Hilfe bei Prüfungsangst "Als hätte jemand auf die Löschtaste gedrückt"

Schule, Ausbildung, Studium - wenn bei Prüfungen der Stresslevel steigt, droht ein Blackout. Corona hat bei vielen Betroffenen die Prüfungsangst verstärkt. Eine Therapie kann helfen.
Video
Mit Coaching gegen Prüfungsangst

'Das war's, jetzt bin ich durchgefallen!', schoss Sophie Jost bei einer Prüfung durch den Kopf, die im Rückblick zu ihren schlimmsten gehörte. "Alles, was ich gelernt hatte, war weg. Als hätte jemand die Löschtaste gedrückt", beschreibt sie ihr Gefühl während einer dreistündigen Matheklausur.
Seit der Realschule kämpft die heute 20-Jährige aus Fulda mit ihrer Prüfungsangst, beim Fachabi ist die Sorge vor einem Blackout ihr ständiger Begleiter. Schon Tage vorher findet sie keinen richtigen Schlaf, ist nervös, von allem gestresst.
Seit zwei Jahren macht Jost eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement, ihr Stresslevel bei Prüfungen ist höher als je zuvor. "Auf einer Skala von 1 bis 10 liegt es bei einer Prüfung mindestens bei 12", erklärt die junge Frau. Bei Klausuren könne sie kaum ruhig sitzen, wippe mit den Beinen. Vor allem der eigene Anspruch an sich selbst stehe ihr bei Klausuren im Weg.

Fehlender Austausch lässt Versagensängste steigen
"Prüfungsangst ist durch Corona ein viel größeres Thema geworden", sagt Timo Nolle. Der Erziehungswissenschaftler aus Kassel hat sich auf die Angst bei Klausuren und mündlichen Tests spezialisiert und erlebt eine steigende Nachfrage bei seinen Beratungen. Er ist sich sicher: Der fehlende Austausch im Unterricht und in der Vorbereitung lässt Versagensängste steigen.
Seit Corona ist das soziale Miteinander an Schulen weniger geworden, der Druck steigt laut Hessens Landesschulsprecher Mika Schatz. Dazu findet das Lernen meist isoliert statt. Ein Grund, warum auch die Schülerhilfe Wiesbaden einen steigenden Bedarf an Nachhilfe verzeichnet. Um 20 Prozent habe die Nachfrage im Vergleich zu vor der Pandemie zugenommen.
Für Erziehungswissenschaftler Nolle liegt der Grund für einen steigenden Beratungsbedarf auf der Hand. Das Lernen sei ein kommunikativer Prozess - ohne den Austausch untereinander falle es schwerer, das eigene Wissen einzuschätzen. So seien Versagensängste bei Schülerinnen und Schülern, aber auch bei Studierenden gestiegen - sogar bei Menschen, die vorher keine Probleme gehabt hätten.

Lernmethode: Mentale Landkarte gegen Blackout
Bei Sophie Jost war der Leidensdruck irgendwann so hoch, dass sie sich Hilfe geholt hat. Unterstützung hat sie bei Verena Bettermann gefunden. Sie ist Fachlehrerin für arbeitstechnische Fächer an der Richard-Müller-Schule in Fulda, Ausbildungsbeauftragte am Studienseminar und Lerncoach. Bei ihr hat die Auszubildende Strategien kennen gelernt, durch die sie effektiver lernen kann und vor allem in belastenden Situationen ruhig bleibt.
Die mentale Landkarte ist eine dieser Methoden. Dabei werden Karteikarten mit verschiedenen Begriffen zu einem Oberthema beschrieben und mit Fragen verknüpft. Die Karten werden auf dem Boden ausgelegt und mit den Füßen abgeschritten.
Im Fall von Sophie Jost geht es um Ergonomie. Zu jedem Begriff soll sie im Kopf Fragen beantworten: "Was weißt Du über diesen Begriff? Woher weißt Du das? Was musst Du dazu noch wissen? Wie müsste eine Prüfungsfrage dazu aussehen? Wie hängt diese Karte mit der nächsten Karte zusammen?" Der Effekt: In der Prüfung kann die Auszubildende denselben Weg im Kopf ablaufen und so Sicherheit bekommen, erklärt Bettermann.

Wie Coaching gegen Prüfungsangst hilft
Sie selbst habe die Reaktion einer Schülerin motiviert, sich mit dem Thema Prüfungsangst zu beschäftigen. Ihre Frage "Wie geht es Dir denn jetzt gerade?" hatte die Schülerin kurz vor der Abschlussprüfung an den Rand der Verzweiflung getrieben. Statt einer Antwort habe sie als Reaktion Tränen und Hysterie erfahren. So sei in ihr der Wunsch gereift, durch gezieltes Coaching Menschen mit Prüfungsangst zu unterstützen.
Doch woher kommt die Angst? Der Ursprung liege tief und habe viel damit zu tun, wie man sich selbst mit der Leistung identifiziere, so Nolle. "Wenn man immer das Gefühl hat, man ist nur so viel wert, was man an guten Leistungen abliefert, dann ist jede Prüfung ein Test auf Lebens- und Liebenswürdigkeit. Dann wird es zur Bedrohung oder zur Möglichkeit sich erneut in seinen Selbstzweifeln zu bestätigen", erklärt er.
Ziel: Entkoppelung von Selbstwert und Noten
Das Ziel eines Coachings sei, eine Entkoppelung von Selbstwert und Noten zu erreichen. Noten sollten als das verstanden werden, was sie sind: weder gut noch schlecht. Sondern eine sehr verkürzte Rückmeldung zu dem, was man gelernt und verstanden habe. Sie drückten oft nicht das aus, was wirklich dahinter stecke.
Dennoch: Noten sind Teil unseres Bildungssystems. In Gesprächen versuche er, den Menschen zu vermitteln, wie sie auf eine gute Art und Weise damit umgehen können. Prüfungscoaching sei oftmals eine Leistungsoptimierung - aber auf eine menschenwürdige Art und Weise, so Nolle.
Eine Note besser im Schnitt - Sophie Jost hat die "menschenwürdige Leistungsoptimierung" geholfen. Sie hat mit Verena Bettermanns Unterstützung Methoden gelernt, sich selbst und ihre Nervosität zu regulieren und kann ihre Leistung seitdem in Prüfungen besser abrufen.