Long Covid nach Impfung? Wenn Ärzte nicht helfen können und niemand einem glaubt
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Long Covid nach Impfung? 28-Jährige erkrankt nach Impfung

Felicia Binger ist keine Impfgegnerin. Im Gegenteil. Sie hat sich einen Schutz gegen das Corona-Virus herbeigesehnt. Doch dann wurde die 28-jährige Frankfurterin plötzlich krank. Es deutet einiges darauf hin, dass die Impfung bei ihr Long Covid ausgelöst hat.
Als sie ihren Termin für die erste Corona-Impfung erhielt, freute sich Felicia Binger sehr: Vorerkrankt mit Asthma wollte sich die heute 28 Jahre alte freiberufliche Schauspielerin vor Corona schützen. Am 2. Mai 2021 war es soweit. Im Frankfurter Impfzentrum wurde sie mit Biontech geimpft. Den Moment hielt sie auf einem Video fest. "Ich habe auf dem Video gelächelt und es auf Instagram geteilt und gesagt, kommt, wir lassen uns impfen - dann wird alles wieder gut", erinnert sich Binger. Doch nichts wurde gut.
Schon am nächsten Tag bemerkte sie einen später als Nesselsucht diagnostizierten, schmerzenden Hautausschlag, der sich nach und nach fast über den gesamten Körper ausbreitete - eine vom RKI gelistete Impfreaktion. Dabei blieb es nicht.
Zu krank zum Arbeiten
Binger entwickelte mehrere Symptome, von denen einige auch mit Long Covid, also häufiger beobachteten Langzeitfolgen nach einer Corona-Erkrankung, in Zusammenhang gebracht werden: extreme Erschöpfungszustände, spontan wiederkehrende Krämpfe und Zuckungen, Herzschmerzen und Herzstolpern, Schwindel, Atemnot, vermehrter Haarausfall an einigen Stellen, Taubheitsgefühle, Muskelentzündungen am Fuß, Kopfschmerzen, Tinnitus, geplatzte Äderchen in den Augen, Flecken im Sehfeld, eine Histaminunverträglichkeit. "Es fühlt sich an, als würde mein Körper sich selbst angreifen", beschreibt Binger.
Schmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten machen ihr schwer zu schaffen: "Ich war es durch meine Arbeit gewohnt, mir 60 Seiten Text reinzukloppen", erzählt Binger. Für solche Aufgaben braucht die Schauspielerin jetzt viel mehr Zeit. Sie fühlt sich oft zu krank, um zu arbeiten. Eine weitere Hürde: Für jede Produktion muss sie bestätigen, dass sie gesund ist. "Aber das bin ich ja nicht." Nur noch selten geht sie nach draußen. Besorgungen erledigen meistens ihre Freunde.
Von einem Arzt zum anderen gerannt
Für die Frankfurterin begann ein Ärztemarathon. Über 15 verschiedene Facharzttermine hat sie inzwischen absolviert. Sie war beim Kardiologen, Neurologen und Hals-Nasen-Ohrenarzt. Bis heute hat sie noch keine eindeutige Diagnose erhalten - und damit auch keine erfolgreiche Behandlungsmethode. Sie nimmt Antihistamin-Tabletten, die die schlimmsten Symptome der Nesselsucht in Schach halten.
Die Kosten für einige Behandlungen und Tests, zum Beispiel um eine allergische Reaktion auf Inhalte des Corona-Impfstoffs auszuschließen, zahlte Binger selbst. Um einen zeitnahen Termin beim Kardiologen zu bekommen, hatte sich die bei einer gesetzlichen Krankenkasse Versicherte als Selbstzahlerin angemeldet. Rund 8.000 Euro hat sie inzwischen nach eigenen Angaben ausgegeben.
Sorge, von radikalen Impfgegnern benutzt zu werden
Was sie besonders trifft, ist das Misstrauen, das sie von vielen Ärzten erfährt. "Sobald ich einen möglichen Zusammenhang mit der Corona-Impfung anspreche, wird gezuckt. Kein Arzt will etwas damit zu tun haben", sagt sie.
Ein weiteres Problem: Nicht zu jedem Arztgespräch wird sie durchgelassen. Als sie vor einigen Monaten eine Klinik in Frankfurt wegen eines vereinbarten Termins zu ihren anhaltenden Kopfschmerzen aufsucht, wird sie am Empfang wegen unvollständigen Impfschutzes abgewiesen, erzählt sie.
Binger fühlt sich stigmatisiert und alleingelassen. Zudem sieht sie sich in den sozialen Netzwerken in grundsätzliche, aufgeheizte Debatten über Corona-Impfungen hineingezerrt. Über ihren Fall hatte auch die Berliner Zeitung berichtet. Mittlerweile schildert die 28-Jährige ihre Erlebnisse auch auf Instagram.
Auf keinen Fall wolle sie von Corona-Leugnern instrumentalisiert werden, betont Binger. Diese würden ihrem Anliegen mehr schaden als nützen: "Ich nehme Corona sehr ernst und möchte nicht, dass meine Situation dazu benutzt wird, um generell gegen Impfungen zu hetzen", sagt Binger. "Mein Thema ist nicht politisch - es ist menschlich." Aber auch die Gegenseite setzt ihr zu. Weil sie sich inzwischen gegen eine allgemeine Impfpflicht ausspricht, werfen ihr Impfpflicht-Befürworter mangelnde Solidarität vor.
Angst, sich auch noch mit Corona anzustecken
All ihre Familienmitglieder seien gegen Corona durchgeimpft, betont Binger. Sie selbst habe früher alle üblichen Standard-Impfungen erhalten und damit nie Probleme gehabt. Aufgrund ihrer Erfahrung kommt für sie nun aber keine weitere Corona-Impfung mehr in Frage - dabei hat sie Angst vor dem Virus. "Ich habe Sorge, zusätzlich Corona zu bekommen, und dass meine Symptome noch schlimmer werden könnten."
Durch die Corona-Regelungen fühlt sich Binger zusätzlich abgestraft. Denn ohne vollständigen Impfstatus bleibt ihr immer wieder der Zugang zu vielen Örtlichkeiten verwehrt. Nach mehreren Anläufen hat sie zwar inzwischen von ihrer Hausärztin ein Attest erhalten, das ihr bescheinigt, aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden zu können. Doch auch das ist keine Garantie, sich frei bewegen zu können. "Die Leute wissen oft nicht, wie sie mit dem Attest umgehen sollen", erklärt Binger.
Ministerium verweist auf Krankenkassen
Mittlerweile hat sich die Schauspielerin im Internet mit anderen zusammengeschlossen, die von ähnlichen Erfahrungen berichten. Binger wünscht sich eine zentrale Anlaufstelle für Menschen, die nach der Impfung über gesundheitliche Probleme klagen. Die Chancen dafür stehen jedoch eher schlecht.
Dass es keine zentralen, staatlichen Beratungsangebote gibt, ist nach Angaben des Hessischen Sozialministeriums "in der Organisation des deutschen Gesundheitssystems begründet". Zwar gebe der Staat die Rahmenbedingungen vor und erlasse Gesetze und Verordnungen, erklärt das Ministerium auf hr-Anfrage. Es gelte aber das Selbstverwaltungsprinzip. Ansprechpartner seien in erster Linie die Krankenkassen. Doch so einfach ist es offenbar nicht.
Krankenkassen verweisen auf Ärzte
Der GKV-Spitzenverband, die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, verweist für direkte Hilfe wiederum auf die Ärzte: "Erste Ansprechperson für Fragen der medizinischen Behandlungen sollte immer der Hausarzt oder die Hausärztin sein", sagt ein Sprecher. Im Bedarfsfall seien Fachärzte zuständig.
Binger fühlt sich wie in einem Hamsterrad. Um wenigstens irgendwo erfasst zu werden, hat die 28-Jährige ihren Fall bei dem für die Sicherheit von Impfstoffen zuständigen Paul-Ehrlich-Institut gemeldet, auch den Impfstoffherstelller Pfizer hat Binger angeschrieben. Eine Hilfe erfolgt auf solche Meldungen nicht.
Wie viele ähnliche Vorkommnisse es in Hessen gibt, ist unklar. Erfasst werden nach Bundesländern nur diejenigen, die einen Antrag auf Anerkennung von Impfschäden stellen, um eine Entschädigung zu erlangen. Dafür liegen die Hürden hoch - und die Beweislast beim Patienten. Ohne ärztliche Unterstützung ist das ein aussichtsloses Unterfangen.
Anträge auf Anerkennung möglicher Corona-Impfschäden
- In Hessen wurden nach Angaben des zuständigen Regierungspräsidiums Gießen in Zusammenhang mit Corona-Schutzimpfungen im Jahr 2021 insgesamt 72 Anträge und in diesem Jahr (Stand 15.02.2022) bislang 30 Anträge auf Anerkennung von Impfschäden gestellt – das sind 24 mehr als zwei Wochen zuvor. Kein Fall ist bislang positiv entschieden worden.
- Rein statistisch gesehen ist das angesichts der großen Zahl an Corona-Impfungen keine hohe Zahl. Am 15.02.2022 waren in Hessen rund 4,8 Millionen Menschen mindestens einmal geimpft. Demnach hat bis dahin einer von rund 47.000 Geimpften einen möglichen Impfschaden geltend gemacht, also 0,0213 Prozent.
- Kriterium für eine Anerkennung von Impfschäden sind nachgewiesene, schwere, gesundheitlich Folgen, die länger als sechs Monate andauern. Die Beweislast liegt bei dem Patienten. Mit der Anerkennung ist eine Entschädigung möglich.
Uniklinik: Impfung kann Long Covid auslösen

Trotzdem sind Fälle wie der von Felicia Binger nicht gänzlich unter dem Radar geblieben. Zum Beispiel im Universitätsklinikum Erlangen, es setzt sich schon länger intensiver mit dem Thema Long Covid auseinander. Demnächst beginnt die Klinik mit zwei Studien zu den Hintergründen und Behandlungsmöglichkeiten von Long Covid.
"Die Corona-Impfungen haben dazu beigetragen, die ganz schweren Verläufe deutlich zu reduzieren", betont Christian Mardin, Leitender Oberarzt an der Universitätsaugenklinik Erlangen. "Aber ganz selten kann sich die Impfung auch gegen den eigenen Körper richten, wie bei anderen Impfungen auch." Bei wenigen Einzelfällen könne dadurch offenbar Long Covid ausgelöst werden.
Aktuell werden laut Mardin an der Uniklinik Erlangen in diesem Zusammenhang zwei Patienten genauer untersucht. Im Rahmen der Studien hätten sich inzwischen weitere Menschen mit einer ähnlichen Historie gemeldet. Wie viele Menschen genau betroffen sein könnten, ist unklar. "Dazu gibt es keine systematische Erhebung", so Mardin. "Aus Erfahrung kann ich nur sagen, dass es sehr, sehr selten ist."
"Die Betroffenen sind unsichtbar - es ist wie Mobbing"
Deren Situation sei besonders dramatisch, wie Mardin beschreibt: "Gefühlt geht es ihnen noch schlechter als Menschen, die Long Covid nach einer Corona-Infektion entwickelt haben: Ihnen wird gesagt, so etwas gibt es nicht."
Es gebe eine große Zurückhaltung, das Thema Long Covid nach Impfung anzuerkennen. Darauf verweist auch ein Bericht des renommierten Wissenschaftsmagazins "Science". "Das Phänomen wird aus unterschiedlichsten Gründen negiert", erläutert der Mediziner. "Die Betroffenen sind erst einmal unsichtbar. Daran verzweifeln sie und werden depressiv. Es ist wie Mobbing."
Ein anderer Umgang mit den Betroffenen ist dringend nötig, findet Mardin. Ärzte, Krankenkassen, Länder und Bund müssten offen mit dem Thema umgehen. Auch damit die Patienten eine Chance auf Linderung oder Heilung hätten.
Long Covid lässt sich schwer diagnostizieren
Das Problem: Long Covid kann man nicht so einfach nachweisen. Es gibt bisher keine spezifischen Marker oder Tests, die eine schnelle, einfache Diagnose ermöglichen. Das ist ein grundsätzliches Thema aller Long Covid-Patienten. Trotz teils massiver Beschwerden finden Ärzte bei ihnen keine organische Ursache. "Die Patienten werden oft in die psychosomatische Ecke geschoben, bis alle anderen Ursachen ausgeschlossen worden sind und schließlich ein Facharzt sagt: Ja, es ist Long Covid", erläutert Mardin.
Inzwischen glaubt die Uniklinik Erlangen, mit einem speziellen, detaillierten Autoantikörpertest Long Covid nachweisen zu können. Auch Felicia Binger hat diesen Test gemacht. Über 800 Euro hat sie dafür einem Labor gezahlt. Das Ergebnis: positiv. Sie hofft nun auf ein neues Medikament, das derzeit an Long Covid-Patienten getestet wird.
Dass Medikamente und Impfungen auch Nebenwirkungen haben könnten, sei normal, findet Binger. Aber sie wehre sich dagegen, in diesem Zusammenhang eine "zu vernachlässigende Zahl nach dem Komma" von Verdachtsfällen auf Impfkomplikationen zu sein, für die es keine Hilfe gibt: "Man darf Menschen nicht so im Regen stehen lassen."
Sicherheitsbericht vom Paul-Ehrlich-Institut
- Das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut erfasst Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen. Der jüngste Sicherheitsbericht stammt vom 23. Dezember 2021 und bezieht sich auf über 123 Millionen Impfungen, die bundesweit bis Ende November verabreicht wurden. Gemeldet wurden bis dahin 1,6 Verdachtsfälle pro 1.000 Dosen - das entspricht 0,16 Prozent. Betrachtet man nur die schwerwiegenden Reaktionen, liegt die Melderate bei 0,2 Verdachtsfällen pro 1.000 Impfdosen - 0,02 Prozent. Als "schwerwiegend" definiert das Arzneimittelgesetz Nebenwirkungen, die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung erfordern oder zu bleibenden Schäden führen.
- Generell verweist das PEI darauf, "dass unerwünschte Reaktionen im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung gemeldet werden". Ob eine Reaktion tatsächlich eine Folge der Impfung ist, könnten nur Studien beweisen. "Nach derzeitigem Kenntnisstand sind schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten und ändern nicht das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffe", betont der Sicherheitsbericht.