Kritik an Corona-Politik Virologin Ciesek "nicht glücklich" mit Verkürzung des Genesenen-Status
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Ciesek-Kritik an verkürztem Genesenen-Status

Nur noch drei statt sechs Monate Genesenen-Status - diesen Beschluss sieht die Frankfurter Virologin Ciesek kritisch. Gerade Jugendliche profitierten vom frühzeitigeren Boostern oft wenig. Auch an anderen Entscheidungen in der Corona-Politik zweifelt sie.
Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek hält die Verkürzung des Genesenen-Status von sechs auf drei Monate für problematisch. Die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Frankfurter Uniklinik plädierte am Freitag dafür, den Zeitpunkt des Boosterns nach Genesung "individual-medizinisch" zu entscheiden.
"So richtig glücklich und zufrieden bin ich nicht mit den Regelungen", sagte Ciesek. Einen einheitlichen Zeitpunkt für alle zu definieren, sei "sehr schwierig". Es müsse berücksichtigt werden, mit welcher Virus-Variante man infiziert worden sei, wie alt man sei, wie lange gegebenenfalls die Impfungen zurücklägen.
Plädoyer für individuelle Lösungen
"Die Regelung mit den drei Monaten ist für einige Patienten sehr ungünstig", sagte sie. Jugendliche, die im Sommer geimpft wurden und sich im Herbst infizierten, seien jetzt "in einem echten Dilemma". Sie müssten sich nun nach drei Monaten boostern lassen, "haben aber zum Teil Antikörper, die unser Messfenster sprengen". In solchen Fällen ergebe es Sinn, auf den neuen, an Omikron angepassten Impfstoff zu warten. Bei 60-Jährigen sei das ganz anders.
"Dieses Virus hat uns immer wieder überrascht", sagte Ciesek in ihrer Bilanz zwei Jahre nach Beginn der Pandemie. Virologen hätten zwar damit gerechnet, dass sich das Virus verändere, aber nicht damit, "dass das so schnell geht und dass wir so viele Varianten sehen". Auch die Hoffnung, dass sich mit dem Impfstoff die Pandemie dem Ende zuneige, "hat sich leider nicht so richtig bewahrheitet". Impfungen blieben dennoch wichtig, um schwere Verläufe zu verhindern.
Zweifel an höherer Infektiosität von Omikron
Dass Omikron wirklich so viel infektiöser sei als Delta, sei virologisch "gar nicht klar", sagte Ciesek, "eher unwahrscheinlich". Dass sich mehr Menschen ansteckten, liege eher daran, "dass das Virus viel mehr Opfer findet": Bei Delta sei das Virus von den Geimpften besser geblockt worden, mit Omikron infizierten sich auch Geimpfte und Geboosterte, deswegen könne das Virus jetzt wieder besser zirkulieren. Ein weiterer Grund sei die kürzere Inkubationszeit.
Dass bald eine vierte Impfung für alle nötig sein wird, glaubt Ciesek nicht. Für Omikron mache das "keinen großen Unterschied". Die Antikörper stiegen weniger stark an als nach der zweiten oder dritten Impfung. "Ich kenne auch einige, die sich trotz vier Impfungen infiziert haben", berichtete die renommierte Virologin. Langfristig seien dennoch mehr als drei Impfungen denkbar: "Ich glaube schon, dass es darauf hinausläuft, dass einige sich regelmäßig impfen lassen müssen."
Noch weit entfernt von Endemie
Wann das Virus endemisch werde, könne man derzeit noch nicht sagen, so Ciesek: "Es ist wichtig zu verstehen, dass man erst ein endemisches Stadium erreicht, wenn alle irgendwie mal Kontakt hatten - entweder durch Impfung oder Infektion - und dann die Verläufe einfach milder werden. Und so weit sind wir nicht."