Fragen & Antworten "Letzte Generation": Radikal gut oder radikal gefährlich?

Die "Letzte Generation" fürchtet den Klimakollaps und will aufrütteln - radikal, aber gewaltfrei. Kritiker bescheinigen der Gruppierung totalitär-sektenähnliche Züge. Fragen und Antworten zu den Klima-Aktivisten und ihren Straßenblockaden in Hessen.
Sie blockieren Straßen und Autobahnen, kleben sich am Asphalt fest, kippen schwarze Flüssigkeit aus Öl-Fässern vor Banken aus: Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten haben in dieser Woche in Frankfurt mit zahlreichen Aktionen für Störungen gesorgt. Nötiger ziviler Widerstand für ein wichtiges Ziel, argumentiert die "Letzte Generation": Der drohende Zusammenbruch des Klimas muss verhindert werden. Ihre Mitglieder selbst sehen sich in der Tradition von Ghandi und anderen Befürwortern eines gewaltfreien Widerstands.
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Experten wie dem Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder zufolge erreichen die Aktivisten mit ihren Aktionen aber eine Polarisierung der Gesellschaft. Die "Letzte Generation" sei eine Gefahr für das Zusammenleben, letztlich schade sie der gesamten Klimabewegung. Fragen und Antworten zur umstrittenen Gruppierung.
- Wer steckt hinter der "Letzten Generation"?
- Was fordert die "Letzte Generation"?
- Mit welchen Methoden wollen sie die Ziele erreichen?
- Warum protestiert die "Letzte Generation" so radikal?
- Warum steht Frankfurt im Fokus der Aktivisten?
- Wie schätzen Experten die Gruppierung "Letzte Generation" ein?
- Was sagen andere Klimaschützer zu den Aktionen?
- Welche Strafen drohen den Protestierenden der "Letzten Generation"?
Wer steckt hinter der "Letzten Generation"?
Die Gruppierung ist noch recht jung, erst im vergangenen Jahr hat sie sich aus der Klimabewegung herausgelöst. Anstoß für die Gründung war ein Hungerstreik von sieben Aktivisten, die damit im Vorfeld der Bundestagswahl ein öffentliches Gespräch mit den beiden Kanzlerkandidaten und der Kanzlerkandidatin erzwingen wollten. Wahlsieger Olaf Scholz (SPD) kam der Forderung später nach.
Inzwischen ist die Mitgliederzahl gewachsen, aber zahlenmäßig immer noch "überschaubar", wie der Soziologe Dieter Rucht Ende Februar gegenüber tagesschau.de sagte. Er schätze, dass einige hundert Aktivisten beteiligt seien. Anders als bei Bewegungen wie Fridays for Future sind bei der "Letzten Generation" neben jungen Menschen auch viele ältere bis hin zu Senioren beteiligt. Zu den Blockaden in Frankfurt reisten Menschen aus weiten Teilen Deutschlands an.
Was fordert die "Letzte Generation"?
"Stoppt den fossilen Wahnsinn": Diese grundlegegende Forderung der Gruppe prangt in Großbuchstaben auf den roten Transparenten, die sie während der Störaktionen bei sich tragen. "Fossile Brennstoffe finanzieren Krieg und die Zerstörung unserer Gesellschaft", argumentieren die Aktivisten auf ihrer Internetseite. Sie fordern den Stopp von Investitionen der Bundesregierung in Gas- und Ölprojekte, zum Beispiel in den Bau von Terminals für Fracking- und Flüssiggas aus Amerika und Katar.
Die Regierung müsse stattdessen auf erneuerbare Energien setzen - um sich unabhängig zu machen und den drohenden Zusammenbruch des Klimas abzuwenden. Dazu sollen auch die weiteren Forderungen der Gruppe beitragen: Der öffentliche Nahverkehr soll kostenlos werden, alle Häuser sollen gedämmt werden, um Energie einzusparen. Zudem fordern sie ein Verbot von Massentierhaltung und ein Ende der Lebensmittelverschwendung.

Mit welchen Methoden wollen sie ihre Ziele erreichen?
Die Aktivistinnen und Aktivisten sehen sich in der Pflicht, die Menschen aufzurütteln. Das wollen sie mit zivilem Widerstand, aber ohne Gewalt erreichen. In Frankfurt haben sie in der Woche vor Ostern den Verkehr in der Stadt täglich an unterschiedlichen Stellen mit Sitzblockaden lahmgelegt. Einige von ihnen haben sich am Asphalt festgeklebt, um den Polizisten die Räumung der Straßen zu erschweren. Mehrmals schütteten sie ein ölartige Flüssigkeit auf die Fahrbahn, am Donnerstag rutschte eine Radfahrerin darauf aus und stürzte. Auch vor der Commerzbank in Frankfurt kippten sie Fässer mit einer schwarzen Flüssigkeit aus.
Beim Bundesliga-Spiel der Frankfurter Eintracht am Wochenende war es ebenfalls zu einem Zwischenfall gekommen: Zu Beginn der Partie banden sich zwei Umwelt-Aktivisten mit Kabelbindern am Torpfosten fest und sorgten für eine Spielunterbrechung.
Davor hatten die Aktivisten nur mit vereinzelten Aktionen in verschiedenen Städten auf sich aufmerksam gemacht. In Frankfurt hatten sie zum Beispiel Ende Februar eine Zufahrtsstraße zum Flughafen blockiert.
Warum protestiert die "Letzte Generation" so radikal?
Die "Letzte Generation" sieht im zivilen Ungehorsam die letzte Möglichkeit, an die Menschen zu appellieren und sie wachzurütteln. Auch ihr Name rührt von dieser Dringlichkeit her: Man sei die letzte Generation, die den völligen Zusammenbruch des Klimas noch abwenden könne. "Wir sind bereit, alles zu riskieren, um unsere Gesellschaft aus diesem Klimakollaps zu führen", erklärt eine der Aktivistinnen auf dem Instagram-Kanal der Gruppe.
"Wir brauchen leider so eine massive Störung, damit die Bundesregierung ins Handeln kommt", begründet eine Mitstreiterin, die sich auf der A66 in Frankfurt festgeklebt hat, die Aktion gegenüber dem hr. Alles andere habe man versucht - Petitionen, Demonstrationen, ein Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz. "Die Reaktion war einfach nicht da."
Ein weiterer Aktivist, der sich an den Protesten in Frankfurt beteiligt hat, sieht die Gruppe in der Tradition anderer gewaltfreier Widerständler wie Ghandi oder Martin Luther King. "Die haben ja auch gezielt geltendes Recht gebrochen, weil es ein größeres Unrecht gab, das in diesem Moment wichtiger war."
Warum steht Frankfurt im Fokus der Aktivisten?
In Frankfurt häuften sich zuletzt die Aktionen der "Letzten Generation". Die Stadt gilt als bedeutender Finanzplatz und Bankenmetropole. Sie bietet der Gruppierung damit viel ideelle Angriffsfläche. Die Banken pumpten von hier aus weiter Geld in fossile Energien und damit auch in Länder wie Russland, die damit Kriege finanzierten, erklärte eine der Aktivistinnen gegenüber dem hr. "Wir sind hier an dem Ort, an dem das ganze Geld in die Zerstörung unserer Zukunft und unserer Lebensgrundlagen fließt."

Wie schätzen Experten die Gruppierung "Letzte Generation" ein?
Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel blickt kritisch auf die Gruppe und ihre Aktionen. Er sieht in der "Letzten Generation" sogar eine Gefahr für unser Zusammenleben. Die Methoden seien kontraproduktiv, prognostiziert er zudem. "Sie wird nicht zu einer besseren Klimapolitik beitragen, sondern sie wird zu einer Polarisierung innerhalb der Bewegung und der Gesellschaft beitragen." Somit verliere man eher Kraft in der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel. "Sie träufeln in die Bewegung ein Gift ein, das die Verträglichkeit untereinander behindert und erschwert."
Ziviler Ungehorsam an sich habe durchaus auch seine positiven Seiten, weil er in der Lage sei, die Gesellschaft aufzurütteln, so Schröder: "Aber wenn eine Gruppe kommt und sagt 'Wir allein haben die Wahrheit, wir allein wissen, was richtig und was falsch ist' - dann hat das sehr schnell eine antidemokratisch-totalitäre Dimension." Die Art der Selbstermächtigung der Gruppe sei "nicht akzeptabel".
Ähnlich fällt auch das Urteil von Reinhard Mohr aus, der in den 1970er und 1980er Jahren selbst Linksaktivist war. Es bringe nichts, wenn eine kleine Gruppe einen Absolutheitsanspruch formuliere, so der Soziologe und Publizist. An ihren Videovorträgen im Internet merke man, dass es ein bisschen wie eine Sekte sei. "Sie sind erleuchtet, sie wissen, wo es lang geht - und alle anderen müssen jetzt mitmachen." Dazu könne man aber niemanden zwingen. "Das führt genauso weit, wie die RAF damals kam - dass man im Extremfall Menschenleben gefährdet, aber politisch nichts erreicht von dem, was die meisten in Deutschland ja wollen, nämlich Klimaschutz." Es sei eine Radikalisierung, die in eine Sackgasse führe, so Mohr.
Was sagen andere Klimaschützer zu den Aktionen?
Fridays for Future Frankfurt befinden sich nach eigenen Angaben aktuell in einem Prozess der Neustrukturierung. Die Gruppe war deswegen kurzfristig zu keiner Stellungnahme bereit. Eine Anfrage an die bundesweite Organisation blieb unbeantwortet.
Die Grüne Jugend Hessen zeigt durchaus Verständnis für die "Letzte Generation". Man teile die Forderungen und unterstütze auch die Straßenblockaden in Frankfurt, erklärte Sprecherin Lara Klaes gegenüber dem hr. Allerdings sei eine Grenze erreicht, wenn Menschenleben gefährdet würden. "Wir finden es sehr bestürzend, dass eine Radfahrerin bei einer Aktion verletzt wurde. Zu solchen Gefährdungen darf es bei den Klimagerechtigkeitsprotesten nicht kommen."
Die Befürchtungen, dass die Gruppe der Klimabewegung letztlich schaden könnte, sind bei der Grünen Jugend nicht allzu groß. Man müsse aufpassen, dass das Verständnis für Klimaschutzmaßnahmen durch Aktionen wie die der "Letzten Generation" nicht verspielt werde, sagte Sprecher Christoph Sippel. Er erklärte aber auch, dass die Bevölkerung zwischen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren der Klimabewegung unterscheiden und diese individuell bewerten könne.

Welche Strafen drohen den Protestierenden der "Letzten Generation"?
Den Aktivistinnen und Aktivisten, die in dieser Woche mehrfach Straßen und Autobahnen in Frankfurt blockiert haben, droht vermutlich maximal eine Geldstrafe. Rund 200 Aktivisten nahm die Polizei im Lauf der Woche fest. Gegen 140 von ihnen werde wegen des Verdachts der Nötigung oder gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ermittelt, wie ein Sprecher der Polizei erklärte. Zwar könnten bei diesem Straftatbestand auch Haftstrafen verhängt werden, bei Ersttätern bleibe es aber meistens bei Geldstrafen, wie Uwe Pfaff erklärt, Rechtsanwalt für Strafrecht in Frankfurt.
Vor Ort spricht die Polizei zunächst Platzverweise aus - wer dem nicht nachkommt, kann auch vorübergehend in Gewahrsam genommen werden. Ein echter Haftgrund bestehe aber normalerweise nicht, wenn die Menschen einen festen Wohnsitz haben, sagt Pfaff. "Wiederholungsgefahr wäre zum Beispiel ein Haftgrund - aber ob das hier verhältnismäßig ist, ist die Frage. Ich denke, das kein Staatsanwalt einen Haftbefehl erlassen wird, weil sich jemand auf die Straße klebt."
Anders sieht es aus, wenn durch die Blockaden Feuerwehren oder Rettungsdienste in ihrer Arbeit behindert werden. "Das könnte unter anderem sogar Beihilfe zur Körperverletzung sein, falls Patienten nicht behandelt werden können, weil der Rettungswagen kilometerlange Umwege fahren muss." Im Fall der vier Radfahrerinnen und Radfahrer, die auf der verschütteten ölartigen Flüssigkeit ausgerutscht sind und sich zum Teil verletzt haben, könnte der Straftatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bestehen. Dafür droht eine Geld- oder Haftstrafe.