Unzählige Akten sind ordentlich in meterhohe Regale eingeräumt.

Ein Ort, ein Datum, eine Todesursache: Ein Standesbeamter in Bad Arolsen stellt Sterbeurkunden für Ermordete in den NS-Konzentrationslagern aus. Für Angehörige ein wichtiges Dokument.

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Sterbeurkunden für Ermordete in NS-Konzentrationslagern

hs 22.03.2023
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Ermordet, liegengelassen, eingeäschert oder verscharrt. Das sind die Schicksale der Menschen, denen Siegfried Butterweck 78 Jahre nach Ende der Herrschaft der Nationalsozialisten nachforscht. Butterweck stellt als Standesbeamter Sterbeurkunden von Todesopfern aus deutschen Konzentrationslagern aus.

Der 64-Jährige arbeitet im Rathaus von Bad Arolsen (Waldeck-Frankeberg), im einzigen Sonderstandesamt Deutschlands. Er gibt den Angehörigen ein verlorenes Puzzleteil zurück: ein Sterbedatum, einen Ort, an dem das Leben des Großvaters, der Mutter oder einer Tante endete.

Im Jahr 1949 hatte das Land Hessen entschieden, dass in Bad Arolsen die Zuständigkeit für Sterbefälle aus Konzentrationslagern liegen soll. Zwei Jahre später - 1951 - legte dann der Bundestag fest, dass ausschließlich hier Todesfälle ins Sterberegister eingetragen und Sterbeurkunden ausgestellt werden dürfen. Warum Bad Arolsen? Weil hier auf die Nachforschungen des Internationalen Suchdiensts (IST) zurückgegriffen werden konnte.

Im Sonderstandesamt Bad Arolsen

"Hinter jeder Karteikarte steht ein Mensch"

Auch heute noch geht eine Handvoll Anfragen pro Woche ein. So wie die einer Französin. Sie möchte die Sterbeurkunde ihres Cousins, der in Mauthausen, einem Konzentrationslager in Österreich, starb.

Butterweck gibt über das Tastenfeld einer riesigen Registratur die Anfangsbuchstaben des Namens ein. Rumpelnd setzt sich die Maschine mit ihren Karteikästen in Bewegung. Darin, fein säuberlich sortiert, viele kleine Zettel, die die Schicksale Hunderttausender ermordeter Menschen dokumentieren. Bei dem gesuchte Kästchen hält die Maschine. Der Standesbeamte blättert durch die Einträge und wird fündig.

Im Jahr 1955 ist der Tod des Cousins bereits beurkundet worden, unter der Sterbebuchnummer 4.108. Als Todesursache ist eine Herzschwäche vermerkt, eingetreten an einem Novembertag 1944, nachmittags um 16.30 Uhr. "Doch das alles muss nicht der Wahrheit entsprechen", stellt Butterweck fest. Die wahren Gründe benennen die Dokumente oft nicht.

Der Standesbeamte wird jetzt den Sterbeeintrag raussuchen und eine Sterbeurkunde oder die Ablichtung des Eintrags nach Frankreich schicken. "Hinter jeder Karteikarte steht ein Mensch, der ein schlimmes Schicksal erlitten hat", sagt Butterweck.

Blick in das Archiv der Arolsen Archives: Im Vordergrund liegen graue Kartons mit Unterlagen, fein säuberlich beschriftet. Im Hintergrund sieht man eine grauhaarige Frau zwischen hohen Regalen.

Seit mehr als vierzig Jahren arbeitet der 64-Jährige im Sonderstandesamt Bad Arolsen. Waren die Beurkundungen früher notwendig, um Ansprüche geltend zu machen und zu belegen, dass ein Verwandter wirklich in einem KZ ermordet wurde, geht es heute vor allem um etwas anderes: Um die Aufarbeitung der eigenen, familiären Geschichte.

Die heutige Enkelgeneration frage nach, erklärt Butterweck, auch, um die nähere Umstände des Todes zu erfahren. Neben Butterweck wühlen sich ein weiterer Standesbeamter und zwei Angestellte durch Akten, Sterbebücher und Sterberegister.

Ihre Arbeit gleicht der von Detektiven. Sie forschen nach Namen, Geburtsdaten - und den Geschichten der Menschen, die ums Leben gekommen sind.

Sichtbarmachung der Verbrechen von 1939 bis 1945

Auf einem braunen Rollwagen liegt ein aufgeschlagener Karton, darin eng beschriebene, vergilbte Todeslisten aus einem Konzentrationslager.

Das Team macht so die Verbrechen von 1933 bis 1945 sichtbar. Unterstützung bekommen sie dabei von den Arolsen Archives, dem Nachfolger des Internationalen Suchdiensts. In dem Zentrum für Dokumentation, Information und Forschung über die nationalsozialistische Verfolgung lagern rund 30 Millionen Dokumente.

Die Datensätze des Archives gehören zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Der Bestand erweitert sich ständig. Immer wieder gehen neue Todes- und Transportlisten beispielsweise aus Theresienstadt in Tschechien oder Yad Vashem in Israel ein.

Insgesamt 350.000 Sterbefälle hat das Sonderstandesamt bisher beurkundet. In der NS-Zeit wurden aber viele Millionen Menschen in den Konzentrationslagern ermordet. Dieses Verhältnis allein zeigt, dass die Arbeit noch lange nicht beendet ist. Die Arbeit ist mühsam. Es fehlen viele Unterlagen.

Nur aus den Konzentrationslagern in Dachau und Buchenwald können die Mitarbeier des Sonderstandesamtes auf nahezu komplett erhaltene Dokumente zurückgreifen. Von anderen Lagern sind nur bruchstückhaft Informationen erhalten geblieben.

So könne man nur wenig Sterbefälle von dort beurkunden, erklärt Butterweck und ergänzt: "Unsere Arbeit wird immer nur Stückwerk bleiben". Ende des Jahres geht Siegfried Butterweck in Rente. Dann wird ein anderer seine Arbeit fortführen.

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Die Rechtsgrundlage

Die Rechtsgrundlage für das Sonderstandesamt ist im Personenstandsgesetz festgeschrieben: "Für die Beurkundung der Sterbefälle von Häftlingen der ehemaligen deutschen Konzentrationslager ist im Inland das Sonderstandesamt in Bad Arolsen ausschließlich zuständig", heißt es im § 28, der Sterbefälle in ehemaligen Konzentrationslagern regelt.

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