Gestiegene Preise Die zehnjährige Safaa muss jetzt beim Essen sparen
Die Preise für Lebensmittel und Energie sind in den vergangenen Wochen stark gestiegen. Gerade für ärmere Familien kann das dramatische Auswirkungen haben.
Wenn sich Safaa aus Frankfurt ihr Essen aussuchen könnte, würde sie sich für Couscous entscheiden. Mit frischem Gemüse und Kräutern - das schmeckt der Zehnjährigen besonders gut. "Aber das kann ich jetzt nicht mehr so oft essen, weil es mit vielen Zutaten gemacht ist", sagt Safaa. "Und diese Zutaten sind teuer." Zu teuer für ihre Familie.
Die fünfköpfige Familie kam bisher gerade so über die Runden. Doch dann kamen die Preiserhöhungen der vergangenen Wochen - besonders bei Speiseölen, Fleisch, aber auch bei Obst und Gemüse. Wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht, stiegen die Lebensmittelpreise im April 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat durchschnittlich um 8,6 Prozent.
Safaas Mutter Mimount muss nun zweimal überlegen, was sie für ihre Kinder kocht. Ihr Mann arbeitet in einem Minijob, sie kümmert sich zu Hause um die drei Kinder.
Jeder Fünfte in Hessen ist arm
So wie Safaas Familie geht es vielen, die derzeit unter den hohen Preisen leiden. Im Hartz-IV-Regelsatz für Erwachsene sind 155 Euro monatlich für Essen und Getränke vorgesehen. Das sind umgerechnet gut fünf Euro pro Tag. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hessen teilt auf Anfrage mit: "Wer dieser Tage durch einen Discounter geht, sieht sofort, dass diese Kalkulation sehr weit entfernt ist von der Realität."
Ein anderes Leibgericht der Geschwister von Safaa sind gefüllte Paprika, aber auch die seien kaum bezahlbar. "Paprika für zwei Euro; dann sind da nur drei Stück drinnen - und das sind nur kleine", rechnet die Mutter vor. Bei einer fünfköpfigen Familie brauche sie da mindestens zwei Packungen. Eigentlich wolle sie das Gericht gerne zweimal die Woche kochen, jetzt sei unsicher, ob sie es wenigstens einmal schaffe.
Zudem steigen nicht nur die Lebensmittelpreise: Hohe Spritpreise, hohe Mieten, hohe Strompreise - das führe sogar dazu, dass selbst viele Haushalte mit einem mittleren Einkommen die hohen Lebenshaltungskosten nicht mehr schultern könnten, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband dem hr auf Anfrage mitteilte.
In Hessen steigt den Angaben zufolge die Armutsquote schon seit Jahren stetig. 2020 lag sie bei 17,4 Prozent, das heißt jeder und jede Fünfte ist arm. Damit ist der Anteil der Armen in Hessen höher als im bundesweiten Durchschnitt, der nach dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverband bei 16,1 Prozent liegt.
Wann gilt man als armutsgefährdet?
Eine alleinstehende Person gilt laut Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands bei einem monatlichen Einkommen unter 1.126 Euro als armutsgefährdet - bei einem kinderlosen Paar bei 1.688 Euro. Alleinerziehende mit einem Kind gelten als armutsgefährdet, wenn sie weniger als 1.463 Euro monatlich zur Verfügung haben. Bei einem Paar mit zwei Kindern sind es 2.364 Euro. Die Zahlen beziehen sich noch auf Auswertungen aus dem Jahr 2020.
Ende der weiteren InformationenMehr Kinder sind auf kostenloses Essen angewiesen
Kinder, die in Armut aufwachsen, können bei der Arche in Frankfurt Hilfe finden. Hier geht auch Safaa hin, um ein warmes Mittagessen zu bekommen. "Wir merken, dass mehr Kinder zum Essen kommen. Die haben größeren Hunger und unsere Töpfe sind am Ende leerer", beschreibt Julia Hildebrandt, Arche-Leiterin in der Frankfurter Nordweststadt, die Situation. Während vor den Preissteigerungen täglich rund 80 Kinder zum Essen kamen, seien es jetzt fast 110.
Und noch etwas hat sich geändert: "Wenn wir den Kindern anbieten, dass sie Reste mit nach Hause nehmen können, wird hemmungslos mitgenommen. Das war vorher anders." In Hessen sind 23,8 Prozent der unter 18-Jährigen armutsgefährdet. Das geht aus einer Anfrage der Linkspartei vom März hervor.
Welche anderen Möglichkeiten haben Betroffene - die Tafeln? Nicht unbedingt. In Hessen sind viele Tafeln mittlerweile überlastet, weil die Nachfrage rapide steigt und gleichzeitig die Lebensmittelspenden abnehmen.
Verbraucherzentralen und Mieterschutzvereine als Anlaufstelle
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hessen rät Menschen mit geringem Einkommen dazu, bestimmte Erhöhungen von Preisen zu hinterfragen: Bei höheren Stromabschlägen seien die Verbraucherzentralen die richtige Anlaufstelle. Sie weisen darauf hin, dass eine Erhöhung in vielen Fällen unwirksam ist. Wenn der Vermieter die Nebenkosten erhöht, könnten sich Betroffene bei Mieterschutzvereinen Rat holen.
Nicht oft geht Armut einher mit Schulden. Dann ist der Gang zur Schuldnerberatung oft sinnvoll. Betroffene können so dabei unterstützt werden, eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Schon 2021 sei es in einem Viertel der Beratungsgespräche um Energie- und Mietschulden gegangen, heißt es bei der Schuldnerberatung. Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband ist zu befürchten, dass sich dieser Trend im laufenden Jahr fortsetzen und deutlich verschärfen wird.