Nach Anschlag von Hanau Hamza-Kurtović-Preis verliehen: "Ihr Tod wird nicht sinnlos bleiben"

Für ihren Kampf gegen Rassismus und Extremismus sind in Hanau Sportler, Politiker und Künstler mit dem Hamza-Kurtović-Preis ausgezeichnet worden. Enissa Amani, Eintracht Frankfurt und Rapper Massiv sind drei der vielen Geehrten.
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Hamza-Kurtović-Preis für Engagement gegen Rassismus

Ihre Namen sind nicht vergessen: Das sollte immer wieder deutlich werden bei der ersten Verleihung des Hamza-Kurtović-Preises am Dienstagabend in Hanau. Mit dem Preis, benannt nach einem der Ermordeten des rassistischen Anschlags von Hanau, wurden in 14 Kategorien Menschen und Vereine für ihren Einsatz gegen Rassismus und Extremismus ausgezeichnet. Darunter internationale Prominente aus Politik, Sport, Musik, Politik und Gesellschaft.
Bevor sie geehrt wurden, hatten die beiden Moderatoren des Abends, Dominik Kuhn und Ajla Kurtović (Schwester des ermordeten Hamza) noch einmal alle acht weiteren Opfer des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 aufgezählt: Kaloyan Velkov, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Ferhat Unvar. "Alle Ehrungen heute Abend haben mit Hamza zu tun", sagte Ajla Kurtović, "dem sozial, sportlich eingestellten Hamza."
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Schirmherr des Preises eröffnete seine Videobotschaft mit einer Aufzählung aller Vornamen der Getöteten. "Sie waren ein Teil unseres Landes - ein Teil von uns", so der Kanzler. "Ihr Tod war sinnlos, aber er wird nicht sinnlos bleiben". Der Hamza-Kurtović-Award zeige, dass für extremistischen Hass kein Platz sei, "dafür aber für Leute, die mit ihrem Engagement den Laden am Laufen halten - Leute wie Hamza", sagte Scholz. Hamza sei "ein Macher" gewesen, genau wie die Preisträger des Abends.
Kategorie Politik: Einsatz für Hinterbliebene

In der Kategorie "Politikerinnen und Politiker" wurde Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) für seinen Einsatz nach dem Anschlag ausgezeichnet. "Er hat es immer wieder geschafft, die richtigen Worte zu finden", erklärte Laudator Bijan Kaffenberger (SPD) und würdigte insbesondere Kaminskys Engagement für die Hinterbliebenen. Den Worten seien die richtigen Taten gefolgt.
Kaminsky selbst suchte zunähst nach Worten, als er die goldene Büste mit dem Gesicht von Hamza Kurtović entgegennahm. "Ich will der Familie Kurtović meinen Respekt bekunden", sagte er. "Aus einer sinnlosen Mordtat etwas Sinnstiftendes zu entwickeln", sei nicht selbstverständlich. An der Seite der Angehörigen zu stehen, sei "eine immerwährende Verantwortung".
Enissa Amani: "Ignoranz ist das größte Problem in Deutschland"

Als Comedienne, die sich in einer überwiegend männlich, weiß und heterosexuell geprägten Comedy-Szene durchgesetzt habe, wurde Enissa Amani in der Kategorie "Künstlerinnen und Künstler gegen Rassismus" ausgezeichnet. Sie mache Witze "nicht nur über, sondern von und für Migranten", hieß es zur Begründung. Dabei nehme sie kein Blatt vor den Mund - auch gegenüber Rassisten und Rechtsextremen nicht.
Offen sprach Amani dann auch in ihrer emotionalen Dankesrede: "Ich habe es satt, als Frau mit ausländischen Wurzeln immer noch so stark dagegen ankämpfen zu müssen", sagte sie. Menschen neigten dazu, in Vorurteilen zu denken, sollten sich diese aber bewusst machen und ablegen. "Ignoranz ist das größte Problem in Deutschland", stellte die 40-Jährige mit iranischen Wurzeln fest. Mit Blick auf die goldene Büste sagte sie: "Hamza, ich wünschte, ich könnte dir in dein wunderschönes Gesicht sagen, dass ihr dem Hass genau in die Augen geschaut habt, dass ihr ein Symbol für Mut und Widerstand geworden seid."
Eintracht Frankfurt: "Wir müssen lauter sein"

Eintracht-Frankfurt-Präsident Peter Fischer nahm den Preis in der Kategorie "Sportvereine" stellvertretend für seinen Club entgegen. Dieser habe immer wieder Aktivitäten gegen Hass und Rassismus auf die Beine gestellt, hieß es in der Laudatio: Zum Beispiel, als die Eintracht-Profis beim Aufwärmen vor dem Bundesligaspiel gegen Bayern München im Februar 2021 Namen und Bilder der Anschlagsopfer von Hanau auf ihren Trikots getragen hätten.
"Ich freue mich, für den Verein diese Ehre entgegenzunehmen", sagte Fischer. Dennoch müsse man sich schämen, "dass man dafür ausgezeichnet wird - denn es müsste für uns alle das Normalste der Welt sein". Fischer hielt anschließend ein emotionales Plädoyer dafür, auch im Alltag Rassismus und Hass offen zu widersprechen: "Die Idioten, die Verwirrten machen sich laut, sind in den Sozialen Medien und laufen durch die Städte", sagte er. "Wir müssen lauter sein und uns wehren." Auch auf Worte müsse man achten: "Wie oft erleben wir, dass das geschriebene Wort der Anfang für eine Tat ist", sagte Fischer.
Zeina Nassar: Boxerin im Kampf für das Kopftuch

Sportlerin Zeina Nassar war 13 Jahre alt, als sie anfing zu boxen - als Muslima, mit Kopftuch. Für ihren sportlichen Einsatz und für die Veränderung, die sie angestoßen habe, überreichte ihr Laudator Rudi Völler den Hamza-Kurtović-Award. "Zeina denkt über den Tellerrand hinaus", sagte der gebürtige Hanauer und Manager des Bundesligavereins Bayer Leverkusen. Sie setze sich für Integration ein - und für Menschen, die es nicht einfach haben.
Sie habe unbedingt boxen wollen, sagte Nassar. Warum das mit Kopftuch nicht gehen solle, habe ihr keiner sinnhaft erklären können. "Umso stolzer bin ich, dass ich dafür gekämpft habe", sagte die 24-Jährige: "2019 wurde die Kleiderordnung so geändert, dass Frauen weltweit davon träumen können, an den Olympischen Spielen teilzunehmen." Sie habe Hoffnung, sagte sie abschließend, "auf eine neue Generation, die alle Vorurteile in Frage stellt".
Rapper Massiv: Engagement für Geflüchtete

In der Kategorie "Musikerinnen und Musiker" wurde der Berliner Rapper Massiv (bürgerlich Wasim Taha) ausgezeichnet. "Ich liebe dieses Land, ich schenke diesem Land mein Herz", wurde Taha in der Laudatio von Hamzas Bruder Karim Kurtović zitiert. Und: "Durch unsere Adern fließt der ein und derselbe Schmerz." Hamza habe Tahas Rolle in der Serie "4 Blocks" geliebt. Die Jury würdigte den Einsatz des Rappers für Geflüchtete, auch jetzt gerade für Menschen aus der Ukraine.
Massiv nutze seine Musik für Verständigung. "Wenn einer sich nicht für andere Menschen und ihr Leid interessiert, dann ist er schwach und krank", sagte der Rapper in seiner Dankesrede: "Wir müssen ihn umarmen." Der Preis sei ein "sehr besonderes Geschenk".
Sonderpreis für Innenministerin Faeser

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bekam einen Sonderpreis für ihre Arbeit nach dem Anschlag. Damals war sie noch Oppositionsführerin im hessischen Landtag. "Es ist mir eine außergewöhnlich große Ehre und hohe Auszeichnung", sagte Faeser. Sie empfinde den Preis als Verpflichtung, Rechtsextremismus und Rassismus entgegenzutreten.
Auch Faeser nannte wieder alle Namen der Opfer: "Das sind wir ihnen allen schuldig." Sie werde nie ihren Besuch bei Familie Kurtović vergessen. "Ich bewundere euch, dass ihr so viel Kraft aufbringt, für andere in der Gesellschaft da zu sein."
Die Ermordeten seien keine Fremden, sondern Teil unserer Gesellschaft gewesen. Der Preis setze ein Zeichen: "Wir lassen uns nicht spalten, und die Menschlichkeit ist stärker als der Hass", betonte Faeser. Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für unsere Demokratie. Deshalb wolle die Bundesregierung ihn "ganzheitlich bekämpfen". Faeser verwies auf ihren Aktionsplan gegen Rechtsextremismus. Der Kampf sei aber nicht allein Aufgabe für Polizei, Justiz und Sicherheitsbehörden, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Ex-Bundespräsident Wulff für Lebenswerk geehrt

Er hatte nach eigener Aussage nicht gewusst, dass er ebenfalls ausgezeichnet wird: Der ehemalige Bundespräsident, Christian Wulff, bekam den Preis für sein Lebenswerk. "Es ist irrational, denn ich habe nichts Besonderes gemacht", sagte Wulff, der unter anderem Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschlandstiftung Integration ist.
"Die Attentäter schaden unserem Land, weil großartige Menschen aus dem Leben scheiden, die noch großes Gewicht gehabt hätten", sagte Wulff. "Deshalb sind diese Mörder, die sagen 'Deutschland den Deutschen', die eigentlichen Vaterlandsverräter." Der ehemalige Bundespräsident sprach sich für eine gesellschaftliche Vielfalt aus: "Das Gegenteil von Vielfalt ist Einfalt." Ein Attentat wie in Hanau dürfe sich nicht wiederholen, sagte Wulff. "Wir sind dann am Ziel, wenn es für so was keine Preise mehr gibt."
Auszeichnungen in 14 Kategorien
Insgesamt wurden Menschen und Vereine in 14 Kategorien ausgezeichnet. Das Jugendkulturzentrum JUZ Kesselstadt zum Beispiel in der Kategorie "Institution" - als Anlaufpunkt für junge Menschen verschiedener Kulturen und als Ort der Begegnung. Das Boxtraining für Jugendliche dort vermittle respektvollen Umgang miteinander. Gloria-Sophie Burkandt, Influencerin und Tochter des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), wurde für Zivilcourage ("Courage- und Heldenaward") geehrt.
Die Stadt Rödermark bekam den Preis in der Kategorie "Stadt oder Gemeinde und Einsatz gegen Rassismus". Das Daft-Gesundheitszentrum wurde in der Kategorie "Unternehmen" geehrt, die ZDF-Journalistin Susana Santina in der Kategorie "Journalist/-innen oder Medien und Einsatz gegen Rassismus", Larisa Zurkorlic in der Kategorie "Jugend Sportler/-innen".
Filme erinnern an Hamza
Im Verlauf des Abends erinnerten insgesamt fünf Filme immer wieder an den Namensgeber des Preises, Hamza Kurtović, der mit gerade einmal 22 Jahren ermordet worden war. "Herzlich, freundlich, loyal", so erinnern sich Hinterbliebene darin an ihn. "Mit ihm hatte man immer gute Laune."
Ins Leben gerufen hat den Preis Ernes Erko Kalač. Der ehemalige Europameister war Hamzas Karate-Trainer beim GKV Lotus Eppertshausen (Darmstadt-Dieburg). Die Auszeichnung besteht aus Ehren- und teils aus Geldpreisen.