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Mehr Fälle von Kindeswohlgefährdungen in Hessen

Fotografischer Schattenriss: Zwei Hände greifen nach einem Kind

Die Zahl der missbrauchten und vernachlässigten Kinder in Hessen nimmt weiter zu. 2021 wurden so viele Kindeswohlgefährdungen wie noch nie seit Beginn der Statistik festgestellt.

Die hessischen Jugendämter haben im vergangenen Jahr in 5.134 Fällen eine Kindeswohlgefährdung festgestellt, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Das waren so viele Fälle wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnung im Jahr 2012.

Dem zugrunde liegen Gefährdungseinschätzungen, die die Ämter nach Hinweisen durchführen. Davon gab es im vergangenen Jahr insgesamt 15.408, das waren 200 weniger als 2020. Die Hälfte davon betraf Kinder unter 7 Jahren. Festgestellt worden sei in 2.679 Fällen eine akute und in 2.455 Fällen eine latente Kindeswohlgefährdung, berichtete das Landesamt.

Eingeschränkter Kontakt während Corona

Ein Grund für den Anstieg könnte die Corona-Pandemie sein. "Von einem Tag auf den anderen musste alles in den häuslichen vier Wänden stattfinden", sagt die Frankfurter Familienforscherin Sabine Andresen. Die Pandemie habe viele Eltern an ihre Grenzen gebracht und zu Konflikten geführt.

Seit Beginn der Pandemie sind die Möglichkeiten von Pädagogen, Sozialarbeitern und Kinderärzten eingeschränkt, um Kontakt zu prekären Familien zu halten. Die Stellen und Institutionen, die normalerweise Familien unterstützen, konnten nur bedingt arbeiten, Familien nicht regelmäßig besuchen, nur wenige Gespräche persönlich führen.

Fast 50 Prozent psychische Misshandlungen

Ursache für die Kindeswohlgefährdungen im Jahr 2021 waren in 48 Prozent psychische Misshandlungen, in 47 Prozent Vernachlässigung, in 25 Prozent körperliche Misshandlungen und in 5 Prozent Anzeichen sexueller Gewalt. Vorläufige Schutzmaßnahmen wie Inobhutnahme oder Herausnahme aus einem Heim oder der Familie ordneten die Ämter für Kinder und Jugendliche in 4.214 Fällen an.

"Das ist immer das letzte Mittel", sagt Sozialarbeiterin Vivane Osterhoff, wenn ein Kind akut in Gefahr sei und nicht anders geschützt werden könne.

Große Überwindung für Kinder

Für alle Beteiligten, aber vor allem für die Kinder sei das eine belastende Situation. Es koste Kinder und Jugendliche "eine große Überwindung, sich überhaupt irgendjemandem anzuvertrauen".

Deswegen müsse die Gesellschaft sensibler werden und genauer hinschauen, fordert Familienforscherin Sabine Andresen. Sie appelliert etwa an Nachbarn, sich bei Verdacht auf Kindesmisshandlung in ihrer Umgebung an die Behörden zu wenden.

In 873 Fällen das Sorgerecht entzogen

Ursache der meisten Gefährungen im Jahr 2021 waren den Angaben zufolge überforderte Eltern (35 Prozent), unbegleitete Einreisen aus dem Ausland (32 Prozent) sowie Anzeichen für Vernachlässigung (13 Prozent) oder körperliche Misshandlungen (14 Prozent).

In 873 Fällen wurde Eltern das Sorgerecht für ihr Kind vollständig oder teilweise entzogen, dies waren fünf Prozent mehr solcher Fälle als im Jahr zuvor. Sozialarbeiterin Osterhoff ermutigt auch überforderte Eltern selbst, sich hilfesuchend an das Jugendamt zu wenden.

Weitere Informationen

Anlaufstellen für Kinder, Eltern und Nachbarn

Informieren Sie bei Gewalt in Familien die Polizei unter 110.

Für Eltern:

  • Anonyme Telefonseelsorge: 0800/1110111 und 0800/1110222
  • Elterntelefon der "Nummer gegen Kummer": 0800/1110550
  • Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800/2255530 oder Online-Beratung unter nina-info.de
  • "Werkzeug für Familien" gegen Stress hier


Für Kinder:

  • Kinder- und Jugendtelefon der "Nummer gegen Kummer": 0800/1110333
  • Kinder- und Jugendtelefon: 116111
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