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Manche Frauen wollen lieber flach sein als mit Brustkrebsrisiko leben

Kirsten Stewens mit Bademantel in einem Hallenbad

Krebspatientinnen, die sich die Brüste abnehmen lassen, stoßen mitunter auf Unverständnis - auch bei Ärzten. Dabei gibt es gute Gründe für diesen radikalen Schritt.

Was passiert nach dem Krebs mit meinen Brüsten? Diese Frage muss sich Kirsten Stewens im Jahr 2018 stellen, als sie mit 43 die Diagnose Brustkrebs bekommt. Sie hat weder das Brustkrebsgen noch andere explizite Risikofaktoren, lediglich sehr dichtes Brustgewebe.  Sie informiert sich, überlegt gründlich und entscheidet sich dazu, ihre Brüste amputieren zu lassen - und gegen eine Brusterhaltung oder Rekonstruktion mit Eigengewebe oder Implantaten.

Das Risiko für Komplikationen sei sonst höher und das Gefühl immer da, nur noch auf die nächste Krebsdiagnose zu warten, begründet Stewens ihren Entschluss. Doch das Vorgespräch im Brustzentrum endet im Streit: "Ich habe direkt Gegenwehr bekommen", erinnert sie sich.

Das sei doch eine Verstümmelung, sagt die Ärztin

Sie wolle doch auch sicher mal wieder einen Mann finden, habe die Ärztin gesagt und betont, dass sie eine Brustentfernung als Verstümmelung sehe.  Stewens fühlt sich weder ernst genommen noch verstanden. Sie habe ihre Kinder gestillt und das sehr genossen. Doch nun gebe es für sie keine Gründe, sich einer Brustaufbau-Operation zu unterziehen - außer dem Gesellschaftsbild, dass Brüste zu einer Frau gehören. 

Es sei doch ihr Körper, sagt Stewens: "Natürlich gibt es Frauen, denen ist das wichtig, und dann ist ein Brustaufbau ja auch richtig und wichtig." Aber es müsse doch jede Frau ihre individuelle Entscheidung treffen dürfen.

Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen

Um die 70.000 Frauen in Deutschland erkranken jedes Jahr neu an Brustkrebs - mehr als an jeder anderen Krebsart. In Hessen waren es 2018  laut hessischem Krebsregister fast 5.300 neu diagnostizierte Fälle. Über 14 Prozent der betroffenen Frauen erhielten eine Mastektomie, ihnen wurden also die Brüste abgenommen.

Chefarzt Marc Thill vom Frankfurter Brustzentrum steht in einem Flur

Die einfache Brustentfernung ohne Wiederaufbau sei eine von mehreren Operations- und Behandlungsmöglichkeiten, sagt der Chefarzt des Frankfurter Brustzentrums, Marc Thill: "Ein faires Beratungsgespräch beginnt dabei immer damit, dass man zunächst zwischen Brusterhaltung und Brustentfernung differenziert." Danach würden dann alle Optionen und der Behandlungsverlauf besprochen, manchmal auch anonymisiert Bilder von abgeschlossenen Behandlungen gezeigt.

"Der einfachste Eingriff mit den wenigsten Komplikationen"

Das alles sei natürlich zeitintensiv, sagt Thill. Für ein Beratungsgespräch mit einer Brustkrebspatientin plant der Chefarzt anderthalb Stunden ein. Danach müsse die Betroffene - im Einvernehmen mit ihrem Arzt und unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs - erst einmal zu einer Entscheidung finden. "Ich kann jede Patientin verstehen, die eine Brustentfernung möchte. Es ist der einfachste Eingriff mit den wenigsten Komplikationen", sagt Thill.

Natürlich fehle danach die Brust, aber es wolle eben nicht jede Frau einen Fremdkörper an sich haben. Die meisten seien nach einer Brustentfernung sehr zufrieden, berichtet der Chefarzt. Da bei ihnen kein Brustgewebe übrig sei, würden diese Frauen in der Regel nicht bestrahlt. Sie hätten dadurch im Vergleich weniger Schmerzen und seien meist schneller wieder fit. 

Selbstbewusst ohne Brust

Eine negative Erfahrung bei ihrer Erstberatung wie Kirsten Stewens haben so ähnlich auch andere Frauen gemacht. Einige von ihnen, darunter Stewens, gründeten den Verein AMSOB: Ablatio Mammae - Selbstbewusst ohne Brust. Ihnen geht es vor allem um eine faire Beratung auch in Richtung Brustentfernung und ein Bewusstsein für ein anderes weibliches Körperbild: mit Narben statt Brüsten. 

Fotograf Bernd Hartung mit Fotos von brustlosen Frauen

Dafür haben sich Kirsten Stewens und ihre Vereinskolleginnen auch fotografieren lassen: oben ohne, intim, hautnah. Bernd Hartung, der Fotograf des Projekts "Brustlos", zeigt die Porträts derzeit im Frankfurter Haus am Dom, als Teil der Ausstellung "Free". Schließlich, sagt Hartung, gehe es "um die Freiheit der Frauen zu entscheiden, ob sie mit oder ohne Brust weiterleben wollen".

Kirsten Stewens bereut es nach eigener Aussage nicht, sich für die Brustlosigkeit entschieden zu haben. Wenn sie schwimmen gehe, trage sie heute nur noch Badehose. "Ich habe weniger Brüste als jeder Mann, es gibt keinen Grund für mich, mir ein Oberteil anzuziehen - außer mich zu verstecken."

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