Touristenattraktion, Gedenkstätte oder Lagerort? Hindenburg in Marburg: "Irgendwo muss der Mann ja begraben sein"
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Das versteckte Hindenburg-Grab in Marburg

Viele wissen es nicht einmal: Reichspräsident Hindenburg liegt mitten in Marburg begraben - und zwar aus reinem Zufall. Es ist die Geschichte der skurrilen Reise eines Sarges. Und eines Gedenkens, das bis heute kompliziert ist.
"Sehenswert", findet eine Tripadvisor-Rezensentin das Grab. Ein anderer nennt den Ort eine "Rumpelkammer" und fragt "bei allem Verständnis, dass dieses Gedenken nicht leicht ist": Ist das ein angemessener Umgang mit einer Persönlichkeit deutscher Zeitgeschichte?
Die meisten Marburg-Touristinnen und -Touristen standen wohl schon mal davor, vielen dürfte es aber gar nicht bewusst gewesen sein: Mitten in der Elisabethkirche liegen der ehemalige Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847-1934) und seine Frau Gertrud (1860-1921) begraben - und zwar rein zufällig.

Die kastigen Stein-Sarkophage liegen unter dem Nordturm, in der wohl dunkelsten Ecke der Kirche. Das Zugang ist mit einem Seil abgesperrt. Der Name Hindenburg ist nirgends sichtbar, stattdessen hängt an der Wand eine Messingtafel, die auf die Opfer von Krieg und Gewalt hinweist. Nur wer weiß, wer hier liegt, versteht den Zusammenhang.
Ein Marburger Skandal
Hindenburg nimmt eine Sonderrolle in der Geschichte ein, weil er zwar selbst kein Nationalsozialist war, aber Hitler den Weg an die Macht ebnete. Der Marburger Historiker Ulrich Hussong stellt fest: Der Umgang mit dem ehemaligen Reichspräsidenten ist kompliziert. "Und zwar bis heute."
Hussong hat die komplizierte Geschichte Hindenburgs in Marburg und die spätere Wahrnehmung der Gräber neu aufgearbeitet und einen Aufsatz darüber im neuen Geschichtsband "Skandal!? Stadtgeschichten aus Marburg im 20. Jahrhundert" veröffentlicht.
Dass die Hindenburgs überhaupt hier liegen, ist eine dieser skurrilen Geschichten, die wohl nur in den Wirren der Nachkriegszeit passieren konnten, durch eine Mischung aus reinem Zufall und knallhartem Pragmatismus der Alliierten.
Die verrückte Reise von zwei Leichen
1945 wurde das zerstörte Deutschland von den sogenannten Monuments Men durchforstet, deren Wirken auch in einem George-Clooney-Film von 2014 erzählt wird. Diese amerikanische Spezialtruppe sollte von Nazis geraubte Kunstschätze in Sicherheit bringen. Einen besonders merkwürdigen Fund machten sie in einem stillgelegten Salzbergwerk in Bernterode (Thüringen).

In 500 Metern Tiefe entdeckten sie einen zugemauerten Raum. Darin standen vier Särge, reich geschmückt mit Kränzen, allerlei Nazi-Memorabilien und rund 200 Flaggen. Es waren die Särge der Hindenburgs, Friedrich dem Großen und dessen Vater Friedrich Wilhelm I.
Hitler persönlich hatte sie herbringen lassen. Er hatte die Hindenburgs schon 1934 in seinem Tannenberg-Denkmal im heutigen Polen bestatten lassen. Als die Rote Armee anrückte, sollten die Leichen in Bernterode in Sicherheit gebracht werden. Es folgte eine monatelange Odyssee per Lastwagen, Zug und sogar per Schiff über die Ostsee.
Operation Bodysnatch
In Marburg landeten die Särge dann, weil die Monuments Men hier ihr Depot eingerichtet hatten. Die Särge lagerten zunächst im Keller des Marburger Schlosses, dann im Staatsarchiv. Im Rahmen der geheimen "Operation Bodysnatch" entschlossen die Amerikaner dann 1946, die Toten einfach direkt vor Ort zu bestatten. Als protestantische Kirche im Staatseigentum erschien ihnen die Elisabethkirche passend.
"Die Amerikaner haben das einfach so entschieden", sagt Ulrich Hussong. Die Kirche oder die Politik habe kein Mitspracherecht gehabt, obwohl es schon damals Widerspruch gegeben habe. "Die von der SPD geführte Landesregierung in Wiesbaden hat schon damals gesagt: Wenn Hindenburg noch leben würde, hätte man ihn bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilt", so Hussong.
Blumen auf dem Grab
Im Kalten Krieg habe sich die Wahrnehmung Hindenburgs dann noch mal verändert, berichtet Hussong. Plötzlich sei er als Verteidiger Deutschlands gegen Russland gesehen worden. Besonders in den 50er-Jahren seien immer wieder Blumen und Kränze auf sein Grab gelegt worden, zum Beispiel von Vertriebenen. Es habe damals sogar offizielle Veranstaltungen am Grab gegeben, etwa mit Hindenburgs Sohn.
Seit Jahren gibt es nun in vielen Städten wieder Diskussionen um das Gedenken an Hindenburg und insbesondere an Straßen und Plätze, die nach ihm benannt wurden. In Darmstadt und Bad Homburg laufen derzeit Umbenennungsprozesse, in Fulda und Frankfurt hat man das schon zeitnah nach dem Krieg erledigt. Doch ein Grab wird man nicht so einfach los.
Grab im Stadtführer
Während die Könige 1952 auf Wunsch der Familie in die Burg Hohenzollern (Baden-Württemberg) gebracht wurden, fordern bei den Hindenburgs keine Nachkommen eine Umsetzung, erklärt Ulrich Hussong. Das Familiengrab in Hannover, wo Gertrud Hindenburg bis 1934 beigesetzt gewesen war, sei bis heute frei.

Das Grab in der Elisabethkirche sollte nie ein Denkmal sein, sagt Hussong. "Aber ist leider trotzdem eine Art Sehenswürdigkeit geworden." Das liege unter anderem daran, dass es auch schon in einem Stadtführer aus den 90er-Jahren abgebildet worden sei, der aber inzwischen vergriffen sei.
Forderung nach besserer Beleuchtung
"Es kommen sehr regelmäßig Leute, die nach den Gräbern fragen, weil sie zum Beispiel im Internet darauf gestoßen sind", berichtet Pfarrer Achim Ludwig. Hin und wieder kämen auch Menschen, die Hindenburg verehren oder sogar Blumen ablegen wollen, zum Teil sogar aus dem Ausland.
Es sei auch schon gefordert worden, dass das Grab besser ausgeschildert und beleuchtet wird, so der Pfarrer. "Ich sage dann immer: Selbst das Grab von Elisabeth ist nicht beleuchtet und da ist auch kein Schild dran."
Pfarrer: "Es zeigt die Widersprüche"
Der Pfarrer hat eine recht gelassene Sicht auf das Grab. "Ich finde das letztlich gar nicht problematisch", sagt er. Das Grab zeige, dass die Kirche ein Teil dieser Welt ist, mit all ihren Widersprüchen. "Direkt gegenüber hängt Barlachs Kruzifix - das haben die Nazis als entartet bezeichnet."
Es sei für ihn eine gute Möglichkeit, um ins Gespräch zu kommen und sich darüber bewusst zu werden, wie gefährdet diese Welt ist. "Geschichte ist da, man muss sie nachvollziehen, aber man kann sie nicht löschen."
Stadt: "Wir reden nicht darüber"
Auch die Stadt habe "einen Umgang" damit gefunden, sagt Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD). Und zwar: "Wir reden nicht darüber." Das Grab werde ganz bewusst in den Publikationen von heute nicht erwähnt. Auch die unscheinbare Gestaltung in der Elisabethkirche findet Spies gut.
Die Stadt wolle auf keinen Fall, dass das Grab zu einem Pilgerort "für die falschen Leute" werde. Es sei für ihn kein Erinnerungsort, sondern eher ein "Lagerort", so der Oberbürgermeister. "Keiner beachtet es - das ist eigentlich kein schlechter Zustand."
Spies nennt Marburg einen "ahistorischen Standort" für das Grab. "Aus Sicht der Stadt gibt es keinen Grund, warum Hindenburg hier liegen sollte, aber irgendwo muss der Mann ja begraben sein." Es habe in der Vergangenheit immer wieder mal Diskussionen um eine Umbettung gegeben, aber aktuell fordere das niemand. "Wenn jemand einen besseren Ort dafür hätte, hätte ich aber nichts dagegen."
Paul von Hindenburg
Hindenburg (1847-1934) stammte aus einer Militärfamilie und übernahm im Ersten Weltkrieg das Kommando bei der Schlacht am Tannenberg. Der Mythos um diesen Sieg über die russische Armee veranlasste später Adolf Hitler zu seinem Tannenberg-Denkmal. Aus einer komplexen politischen Lage heraus wurde der parteilose Hindenburg 1925 per Direktwahl zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. 1933 ernannte er dann, trotz seiner anfänglichen Abneigung, Hitler zum Reichskanzler und löste den Reichstag auf. Bis heute sind Hindenburgs Motive und seine Rolle am Übergang zur NS-Zeit umstritten.
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