Frau mit wehenden Haaren von hinten

Während der Ausbildung zur Pastoralreferentin wurde eine junge Frau im Bistum Limburg durch einen Priester sexuell belästigt. Der Geistliche wurde später von Bischof Bätzing befördert. Dem hr hat die Frau nun ihre Erlebnisse geschildert.

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Missbrauch in der Kirche: Bischof Bätzing befördert umstrittenen Pfarrer

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"Der Sonnenschein, für den es sich lohnt, morgens aufzustehen." "Süße." "Sweety." So habe er sie genannt. Für sie dagegen sei irgendwann jeder weitere Tag Zusammenarbeit mit ihm unerträglich gewesen.

Zwei Frauen erheben derzeit Vorwürfe gegen einen Priester aus dem Bistum Limburg wegen sexueller Belästigung. Und sie kritisieren den Umgang des Bistums damit. Denn: Der Bischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, beförderte den Priester vor etwa zwei Jahren, obwohl er zuvor seit Jahren von den Vorwürfen gewusst hatte.

Eine der Betroffenen, die sich zuerst am Dienstag in der Beilage Christ & Welt der Wochenzeitung Die Zeit unter dem Pseudonym Mathilda Frei an die Öffentlichkeit gewandt hatte, beschrieb die Vorfälle nun auch im Gespräch mit dem hr.

"Er hat mir an die Brust gefasst"

Im Jahr 2007 war Frei Anfang 20 und befand sich in der Ausbildung zur Pastoralreferentin. Der Priester sei damals ihr direkter Kollege gewesen. Immer wieder habe er sie mit Kosenamen angesprochen. Sie habe ihn gebeten, das zu lassen.

"Bei einem Treffen mit Kollegen im Herbst 2007 ist er mir dann von hinten mit seiner Hand unters T-Shirt und hat meine Brust angefasst", sagte Frei. Dafür gebe es Zeugen.

Um nicht weiter mit dem Mann arbeiten zu müssen, hatte sich die junge Frau damals an den Personaldezernenten gewandt. Es folgten Gespräche und schließlich Versetzungen. Allerdings habe man sie angewiesen, nicht mit Dritten über die Gründe für den Stellenwechsel zu sprechen. Wie solle man das der Kirche erklären, sei die Sorge gewesen, so Frei.

"Nein wurde nicht gehört"

Schon damals habe sie sich nicht wirklich ernst genommen gefühlt. "Als junge Frau bekommt man automatisch eine Mitschuld auferlegt", sagte sie. In Zeiten lange vor der "MeToo"-Bewegung und vor dem Bekanntwerden des Missbrauchskandals in der Kirche habe sie vermittelt bekommen:

Zwischen Erwachsenen könne es keinen Missbrauch geben. Eine erwachsene Frau sei nicht schutzbedürftig. Sie sei alt genug, um Stopp zu sagen, um eine Grenze zu setzen. "Aber leider wurde diese Grenze, dieses Nein nicht gehört", berichtete Frei.

Fünf Jahre Schweigen

Fünf Jahre hatte Frei daraufhin geschwiegen. "Mit niemandem durfte ich darüber sprechen, was geschehen ist in meinem Leben." Erst das Bekanntwerden der Missbrauchsfälle 2010 habe sie veranlasst, sich doch an den Missbrauchsbeauftragten der Kirche zu wenden, der sie an eine Stelle für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz weitergeleitet habe.

Auch der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz, der damals zum angstfreien Reden ermutigte, habe zu diesem Schritt beigetragen.

Und dann fand sie heraus: Sie ist nicht die einzige. Auch eine evangelische Pfarrerin, damals ebenfalls in Ausbildung, erhebt Vorwürfe gegen den Mann. Auch darüber berichtete Die Zeit. Ihre Schilderungen ähneln denen Freis.

Bischof Bätzing von Vorwürfen berichtet

Anfang 2020 suchte Frei schließlich das direkte Gespräch mit Bischof Bätzing. "Er hat mir sehr glaubhaft zugehört und war schockiert", berichtete sie. Auf ihre Bitte hin habe er sich sogar die Personalakte des Priesters angeschaut. Und: Er habe dem Mann eine formelle Ermahnung ausgesprochen.

Umso unglaublicher erscheint Frei nun das, was jetzt bekannt wurde: Bischof Bätzing beförderte genau diesen Mann und berief ihn zum Bezirksdekan. In dieser Funktion darf er Bätzing sogar persönlich vertreten.

Einen Tag vor Bekanntgabe der Personalie habe der Bischof sie noch persönlich angerufen und darüber informiert. Damit sie es nicht aus der Presse erfahre, habe er gesagt.

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Bischof Bätzing befördert Pfarrer trotz Belästigungsvorwürfen

Georg Bätzing (dpa)
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Bistum widerspricht

Bistumssprecher Stephan Schnelle bestätigte die Vorwürfe weitgehend. Kosenamen, Berührungen am Rücken und im Haar - dieses Fehlverhalten habe der Priester eingeräumt und sich dafür bereits mehrfach entschuldigt, auch bei der Frau persönlich und gegenüber Bischof Bätzing.

Doch in zwei Punkten widerspricht das Bistum den Schilderungen der Betroffenen: Der Priester streite ab, die Frau an die Brust gefasst zu haben. Und: Es habe keine Schweigeanweisung gegeben, lediglich eine Empfehlung.

Zudem weist das Bistum die Vorwürfe zurück, Bätzing habe bei einer Personalentscheidung die Interessen der sexuell belästigten Frauen nicht berücksichtigt. In der Medienberichterstattung sei der Eindruck entstanden, der Bischof würde Betroffene nicht hören und sich auf die Seite von Tätern stellen. Dem müsse widersprochen werden.

Sexuelle Belästigung damals nicht strafbar

Bistumssprecher Schnelle erklärte: Bei der Ernennung zum Bezirksdekan gebe es ein Verfahren, bei dem die Seelsorgerinnen und Seelsorger in dem Bezirk dem Kandidaten das Vertrauen aussprechen. "Das haben die pastoralen Mitarbeiter und Seelsorger vor Ort auch getan." Dennoch räumte Schnelle ein: Der Bischof könne solche Personalentscheidungen auch unabhängig davon treffen.

Bischof Bätzing finde das Verhalten des Mannes natürlich nicht gut. Allerdings seien die Vorwürfe auch nicht strafrechtlich relevant, weil sie bereits im Jahr 2007 passiert seien. Tatsächlich ist sexuelle Belästigung in Deutschland erst seit 2016 strafbar - allerdings nicht rückwirkend.

Auf die Frage, ob es unabhängig von der Gesetzeslage nicht auch eine moralische Verantwortung für das Bistum gebe, sagte Schnelle: "Es liegen Jahre dazwischen - mehr als ein Jahrzehnt." Es habe wirkliche Reue stattgefunden. "Und jeder bitte verdient eine zweite Chance. Das ist auch in dem Fall so."

Schlafstörungen, Alpträume, Ängste

Auch wenn der Priester Einsicht gezeigt habe - Mathilda Frei kann weiterhin nicht nachvollziehen, dass der Bischof trotz seines Wissens diesen Schritt gegangen ist. Ihr Leben sei durch diese Erfahrung als junge Frau massiv beeinträchtigt worden.

"Aktuell bin ich Sicherheit und weit weg von diesem Mann", sagte sie. Anderen Menschen zu vertrauen sei für sie aber fast unmöglich geworden. Mit stockender Stimme berichtete sie: Sie habe Schlafstörungen, Alpträume, Ängste. "Und für mich persönlich ist der Umgang des Bistums, das gerade in den letzten Tagen gesagt hat, dass es die Betroffenen durch die Kommunikation nicht erneut verletzen möchte, die viel größere Dimension des Leids, das mir zugefügt wurde."

All das mache sie sehr wütend. Und sie wolle mit ihrer Geschichte anderen Mut machen zu sprechen, wenn sie Ähnliches erfahren haben. "Ich glaube nicht, dass es konkret um meinen eigenen Fall geht in dieser Sache, sondern dass das eine systemische und strukturelle Sache ist, die angegangen werden muss."

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