Im Prozess um die Drohschreiben des "NSU 2.0" sind Beamte des 1. Frankfurter Polizeireviers als Zeugen vernommen worden. Im Dienst haben die Polizisten anscheinend ein recht merkwürdiges Verständnis von Datenschutz gepflegt. Und in Chats einen sehr eigenen Humor.

Audiobeitrag

Audio

NSU 2.0-Prozess: Polizei-Chats sind Thema vor dem Landgericht

Polizisten vor dem Eingang zum Gerichtssaal in Frankfurt.
Ende des Audiobeitrags

Der eine oder andere Witz sei "dezent drüber" gewesen, muss Tim W. zugeben. Man habe in der Chatgruppe eben einen "ganz, ganz schwarzen Humor" gepflegt. Schließlich konnten er und seine Kolleginnen und Kollegen vom 1. Polizeirevier in Frankfurt damals davon ausgehen, dass alles unter ihnen bleibe. Auch antisemitische Anspielungen beispielsweise, oder Bildmontagen mit Hitler-Konterfei.

Rassismus oder Antisemitismus aber will der 37-Jährige in seiner Zeit auf dem Revier nicht wahrgenommen haben, wie er am Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht sagte.

Anwältin: Drohserie begann auf Polizeirevier

Was der Zeuge Tim W. als schwarzen Humor beschreibt, findet Antonia von der Behrens alles andere als witzig. Die Anwältin vertritt im Prozess um die Drohschreiben-Serie des sogenannten "NSU 2.0" die als Nebenklägerin auftretende Frankfurter Juristin Seda Basay-Yildiz. Ihre Mandantin und ihre nächsten Verwandten waren eine der Hauptzielscheiben von Todesdrohungen und übelsten Beleidigungen.

Von der Behrens ist überzeugt, dass die Serie in eben jenem 1. Frankfurter Polizeirevier ihren Anfang nahm. Deshalb ist ihr angesichts der Inhalte der Polizei-Chatgruppe nicht zum Lachen zumute. "Entweder es gibt so etwas wie ein mangelndes Bewusstsein für Rassismus bei der Polizei. Oder aber der Zeuge weiß genau was es ist, benennt es aber nicht."

Zitate aus weiterer Chatgruppe

Der eigentliche Angeklagte im "NSU 2.0"-Prozess ist an diesem Donnerstag kaum mehr als ein interessierter Zuschauer. Alexander M. wird zur Last gelegt, hinter der Serie von 116 Drohnachrichten zu stecken, die zwischen August 2018 und März 2021 verschiedene Personen des öffentlichen Lebens erreichten: Darunter Politikerinnen, Journalistinnen und Journalisten und Kabarettistinnen. M. bestreitet die Vorwürfe. Gekennzeichnet waren sie mit dem Kürzel "NSU 2.0" - in Anspielung auf die rechtsextreme Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund".

Da die mutmaßlich von M. verfassten Nachrichten häufig nicht öffentlich abrufbare Daten der Adressaten und ihrer Verwandten enthielten, richteten sich die Ermittlungen relativ schnell auf Behördenkreise. Im Zuge der Nachforschungen wurde bekannt, dass etwa die Daten der Frankfurter Rechtsanwältin Basay-Yildiz an einem Polizeicomputer abgerufen wurden - in eben jenem 1. Polizeirevier, in dem im August 2018 auch die am Donnerstag geladenen Zeugen ihren Dienst taten.

Dabei kam auch eine interne Chatgruppe ans Licht, in der die Polizistinnen und Polizisten rassistische und weitere volksverhetzende Inhalte geteilt haben sollen. Die am Donnerstag nur teilweise zitierten "humorvollen" Chatnachrichten der Beamten stammen derweil aus einer weiteren bislang der Öffentlichkeit nicht bekannten Chatgruppe.

Seitdem steht die Frage im Raum, wie Alexander M. - so er denn der Verfasser der Drohungen ist - an die teils gesperrten Daten kam. Die Anklage geht davon aus, dass er sie telefonisch bei verschiedenen Polizeidienststellen erfragte. Dabei soll er sich als Behördenmitarbeiter ausgegeben haben.

Alexander M. bestreitet alle Taten. Er sieht sich als "Sündenbock" im hessischen Polizeiskandal. Und auch die Anwältinnen von Basay-Yildiz haben unlängst deutlich gemacht, dass sie M. nicht für einen Alleintäter halten - und zumindest in einem Fall einen Polizisten des 1. Reviers hinter den Drohungen vermuten.

Datenabfragen auf Vertrauensbasis

So wirkt es an diesem Donnerstag zeitweise so, als würde über die fünf als Zeugen geladenen Polizistinnen und Polizisten des 1. Reviers zu Gericht gesessen. Dabei läuft gegen sie ein gesondertes Verfahren. Fest steht, dass am 2. August 2018 zwischen 14.09 Uhr und 14.15 Uhr eine umfangreiche Datenabfrage zu Basay-Yildiz im 1. Frankfurter Polizeirevier erfolgte. Wer sich im Revier derart für die Frankfurter Anwältin interessierte und warum, ist bis heute nicht geklärt. Und nach diesem Prozesstag darf bezweifelt werden, dass es jemals aufgeklärt wird.

Denn in den Schilderungen des Arbeitsalltags auf dem Frankfurter Polizeirevier taucht beunruhigend oft das Wort "eigentlich" auf. Eigentlich verfügt jeder Polizist und jede Polizistin über ein eigenes Passwort für die Dienstcomputer, so dass theoretisch jede Datenabfrage einem konkreten Beamten zugeordnet werden kann.

Allerdings sei 2018 der Anmeldevorgang so zeitaufwendig gewesen, dass die meisten Beamten sich einfach nicht abmeldeten. So lässt sich nicht genau sagen, wer wann welchen Computer benutzte. Überhaupt, erklärt Zeuge Tim W., hätten die Kolleginnen und Kollegen die Passwörter untereinander weitergegeben. Manchmal standen sie auf Zetteln neben den Computern.

Eigentlich sollten auch telefonische Anfragen nach Daten in einer eigenen Excel-Tabelle dokumentiert werden. Wie gut diese tatsächlich gepflegt worden sei, kann indes nicht einmal der ehemalige Dienstgruppenleiter Michael F. genau sagen. So wie er überhaupt relativ wenig zu Dienstabläufen sagen kann, denn dafür bräuchte er eine erweiterte Aussage-Genehmigung seines Dienstherren. Diese einzuholen haben derweil sowohl er als auch seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bislang nicht für nötig gehalten. Ebenso wenig wie das Landgericht.

Für den Prozess nicht relevant

Der Einzige, der ohne Rücksicht auf mögliche Einschränkungen berichtet, bleibt somit Tim W. Von ihm erfährt das Gericht auch, dass die Sache mit den telefonischen Abfragen von Daten oftmals auf "Vertrauensbasis" erfolgt sei. Etwa, wenn sich Beamte von anderen Revieren gemeldet hätten. Eine Weitergabe an Nichtbefugte sei nicht erfolgt. Eigentlich.

Weitere Einblicke in den "ganz, ganz schwarzen Humor", der in den Chatgruppen der Beamten gepflegt wurde, erhält die Öffentlichkeit derweil nicht. Das Ansinnen der Nebenklagevertretung, die Zeuginnen und Zeugen, mit einzelnen Beiträgen zu konfrontieren, wird vom Gericht abgelehnt. Für die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten Alexander M. sind diese nämlich nicht relevant. Möglicherweise werden sie in einem anderen Verfahren noch eine Rolle spielen.

Der Prozess wird am Donnerstag, 5. Mai, fortgesetzt.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen