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Erzieher bemängeln Mehrbelastung

Portraits von fünf Erzieher*innen als Collage zusammengestellt.

Frustrierte Eltern, schlaflose Kinder und die Sorge um die eigene Gesundheit: Zwei Jahre Pandemie haben den Erzieherinnen und Erziehern in Hessens Kitas viel abverlangt. Fünf von ihnen berichten aus ihrem Alltag und was sie sich von der Politik wünschen.

Zwei Jahre Pandemie liegen hinter ihnen, und noch immer bemängeln Erzieherinnen und Erzieher Mehrbelastung und unklare Corona-Regeln für Kindergärten und Kitas in Hessen. Jetzt rollt Omikron durch die Einrichtungen und dünnt das Personal aus - in einer Berufsgruppe, die seit Jahren unter Fachkräftemangel leidet.

"Wir brauchen in Hessen unbedingt einheitliche Regelungen beim Testen und bei den Quarantäneregeln", fordert der deutsche Kitavervand. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kritisiert am Freitag außerdem, es gebe eine "Gratwanderung zwischen dem Bildungsauftrag in den Kindertageseinrichtungen und dem nötigen Infektionsschutz". Der Druck durch Quarantäneverordnungen und Hygienemaßnahmen steige. Deshalb sei oft nur noch eine Betreuung der Kinder möglich - und der Bildungsauftrag stehe zurück. Wie sieht der Job also in der Praxis aus? Hier erzählen fünf Erzieherinnen und Erzieher aus Hessen.

Steven Förster, 31 Jahre alt, aus Frankfurt

Im Frankfurter Gallus arbeitet Steven Förster als Erzieher bei den Main(zer) Krabben. Dort betreut er Kinder unter drei Jahren, darunter auch einige mit Beeinträchtigung, denn die Einrichtung arbeitet inklusiv. Er sagt: Die Hoffnung, dass sein Beruf in der Pandemie endlich mehr Wertschätzung erfahren könnte, sei schnell geplatzt.

Steven Förster, Erzieher aus Frankfurt

Förster: "Am Beginn der Pandemie hat unser Beruf auf einmal an Bedeutung gewonnen. Wir waren - oder sind es noch - systemrelevant. Das hat sich gut angefühlt. Aber leider hielt dies nicht lange an: Schnell war klar, dass Systemrelevanz für Erzieherinnen und Erzieher bedeutet, dass wir, koste es was es wolle, arbeiten müssen. Damit die anderen Systeme am Laufen gehalten werden. Die Einmalzahlung war schön, aber nimmt uns ja nicht die Belastung: Wir durften hinter den Kulissen schauen, dass alles am Laufen gehalten wird, die Kinder bestmöglich betreut werden, die Eltern aufgefangen werden - sprich: alle Aufgaben, die die Bundesregierung verschlafen hat.

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„Ein großes Spannungsfeld zwischen Eltern, Leitung und Erzieherinnen und Erziehern ergab sich, da wir oftmals die Ängste, Unsicherheiten, Wut und Frustration der Eltern ungefiltert zu spüren bekamen.“ Steven Förster Steven Förster
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In meinem Kollegium haben wir viele Erzieherinnen und Erzieher, die selbst Eltern und somit gleich doppelt belastet sind: die Betreuung ihrer eigenen Kinder gewährleisten und gleichzeitig noch ihrer pädagogischen Arbeit nachgehen. Ein großes Spannungsfeld zwischen Eltern, Leitung und Erzieherinnen und Erziehern ergab sich, da wir oftmals die Ängste, Unsicherheiten, Wut und Frustration der Eltern ungefiltert zu spüren bekamen. Kurzfristig beschlossenen Regeln von der Bundesregierung, mussten sofort in den Kitas umgesetzt werden. Somit waren die Wochenenden damit gefüllt, Elternbriefe zu schreiben oder die Eltern telefonisch zu kontaktieren.

Die wenigen Fachkräfte müssen jetzt noch mehr stemmen als zuvor. Wir setzen uns jeden Tag dem Risiko aus, angesteckt zu werden. Auch ältere Kolleg:innen setzten, drastisch gesagt, ihr Leben aufs Spiel - vor allem in den ersten Wellen. Zum Glück arbeite ich bei einem Träger, der sich sehr darum bemüht, seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzuhören und zu unterstützen: Wir können zum Beispiel Supervision bekommen und eine Fachberatungsstelle im Haus kontaktieren."

Pia Dölp, 28 Jahre alt, aus Darmstadt

Einen Spagat zwischen verschnupften Kindern, der Sorge vor Omikron und dem eigenen pädagogischen Anspruch erlebt Pia Dölp. Sie arbeitet seit fünf Jahren als Erzieherin, derzeit für das evangelisches Dekanat Darmstadt Stadt in Darmstadt-Bessungen. Entlastung würden ihrer Meinung nach klarere Corona-Regeln bringen.

Erzieherin Pia Dölp aus Darmstadt

Dölp: "Seit einem Jahr dürfen die Eltern nicht mehr in den Kindergarten. Das macht es anstrengender für uns als Erzieher. Dann rennt man hin und her, dann werden die Eltern ungeduldig. Sie haben aber viel Verständnis. Wir hatten zunächst keine Schnelltests. Wir mussten uns aktiv darum kümmern. Die größte Herausforderung ist der Spagat zwischen normalen Krankheiten, die Kinder in dem Alter haben, und der Omikron-Variante.

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„Wir Erzieher fallen hinten runter, als wären wir nicht wichtig. Das frustriert ungemein.“ Pia Dölp Pia Dölp
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Ich würde mit klare Vorschriften wünschen, was geht und was nicht. Es wurden nie klare Angaben gemacht, woran wir uns zu halten haben. Dadurch gab es viel Unsicherheit. Für Schulen war das klarer geregelt. In der Berichterstattung war auch oft von den Schulen die Rede - und Kitas kamen im Nebensatz. Wir Erzieher fallen hinten runter, als wären wir nicht wichtig. Das frustriert ungemein. Die ersten sechs Jahre sind so prägend für Kinder und setzen den Grundstein für alles Weitere. Das wird in der Politik total vergessen. Wir müssen Wissen haben über kognitive Wahrnehmung, grob- und feinmotorische Entwicklung der Kinder."

Thorsten Willig, 47 Jahre alt, aus Wiesbaden

Die Waldkindergarten-Gruppe von Thorsten Willig hat Glück: "Wir haben das Problem mit dem Lüften nicht", sagt der 47 Jahre alte Erzieher: "Das ist ein Geschenk." Seine Gruppe gehört zum Kinderhaus Elsässer Platz in Wiesbaden. Probleme gab es aber auch hier. Fachkräftemangel, Sorgen um die eigene Gesundheit und ungeduldige Eltern treiben ihn um.

Thorsten Willig, Erzieher aus Wiesbaden

Willig: "Seit es den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gibt, ist die Kita-Landschaft zwar gewachsen, aber die Zahl der Fachkräfte ist nicht mitgewachsen. Da gibt es den Brennglaseffekt: Das Problem wird verschärft durch Corona, weil man Personal nicht mehr so einfach hin- und herschieben kann. Dazu kommt die psychische Belastung, die Sorge sich anzustecken oder andere anzustecken.

Jetzt, wo Omikron sich so stark ausbreitet, fragt man sich: Trifft es mich nun doch? Es gibt jetzt öfters den Fall, dass Kinder infiziert sind. Da ist Gesundheitsschutz ein Thema. Die Impfung hat mich persönlich entlastet. Wir haben eine Impfquote von etwa 90 Prozent unter den Erziehern - auch, weil man sonst so wenig tun kann, um sich zu schützen. Was akut entspannen würde, wäre, wenn es für alle die Möglichkeit gäbe, sich testen zu lassen - so wie in den Schulen.

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„Es gab eine Situation, in der meine Chefin fast die Polizei gerufen hätte.“ Thorsten Willig Thorsten Willig
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Es gab ja Zeiten, in denen nur Notbetreuung angeboten wurde. Das haben die Eltern eigentlich gut mitgetragen. Um die Einlasskontrollen gab es allerdings schon derbe Auseinandersetzungen mit Eltern. Einmal hätte meine Chefin sogar fast die Polizei gerufen, weil sie bedroht wurde."

Patricia Noll, 53 Jahre alt, aus Bad Sooden-Allendorf

Erzieherin Patricia Noll ist seit 31 Jahren im Job und arbeitet in einer städtischen Kita in Bad Sooden-Allendorf. Dort gibt es drei Gruppen mit Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren und eine Krippe mit Kindern von eins bis zweieinhalb. Corona sei die größte Herausforderung, die sie in ihrem Beruf erlebt hat, sagt sie - und ist trotzdem guter Dinge.

Erzieherin Patricia Noll aus Bad-Soden-Allendorf

Noll: "Im Frühjahr 2021 hatten wir keine Infektionen, dann ging es los. Das Haus war zwei Wochen dicht, während die Impfungen starteten. Wir hatten dann eingeschränkt geöffnet. Wir durften Kinder nicht mischen, wie aktuell. Normalerweise ruhen Kinder mittags - das ist jetzt nicht so. Jetzt schläft und isst jeder in seinem Raum. Draußen hatten wir einzelne Bereiche abgesperrt. Aber Zwei- bis Dreijährige verstehen das nicht so, das ist normal. Sie haben sich aber schnell reingefunden und haben bei Regeln wie zum Beispiel Händewaschen klasse mitgemacht.

Die getrennten Gruppen machen es schwieriger, weil genügend Leute da sein müssen, die alles abdecken. Vorher konnten wir Kinder zusammenstecken, mit zwei Erziehern. Heute sind wegen der Gruppentrennung vier bis sechs Kräfte nötig. Aktuell haben wir einige infizierte Kräfte - jetzt wird es echt eng.

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„Ich bin seit 31 Jahren Erzieherin in derselben Kita. Ich habe viel erlebt, aber Corona ist das Herausforderndste, was wir die letzten Jahre hatten.“ Patricia Noll Patricia Noll
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Ich bin seit 31 Jahren Erzieherin in derselben Kita. Ich habe viel erlebt, aber Corona ist das Herausforderndste, was wir die letzten Jahre hatten. Die Strukturierung der Abläufe, die ständig neue Regeln, manchmal innerhalb von zwei Wochen. Auch der Umgang mit Eltern, die lauter werden, weil ihnen vieles nicht gefällt. Andererseits kann ich das verstehen, denn Eltern müssen planen und müssen arbeiten.

Ich mache meinen Beruf immer noch sehr gerne. Es gab Momente, wo alles ganz eng wurde und man keine Lust mehr hatte. Aber wenn ich mit den Kindern zusammen bin, dann weiß ich, warum ich den Beruf mache."

Fynn Böttcher, 17 Jahre alt, aus Vellmar

Die Eindrücke von Fynn Böttcher sind noch ganz frisch: Der 17-Jährige macht eine Ausbildung zum Sozialassistenten und absolviert seit drei Wochen seinen Praxisteil in einer städtischen Kita in Obervellmar (Kassel). Sozialassistenten sind unterstützende Erzieher und Lehrer.

Sozialassistent Fynn Böttcher

Böttcher: "Für Erzieher ist es gerade schwierig: Sie müssen Tests aushändigen, Gruppen dürfen nicht durchmischt werden. Dadurch ist es auch schwieriger für die Kinder, andere Kinder kennenzulernen. Weil es nur einen Schlafraum gibt und Gruppen nicht durchmischt werden dürfen, können jüngere Kinder nicht unbedingt schlafen gehen. Kinder, die lange da sind, die hängen dann durch.

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„Weil es nur einen Schlafraum gibt und Gruppen nicht durchmischt werden dürfen, können jüngere Kinder nicht schlafen gehen.“ Fynn Böttcher Fynn Böttcher
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Für Kinder ist der Alltag relativ normal, weil es keine Maskenpflicht gibtAber wir können weniger machen als früher. Ich trage Maske, andere Erzieher auch - zur Sicherheit - und lüften regelmäßig. Ich würde mir vielleicht bessere Konzepte von der Politik wünschen - und Forschungen darüber, ob es bei Durchmischungen von Kindergruppen tatsächlich mehr Corona-Fälle gibt."

Weitere Informationen

Kennzahlen zum Erzieher-Job

Betreuungsschlüssel in Hessen:
Pro Erzieher 3,8 Kinder (unter drei Jahren)
Pro Erzieher 9,5 Kinder (über drei Jahre)
Fachkräftemangel:
Bis 2030 müssten bis zu 27.000 Erzieher neu eingestellt werden, glaubt die GEW. Gründe dafür seien ein höherer Bedarf an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren und der erwartbare Renteneintritt von Erzieherinnen und Erziehern.
Krippen-Bedarf:
Die Zahl der Kinder in der Krippenbetreuung ist laut GEW in den vergangenen zehn Jahren von ca. 25.000 auf über 58.000 gestiegen.

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