"NSU 2.0"-Prozess Nebenklage vermutet Polizisten hinter Drohschreiben
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Moderatorin Anja Reschke sagt im NSU 2.0-Prozess aus

Im Prozess um die Drohschreiben des sogenannten "NSU 2.0" hat eine Vertreterin der Nebenklage einen Teilfreispruch für den Angeklagten gefordert. Sie vermutet, dass hinter zumindest einem Schreiben ein Frankfurter Polizist steckt.
Es passiert nicht sehr oft, dass sich die Nebenklage in einem Strafprozess für einen Freispruch einsetzt - selbst wenn er sich nur auf einen Teil der Vorwürfe beziehen soll. Doch an diesem Mittwoch geschieht vor dem Frankfurter Landgericht genau das.
Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens fordert einen Teilfreispruch für Alexander M., den Angeklagten im sogenannten "NSU 2.0"-Prozess. Die Anwältin der Frankfurter Juristin Seda Basay-Yildiz ist überzeugt, dass das erste Drohschreiben, das ihre Mandantin erreichte, nicht von dem Beschuldigten verfasst wurde, sondern von einem Beamten des 1. Polizeireviers in Frankfurt.
In rechten Foren aktiv
In einer einstündigen Antragsbegründung verwies die Juristin auf zahlreiche Indizien, welche die These der Nebenklage stützen sollen. So stehe den Ermittlungen zufolge der verdächtige Polizist vermutlich hinter der Computer-Abfrage von privaten Daten von Basay-Yildiz, die sich kurze Zeit später in dem Drohschreiben wiederfanden.
Zudem sei der Beamte in rechten Darknet-Foren aktiv gewesen. Die Nebenklage vermutet, dass er dort die abgefragten Daten auch weitergegeben haben könnte. Darüber hinaus sei seine rechte Gesinnung auch auf dem Revier bekannt gewesen. Zur Beweiserhebung stellte die Nebenklage den Antrag, jene Polizisten des 1. Polizeireviers zu vernehmen, die in einer Chatgruppe rechtsextreme Inhalte geteilt haben sollen. Über den Antrag muss das Gericht zunächst beraten.
Journalistinnen sagten aus
Zuvor war die Fernseh-Journalistin Anja Reschke als Zeugin vernommen worden. Die Moderatorin des ARD-Fernsehmagazins Panorama sagte, sie und ihre Kinder seien schon 2015 - drei Jahre vor Beginn der "NSU 2.0"-Drohschreiben - bedroht worden. In einem Brief, der in einem ähnlichen Duktus verfasst gewesen sei und ebenfalls nicht-öffentliche Daten enthielt. Auslöser sei wohl ein Kommentar Reschkes zur Flüchtlingspolitik in den Tagesthemen gewesen.
Ein Unbekannter soll zuvor telefonisch eine Nachbarin zu Reschke und ihrer Familie befragt haben. Einige Zeit später sei der Polizei gemeldet worden, dass Reschke tot in ihrer Wohnung liege. Als sie dann 2019 ebenfalls ein mit "NSU 2.0" unterzeichnetes Schreiben erhalten habe, seien ihr die Ähnlichkeit in Stil und Wortwahl aufgefallen.
Reschke erklärte, dass sie infolge der Drohschreiben einige Veranstaltungen und Auftritte abgesagt habe. Ähnliches berichtete Hengameh Yaghoobifarah von der Berliner Tageszeitung (taz). Zudem hätten die Drohungen einen Verfolgungswahn und Panikattacken ausgelöst, so Yaghoobifarah.
Datenabfragen und rassistische Chats
In dem laufenden Prozess muss sich seit einem Monat der arbeitslose Berliner IT-Techniker Alexander M. wegen der Drohschreiben-Serie verantworten. Die Anklage legt ihm unter anderem zu Last, in der Zeit zwischen August 2018 und März 2021 nicht weniger als 116 Drohschreiben per Mail, Fax oder SMS an verschiedene Personen der Öffentlichkeit geschickt zu haben. M. bestreitet sämtliche Vorwürfe.
Da die Schreiben teils nicht-öffentliche Daten enthielten, führten Ermittlungen zu der Erkenntnis, dass diese Daten teilweise in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Drohschreiben an Polizeicomputern abgefragt worden waren. Infolge der Ermittlungen wurden auch rassistische Polizei-Chats von Beamten des 1. Frankfurter Reviers öffentlich.
Der Prozess wird am Donnerstag, 17. März, fortgesetzt.