Audio

Was Rettungskräfte im Einsatz erleben

Zwei Rettungskräfte rennen mit einer Trage neben einem Einsatzfahrzeug mit der Aufschrift Malteser,

Wenn Rettungskräfte angegriffen werden, macht das Schlagzeilen und sorgt für Empörung. Doch schlimmer als spektakuläre Einzelfälle finden Helfer die Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit anderer. Betroffene berichten.

An einige Einsätze, bei dem ihm als Rettungssanitäter pure Gewalt entgegenschlug, kann sich Oliver Pitsch noch gut erinnern: Da gab es den Notfall in einem Club in Frankfurt-Bockenheim, bei dem das Rettungsteam mit Billardkugeln beworfen wurde. Den Mann, der mit einem Knüppel auf die Helfer losging, nachdem er schon seine Frau schwer verletzt hatte.

Oder einen Einsatz rund um die Krawalle bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank 2015, als Pitsch und Kollegen plötzlich in einem Pulk aggressiver Menschen gefangen waren. "Wir wussten nicht, wie wir da rauskommen sollten. Mittendrin statt nur dabei", sagt er mit einer Portion Galgenhumor. Solche Momente beschäftigen Helfer noch lange, weiß Pitsch, der auch Regionalvorstand der Johanniter-Unfall-Hilfe ist: "Daran hat man erstmal zu knabbern."

Verrohung, Gleichgültigkeit, Respektlosigkeit

Allerdings seien derartige Eskalationen die absolute Ausnahme. Sie betreffen vielleicht ein Prozent aller Einsätze, wie auch sein Kollege Michael Mauderer vom Johanniter Ausbildungs- und Trainingszentrum (JATZ) schätzt. Was jedoch alle Rettungsdienstmitarbeitenden erlebten: eine zunehmende Verrohung, Gleichgültigkeit und Respektlosigkeit.

"Die üblichen Verbalinjurien dokumentieren wir gar nicht mehr. Dass man bespuckt wird, dass man gestoßen wird, dass gegen das Auto getreten wird", sagt Sven Seeger, Mitarbeiter beim Malteser Hilfsdienst und selbständiger Sicherheitsberater. Seeger ist seit mehr als 20 Jahren im Rettungsdienst und auch in der Weiterbildung tätig.

Weitere Informationen

Angriffe auf Rettungskräfte

Nach Angaben des Innenministeriums wurden im Jahr 2021 insgesamt 138 Angriffe auf Rettungskräfte in Hessen registriert, im Vorjahr waren es noch 86 gewesen. Da in der Statistik nur solche Fälle erscheinen, in denen Anzeige erstattet wird, dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen.
Das Bundeskriminalamt registrierte bundesweit 2.160 Angriffe gegen Helfer von Feuerwehr oder Rettungsdienst mit 3.083 Opfern. Auch diese Zahlen liegen laut BKA über dem Niveau des Jahres 2020.

Ende der weiteren Informationen

Alle Rettungsdienste stünden im Moment unter enormem Druck, sagt er. "Wir haben einen sehr, sehr großen Fachkräftemangel, wir haben eine extreme Auslastung und zum Teil geht es an körperliche und psychische Grenzen." In einer Zwölf-Stunden-Schicht seien in größeren Städten mitunter zwölf bis 14 Einsätze zu fahren.

Menschen in Ausnahmesituationen

Gleichzeitig treffen die Rettungskräfte bei vielen Einsätzen auf Patienten und Angehörige in Ausnahmesituationen. Besonders Alkohol und Drogen bergen ein hohes Aggressionspotenzial. "Sie haben keine Vorstellung, welche Kräfte Menschen unter Drogeneinfluss entwickeln", sagt Markus Schips, Landesgeschäftsführer der Malteser und selbst lange im Rettungsdienst aktiv. "Uns ist es deshalb ganz wichtig, dass unsere Mitarbeitenden auf solche Situationen gut vorbereitet sind."

In manchen Situationen entwickele sich auch eine Gruppendynamik, "wo manche Männer einfach meinen, den Starken machen zu müssen". Gerade weibliche Rettungskräfte hätten es in solchen Situationen schwerer, sich Respekt zu verschaffen.

Pfefferspray suggeriert falsche Sicherheit

Solche Erfahrungen wecken bei manchen Helfern den Wunsch, sich besser zu schützen. Schutzwesten, Pfefferspray oder gar Grundkurse in einer Kampfsportart - solche Maßnahmen lehnen die Rettungsdienstler, die hier zu Wort kommen, unisono ab.

Aus mehreren Gründen: Schusssichere Westen zum Beispiel müssten immer getragen werden, auch bei 12-Stunden-Schichten und bei 30 Grad im Schatten - das wollen die Wenigsten. Pfeffersprays und Co. suggerierten eine falsche Sicherheit, denn falsch eingesetzt würden sie die Anwender selbst gefährden.

Auch Schutzwesten & Co. provozieren Eskalation

Das wichtigste aber: Derartige Hilfsmittel würden eine Eskalation in den Rettungseinsatz bringen, weil sie dem Gegenüber signalisieren: Wir rechnen mit einer Konfrontation.

Ein Rettungsassistent vom Bayerischen Roten Kreuz präsentiert eine Schutzweste die er während seiner Arbeit trägt.

Sven Seeger, der auch als Deeskalations-Coach arbeitet, bringt es so auf den Punkt: "Wir werden von Menschen gerufen, die medizinische Hilfe benötigen." Da müsse es möglich sein, die Wohnung eines 80-jährigen Menschen zu betreten, der über hohen Blutdruck klagt, ohne dass er befürchten müsse, eine Einheit der Bundeswehr stürme die Wohnung.

Eigensicherung geht vor

Aber nicht jeder Einsatz gilt betagten Patienten, und Einsätze im Frankfurter Bahnhofsviertel sind objektiv gefährlicher als zum Beispiel die meisten auf dem Dorf, sagt Malteser-Chef Markus Schips. In ihren Seminaren versuchen Seeger und sein Kollege Michael Mauderer von den Johannitern deshalb, ihre Kolleginnen und Kollegen für potenziell gefährliche Situationen zu sensibilisieren.

Audiobeitrag

Audio

Malteser-Sanitäter Sven Seeger über den Rettungswagen als Störfaktor

Porträtfoto Sven Seeger
Ende des Audiobeitrags

Am Anfang stehe immer eine Einschätzung der Situation: Kann Hilfe geleistet werden, ohne sich selbst zu gefährden? Wie ist die räumliche Situation, welche Menschen sind noch vor Ort? Im Zweifelsfall müsse man die Polizei rufen, um sich abzusichern.

Dann aber setzen die Trainer vor allem auf kommunikative Kompetenz. Neben den theoretischen Grundlagen der Kommunikation gehe es viel um die Analyse kritischer Situationen - zum Beispiel in Rollenspielen, sagt Michael Mauderer: "Wie ist meine eigene Emotion in einer bestimmten Situation, welche Signale sende ich körperlich oder durch meine Sprechweise?"

Gestiegener Stresspegel

Dass sie bei ihrer Arbeit mit Menschen in Ausnahmesituationen zu tun haben, gehört zum Berufsbild der Rettungskräfte. Insgesamt sei aber überall in der Gesellschaft der Stresspegel gestiegen, hat Oliver Pitsch beobachtet. Einen Grund dafür sieht er in den Belastungen der vergangenen Jahre: "Es gibt ein emotionales Grundrauschen nach Corona, das die Menschen belastet. Die Gesellschaft musste in den letzten drei Jahren viel ertragen, da gibt es ein gewisses Aggressionspotenzial."

Und das überschatte nicht nur die Arbeit mit den Patienten. Als mindestens genauso belastend beschreiben die Helfer von Maltesern und Johannitern die generelle Missachtung ihrer Arbeit. "Wir fahren aus der Wache mit Blaulicht raus und das ist eigentlich ein Signal dafür, dass sich möglicherweise gerade ein Mensch in Lebensgefahr befindet. Sie glauben nicht, wie viele Leute sich mit strafendem Gesichtsausdruck demonstrativ die Ohren zuhalten, wenn wir vorbeifahren", ärgert sich Seeger.

Rettungskräfte als Dienstleister

Pitsch hat das Gefühl, dass ein Rettungsfahrzeug, das im Einsatz die Straße blockiert, ähnliche Aggressionen weckt wie ein Müllauto, das gerade die Tonnen entleert: "Die Leute fühlen sich durch Dienstleister wie uns in ihrem Komfort gestört."

Ein Mann und eine Frau beatmen einen Patienten im Rettungswagen

Dienstleister - auch das ist ein Stichwort, das den Frust der Helfer gut beschreibt. Häufig würden sie zu Haus-Einsätzen gerufen, die alles andere als ein Notfall sind, sondern eher ein Fall für den Hausarzt oder den Apotheken-Notdienst. Viele Menschen gerade in der Stadt kämen gar nicht mehr auf die Idee, einen kleinen Unfall oder Erkältungsinfekt selbst zu behandeln, sagt Schips vom Malteser-Rettungsdienst: "Sie rufen einen Rettungswagen, weil es einfach ist. Ob das nur ein Schnupfen war oder nicht, entscheidet sich dann."

Wer einen Rettungswagen anfordert, solle immer bedenken: "Wir bewegen uns mit fünf Tonnen mit Blaulicht durch eine Stadt. Wir haben sehr, sehr knappe Ressourcen. Wir haben sehr, sehr viele Notfälle und wir sind darauf angewiesen, dass alle daran mitarbeiten, dass wir die auch gezielt einsetzen."

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen