Parken für 5 Euro pro 30 Minuten So will Darmstadt die Verkehrswende schaffen
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Darmstadts Mobilitätsdezernent baut Straßenraum um
In unseren Städten sind zu viele Autos unterwegs und nehmen Platz weg, findet Darmstadts Mobilitätsdezernent. Er krempelt den Verkehr um und will anderen Städten zeigen, wie es gehen kann. Aber so ein radikaler Umbruch sorgt auch für Ärger.
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ARD-Themenwoche: Verkehrswende in Darmstadt

Die Darmstädter Mathildenhöhe ist definitiv einen Besuch wert. Aber auf keinen Fall mit dem Auto! Fünf Euro kostet das Parken auf einem der ohnehin wenigen Plätze rund um das Weltkulturerbe - pro halbe Stunde. Das ist teurer als am Frankfurter Flughafen.
Für Hans-Dieter Sauerwein aus Altheim (Darmstadt-Dieburg) ist das "eine große Scheiße". Der Rentner ist gerade auf dem Weg zu seinem Arzt und ist dabei froh, überhaupt einen Parkplatz gefunden zu haben. Oft genug muss er hier nämlich in seinem Auto sitzen bleiben und auf seinen Sohn warten. Immer dann, wenn der während seiner Bereitschaft ins nahegelegene Krankenhaus gerufen wird und je nach Tageszeit sicher sein kann, keinen freien Parkplatz zu erwischen. "Es funktioniert mit Darmstadt hinten und vorne nicht."
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Die Industrie- und Handelskammer Darmstadt begrüßt die Veränderungen hin zu mehr grüner Mobilität in Darmstadt, betont auf hr-Nachfrage aber auch: "Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele aus dem Umland Wegebeziehungen haben, die nicht mal eben mit Rad, Bus oder Bahn in annehmbarer Zeit zu erledigen sind."
Zwei neue autoarme Quartiere in Planung
Die Verkehrswende ist in Darmstadt schon deutlich zu sehen. Auf mehreren wichtigen Straßen wurde eine Spur von den Autos weggenommen und zum Fahrradweg umgebaut. Außerdem gibt es mehrere neue Tempo-30-Abschnitte. Das ist aber erst der Anfang. In den nächsten Jahren sollen mit dem Ludwigshöhviertel und dem Messplatz zwei neue, nahezu autofreie Quartiere entstehen. Ein Vorbild gibt es schon: die Lincolnsiedlung. Hier haben früher US-Soldaten gewohnt. Jetzt wohnen hier Darmstädter, die sich auf was Neues einlassen wollen.

Parkplätze vor der Haustür gibt es in der Lincolnsiedlung so gut wie keine. Die Anwohner parken in Garagen an den Rändern des Viertels, wenn sie überhaupt ein eigenes Auto haben. Denn jeder Bewohner darf vier Stunden pro Woche kostenlos mit einem der Elektro-Autos fahren, die in der Siedlung verteilt stehen.

"Das Konzept ist nicht, den Menschen Mobilität zu verbieten, sondern neue Mobilitätsmöglichkeiten anzubieten", sagt Darmstadts Mobilitätsdezernent Michael Kolmer (Grüne). Das heißt: Alle möglichen Formen der Fortbewegung verbinden. Direkt am Rand des Lincoln-Viertels gibt es eine Straßenbahnhaltestelle, dazu überall verteilt Leihstationen für Elektro-Autos, E-Lastenräder und normale Fahrräder. Für Kolmer sieht so ein "Quartier der Zukunft" aus.
Verkehrsforscher: Umdenken funktioniert über die Kosten
Zukunft bedeutet für den Mobilitätsdezernenten in diesem Zusammenhang: so wenige Autos wie möglich. Darmstadt hat sich zum Ziel gesetzt, 75 Prozent des Verkehrs auf den Öffentlichen Nahverkehr, Fußgänger und Radfahrer umzustellen. Bleiben 25 Prozent für den Autoverkehr. Für Kolmer nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern auch der Lebensqualität: "Ich spreche immer von einer Renaissance des Boulevards. Dass es wieder Spaß macht, raus auf die Straße zu gehen, Menschen zu treffen."

Jahrzehntelang wurden unsere Städte für Autos geplant, inzwischen nehmen sie aber viel zu viel Platz weg - das findet auch Verkehrsforscher Jürgen Follmann von der Hochschule Darmstadt. Deshalb müsse sich etwas ändern: "Dafür brauchen wir positive Anreize, wie die ausgebauten Radverkehrsanlagen und dass mehr Busse und Bahnen fahren." Auf der anderen Seite brauche es aber auch etwas Druck, um weg vom Auto zu kommen, meint er: "Wenn es mehr kostet, fängt man eher an umzudenken."

Das Umdenken kostet vermutlich Zeit, Geld und Nerven. Aber Follmann ist sich sicher: In ein paar Jahren wird es dafür auf den Straßen deutlich entspannter laufen.