: Es gibt für diese Eltern Hilfen, so dass es nicht zwangsläufig zu Gewalt kommen muss. Der hr macht am 3. Februar Gewalt gegen Kinder in der Pandemie und mögliche Hilfen auf allen Ausspielwegen zum Thema.
Auch die Gestaltung des Childhood-Hauses, für das derzeit ein Gebäude neben der Kinderschutzambulanz auf dem Gelände der Frankfurter Uniklinik umgebaut wird, ist am Kindeswohl ausgerichtet: Die Räume sind freundlich eingerichtet, nicht funktional und kühl wie auf einer Polizeiwache oder in einer Behörde.
Die Zimmer, in denen die Kinder vernommen werden, sind mittels Kameras und Monitoren aus anderen Räumen einsehbar. Das hat den Vorteil, dass Vater oder Mutter nicht neben dem Kind sitzt und es womöglich einschüchtert, während es aussagt - oft ist ja der Täter in der eigenen Familie zu suchen. Dennoch haben die Erziehungsberechtigten die Möglichkeit, die Aussage des Kindes mitzuverfolgen. Ebenso wie ein Staatsanwalt, Vertreterinnen vom Jugendamt oder Polizeibeamte, die dann nicht alle im selben Raum sitzen müssen.

Auch hier soll dem Kind zugute kommen, dass es nicht wieder und wieder dieselben traumatisierenden Erlebnisse schildern muss, sondern im besten Fall nur einmal. Die Aussage wird außerdem aufgezeichnet und kann bei einer Verhandlung als Beweismittel dienen.
Klose: Kinder sollen besonderen Schutz genießen
Minderjährige Opfer müssen also die Täter nicht mehr sehen oder sprechen - und sie müssen nicht bei Gericht erscheinen. Eine enorme Entlastung für die Betroffenen, wie Sozialminister Kai Klose (Grüne) betont, der gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium und der Frankfurter Uniklinik die Umsetzung des Projektes verantwortet.
Kinder und Jugendliche, die Gewalt oder Missbrauch erleiden, hätten Anspruch auf einen besonderen Schutz des Staates, betont Klose. Frankfurt sei ein guter Standort, da es mit der Kinderschutzambulanz bereits ein Zentrum für Kinderschutz gebe. Mediziner aller Fachrichtungen seien vor Ort: aus der Kinderheilkunde, Kindergynäkologie, Toxikologie, Rechtsmedizin und Psychologie. So könnten sie koordiniert agieren.
Interdisziplinäres Kompetenzzentrum
Seit Herbst 2020 berät die Landesregierung mit der World Childhood Foundation und einem Expertengremium über ein Childhood-Haus, das auch ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum mit Forschungsschwerpunkt sein soll. Das sei in Deutschland bislang einmalig, sagt Astrid Helling-Bakki, Geschäftsführerin der World Childhood Foundation. Ausbildungsstrukturen, Fortbildungsmaßnahmen und Forschungserkenntnise könnten von dort ins Land getragen werden.
Die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen, sei ein wichtiger Schritt des Landes, sagt auch die Familienforscherin Sabine Andresen von der Frankfurter Goethe-Uni. In vielen Fällen würden Kinder und Jugendliche, die mehrfach aussagen müssen, erneut traumatisiert. Das gelte es mit allen Mitteln zu verhindern. Im Childhood-Haus könne das gelingen.