Das Marburger Schloss mit seiner Mauer

Mitten im Stadtjubiläumsjahr regt sich deutliche Kritik am Zustand des Marburger Landgrafenschlosses. Ein offener Brief bemängelt jahrelangen Sanierungsstau und ein veraltetes Besucherkonzept. Doch selbst Löcher im Dach lassen sich so einfach nicht stopfen.

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"Es kann nicht sein, dass die Wiege des Landes Hessen in so einem defizitären Zustand ist"

Das Marburger Schloss und darunter die Altstadt vor bewölktem Himmel
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"Siehst du es schon?" Wohl kaum eine Autofahrt nach Marburg, auf der Kinder - und manche Erwachsene – nicht schon aus Kilometern Entfernung als Erste das Wahrzeichen der Universitätsstadt erspähen wollen: das Landgrafenschloss, das hoch über der malerischen Altstadt thront.

Obwohl die mittelalterliche Burg eines der beliebtesten Ausflugsziele in der Stadt ist, üben arrivierte Marburgerinnen und Marburger nun deutliche Kritik an den Zuständen der Anlage. In einem offenen Brief bemängeln sie einen jahrelangen Investitionsstau und die aus ihrer Sicht nicht mehr zeitgemäße und besucherunfreundliche Gestaltung. Sie schreiben: Genau zum 800. Stadtjubiläum sei ein Marburger Höhepunkt an seinem Tiefpunkt.

Giebel seit 40 Jahren Baustelle

Richard Laufner ist Mitinitiator des Briefs, der 22 Erstunterzeichner aus der Stadtgesellschaft hat, darunter zahlreiche aktive oder ehemalige Führungskräfte von Marburger Institutionen. Auch Laufner hat vor seinem Renteneintritt jahrelang das Kulturamt geleitet.

Mann vor alter Mauer

Er kritisiert: "Das Dach muss dringend saniert werden und auch für die Barrierefreiheit und den Brandschutz muss deutlich mehr getan werden." Die letzte Sanierung des Schlosses habe in den 1980ern stattgefunden, irgendwann sei damals aber das Geld ausgegangen, sagt Laufner und zeigt als Beispiel auf einen geschwungenen Giebel auf der Vorderseite. Der Renaissance-Giebel sei seit 40 Jahren Baustelle und nicht nutzbar. "Dieses Schloss muss fertig saniert werden, es muss besser präsentiert und betrieben werden - es ist schließlich die Wiege des Landes Hessens."

Gefängnis, Staatsarchiv, Studentenwohnheim

Tatsächlich wurden die ersten Burgmauern im 13. Jahrhundert errichtet, als der erste hessische Landgraf Heinrich I., Enkel der Heiligen Elisabeth, hier seine Residenz aufbaute. In den Jahrhunderten danach wurde das Schloss immer weiter ausgebaut. Im Laufe der Zeit beherbergte es unter anderem ein Gefängnis und das Hessisches Staatsarchiv, nach dem zweiten Weltkrieg lagerten die Monuments Men der Alliierten hier geborgene Kunstschätze - darunter auch den Sarg von Reichspräsident Hindenburg, der bis heute in Marburg liegt.

Momentan befindet sich in einem Schlossteil ein Studierendenwohnheim und im Hauptgebäude können prunkvolle Räume und Gemäuer besichtigt werden. Derzeit wird auf einer kleine Museumsfläche ein Teil einer Stadtjubiläumsaustellung präsentiert, doch das Hauptmuseum, der fünfstöckige Wilhelmsbau, ist seit Dezember geschlossen - ebenfalls aus Brandschutzgründen.

Schild zum Wilhelmsbau mit Tür und Plakat: "vorübergehend geschlossen"

"Das hat für uns das Fass zum Überlaufen gebracht", sagt Laufner. "Ausgerechnet in dem Jahr, in dem Marburg sein 800. Jubiläum feiert, ist das Schloss in so einem defizitären Zustand und wird immer weiter geschlossen."

"Man könnte viel mehr aus der Anlage herausholen"

Laufner betont: Das Schloss sei natürlich weiterhin schön und beliebt. Viele Menschen kämen aber hauptsächlich hier hoch, um die Aussicht und die Fassade zu bestaunen. "Der Eingang zum Museum ist so versteckt und wenig beschildert, dass viele gar nicht reingehen."

Marburger Schloss

Auch an museumspädagogischen Angeboten für Kinder und Jugendliche mangele es derzeit. Dabei gebe es am Schloss zahlreiche interessante oder sogar kuriose Ecken, die aber kaum bekannt seien. Zum Beispiel einen Aborterker oder den fast 100 Meter tiefen Brunnen, der inzwischen aber nur noch mit einer geführten Stadttour besichtigt werden könne. "Ich will den Mitarbeitern da gar keinen Vorwurf machen – aber es sind einfach zu wenige", meint Laufner. "Wir finden das einfach schade, weil man durch ein zeitgemäßeres Besucherkonzept viel mehr aus dem Schloss herausholen könnte."

Stadt Marburg ist nicht verantwortlich

Der Zustand des Schlosses liegt wohl auch an der einzigartigen Zuständigkeit dafür. Denn: Anders als wohl viele annehmen, liegt die nicht bei der Stadt Marburg, sondern seit Jahrhunderten bei der Philipps-Universität – und damit beim Land Hessen. Dass eine Uni ein derartiges Denkmal betreibt, ohne dass darin Forschung und Lehre stattfinden, ist in dieser Form hessenweit einzigartig. Der Unterhalt des Schlosses wird derzeit durch einen sogenannten "Sondertatbestand" vom Wissenschaftsministerium finanziert.

Auch an der Uni ist kein Geheimnis, dass eine Sanierung schon lange überfällig ist. Schon vor zwei Jahren berichtete die damalige Unipräsidentin: Es habe bereits ins Schloss reingeregnet und man habe das Land um Geldmittel für eine Dachsanierung gebeten. Passiert ist die daraufhin aber offenbar nicht.

Zweistelliger Millionenbetrag für Dachsanierung

Der aktuelle Unipräsident Thomas Nauss meint nun: Die Uni rechnet allein für die Dachsanierung mit einem Betrag zwischen 15 und 25 Millionen Euro. Auch der barrierefreie Umbau würde – wenn überhaupt vom Denkmalschutz her möglich – Millionen kosten. Für die Uni sei das aus eigener Kraft nicht zu stemmen, erklärt Nauss. Die laufenden Zuschüsse des Landes würden ohnehin nur die Hälfte des täglichen Bedarfs decken.

"Schon jetzt finanzieren wir den Betrieb aus Uni-Mitteln quer, die eigentlich für Forschung und Lehre gedacht sind", so Nauss. Dabei sei der Unterhalt von Denkmälern und Sammlungen jenseits der Kernaufgabe einer Uni. Der aktuelle Zustand sei jedoch auch aus Sicht der Uni nicht wünschenswert. Man arbeite bereits an einem zeitgemäßeren Nutzungskonzept, das im Laufe des Jahres fertig werden soll.  

Land will Mittel bereitstellen

Als Reaktion auf den offenen Brief hat Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne), die selbst aus Marburg kommt, nun bereits angekündigt: Man arbeite daran, im kommenden Doppelhaushalt Mittel für das Dach bereitstellen zu können.

Die Initiatoren des Briefs hoffen, dass das dieses Mal auch wirklich umgesetzt wird. Dennoch regen sie an: Langfristig sollte überlegt werden, ob die Uni tatsächlich noch die richtige Betreiberin für das Schloss ist.

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