Claire Duda, eine junge Frau, sitzt auf einem Sessel in einem Zimmer und lächelt verhalten

Während die meisten jungen Erwachsenen von ihren Eltern unterstützt werden, haben Pflegekinder oder Heimbewohner diese Möglichkeit oft nicht. Die Betreuung endet nach Erreichen der Volljährigkeit. Eine Beratungsstelle will diese Lücke füllen.

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Hilfe für Careleaver

hs 03.02.2023
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Ausziehen in die erste eigene Wohnung. Sich sein eigenes Leben aufbauen. Und im Notfall noch bei den Eltern Wäsche waschen oder anrufen, wenn man gerade nicht weiter weiß. Was für viele der aufregende, aber abgefederte Start ins selbstständige Leben ist, ist für junge Männer und Frauen in Jugendhilfe-Einrichtungen meist nicht möglich.

Sobald sie volljährig werden, wird überprüft, ob und wie viel Bedarf sie noch haben. Ihre Ersatzeltern und Bezugspersonen sind vom Staat bezahlte Sozialarbeiter oder Pflegefamilien. Wenn deren Zuständigkeit endet, sind diese sogenannten Careleaver oft auf sich allein gestellt.  

Die meisten fallen im Alter zwischen 18 und 21 Jahren aus der stationären Jugendhilfe. Wenige können bis 27 in ihren Einrichtungen oder Familien bleiben. Und dann?

Gemischte Gefühle

Claire Duda ist eine dieser Careleaver, von denen Sozialarbeiter sprechen. Mit 14, so berichtet sie, hat sie sich selbst ans Jugendamt gewandt, weil sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter nicht mehr leben wollte. "Ich brauchte ein besseres Umfeld", sagt sie. Details behält sie für sich.

Nach fünf Monaten in einer Inobhutnahme des Jugendamts entschied sie sich für eine betreute Wohngruppe in Frankfurt. Für sie ein Glücksgriff, erzählt die heute 21-Jährige. Umso gemischtere Gefühle habe sie gehabt, als sie volljährig wurde. Das sei in der Jugendhilfe nicht immer nur positiv, sagt sie: "Der 18. Geburtstag bedeutet nicht nur, dass ich Alkohol kaufen und meinen Führerschein machen kann - sondern auch, wie es weitergeht und was mit mir passiert."

Für knapp 1.800 Menschen in Hessen wurden die sogenannten vollstationären Maßnahmen im Jahr 2021 beendet, das geht aus Tabellen des Statistischen Landesamts hervor.  Die Zahl der Careleaver lässt sich daraus allerdings nur bedingt ablesen, da jemand, der 2021 mit 18 Jahren eine Maßnahme verlassen hat, 2022 nach wie vor als Careleaver gilt und in die Statistik eingeht.

Kein Zurück mehr

Claire Duda studiert transnationale Soziale Arbeit. Der Studiengang beinhaltet ein verpflichtendes Auslandssemester. Das ist eine Chance, klar, aber für jemanden wie Claire auch eine Hürde: "Ich wusste, wenn ich das machen will, muss ich vorher aus der Jugendhilfe ausziehen, weil niemand ein halbes Jahr lang ein Zimmer für mich reservieren wird."

Also zog sie mit 19 in eine eigene Wohnung. Ihr Platz in der Wohngruppe wurde neu vergeben, es gab für sie kein Zurück mehr. Claire hatte etwas Angst vor dem Auszug und war froh, dass eine ihrer Mitbewohnerinnen auch nach einer eigenen Bleibe suchen musste. Jetzt teilen sie sich neben der Vergangenheit auch die Miete.  

Ein junger Mann, Shawn Wrede, sitzt auf einer Ledercouch und lächelt verhalten

Das mache vieles leichter, sagt Claire Duda. So müsse sie zum Beispiel nicht erklären, warum sie ab und zu Besuch von einer Sozialarbeitern bekommt. Ambulante Hilfe für junge Volljährige nennt sich das, und Claire hofft, dass sie diese noch ein bisschen behalten darf, obwohl sie bereits 21 ist. Allerdings zählen für den Antrag beim Jugendamt vor allem ihre Schwächen, wie sie sagt. 

Fragen haben ist doch normal

Je selbstständiger man ist, desto kleiner im Prinzip die Chancen auf Unterstützung. "Nach so einem Antrag fühle ich mich schwächer, als ich eigentlich bin", sagt Claire Duda. Sie finde es schade, ergänzt sie, dass sie sich so verzerrt darstellen müsse. Sie findet: "Wenn ich mir Menschen in meinem Alter so anschaue, dann sind das auch alles Menschen mit Unsicherheiten, die noch Bedarfe und Fragen haben. Das ist doch eigentlich normal." 

Immerhin gibt es für solche Anträge, für größere und kleinen Lebensfragen in Frankfurt seit 2021 die Careleaver Beratungsstelle. Gegründet von der Stiftung Waisenhaus, ist sie die erste in der Region und in Hessen, neben der hessischen Ombudsstelle, der Regionalgruppe des bundesweiten Careleaver Vereins und der Beratungsstelle Insight im Werra-Meißner-Kreis.

Ausziehen lernt man nicht

Egal, ob man mit 20 Jahren nun überfordert mit Anträgen, Finanzen oder Liebeskummer ist: In seinem Beratungsbüro oder bei einer Tasse Kaffee hört Sozialarbeiter Timo Tratzki in der Frankfurter Careleaver Beratungsstelle zu, bietet Hilfe und Lösungen an. Ein klassisch niedrigschwelliges Angebot bei Fragen zum Erwachsenwerden - zumal wenn man aus der Jugendhilfe kommt. 50 Menschen haben es im ersten Jahr in Anspruch genommen, wie Tratzki berichtet.

Einer von ihnen ist Shawn Wrede. Er kommt ursprünglich aus Niedersachsen und verlor nacheinander beide Elternteile. Danach wohnte er beim Lebensgefährten seiner Mutter, doch das funktionierte auf Dauer nicht, wie er erzählt.

Timo Tratzki, ein Mann, steht im kargen Eingangsbereich der Beratungsstelle Careleaving in Frankfurt, hinter ihm ein buntes Bild

Shawn zog zu Verwandten nach Frankfurt und, nachdem das dort auch nicht funktioniert hatte, schließlich in eine Pflegefamilie. Hier wurde er herzlich aufgenommen, wie er sagt, er konnte erneut im Leben ankommen. Allerdings zogen sie vor anderthalb Jahren nach Dresden. Shawn wollte lieber in Frankfurt und bei seinen Freunden bleiben und studieren.

Damit wurde auch er zum Careleaver, jetzt seit einem Jahr wohnt er allein. Darauf habe er sich zwar gefreut, aber die ganze Bürokratie zu handeln, sei gar nicht so leicht, erzählt er: "Ausziehen lernt man halt nicht in der Schule."

Sie sind nicht allein

So war ihm zum Beispiel nicht klar, dass er sich selbstständig beim Stromversorger anmelden musste - das merkte er erst, als eine Rechnung vom Grundversorger kam. Da sei er erst mal überfordert gewesen, sagt er. Das mag banal klingen, aber auch deswegen ist Shawn Wrede froh, dass es die Careleaver Beratungsstelle in seiner Nähe gibt, auch wenn er noch Kontakt hat zu seinen Pflegeeltern in Dresden. Aber mit ihnen kann er sich nicht ab und zu auf eine Pizza treffen. Mit dem Sozialarbeiter Timo Tratzki schon. 

Um seinen Schützlingen untereinander die Möglichkeit zum Austausch und zum lockeren Kennenlernen zu geben, veranstaltet Tratzki einmal im Monat einen Careleaver-Sonntagsbrunch. Die jungen Leute merken dort auch: Sie sind nicht allein mit ihren Fragen und Sorgen. Und dieses Gefühl brauchen doch eigentlich alle Heranwachsenden.

Anmerkung: Im Abschnitt über den betroffenen Shawn Wrede berichtete dieser über ein Erlebnis, an das sich andere Beteiligte anders erinnern. Deswegen haben wir den entsprechenden Satz mit einem konkreten Zitat aus dem Artikel entfernt.

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