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Vor 50 Jahren wurde Andreas Baader verhaftet

Historische Schwarzweiß-Fotografie: Ein Mann mit Sonnenbrille liegt auf dem Boden umringt von drei weiteren Männern.

Er fuhr im Porsche vor und wurde im Krankenwagen abtransportiert: Am 1. Juni 1972 verhaftete die Polizei Andreas Baader und weitere RAF-Mitglieder in einer Frankfurter Wohngegend. Heute erinnert an dem Ort nichts mehr daran. Doch ein Stadtführer trägt die Geschichte des linken Terrors weiter.

In den frühen Morgenstunden des 1. Juni 1972 umstellen Dutzende Polizeibeamte ein Wohnhaus im Frankfurter Hofeckweg 2-4. Wenige hundert Meter entfernt vom Haupteingang des Hauptfriedhofs wird sich dort ein geschichtsträchtiges Ereignis zutragen: die Verhaftung der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Holger Meins.

Ein Panzerwagen, Scharfschützen, Einsatzkräfte in Schutzmontur, Rufe, Schüsse, Tränengas – über Lautsprecher die Durchsage: "Sie haben keine Chance mehr." Ein Reporter des Hessischen Rundfunks ist damals live vor Ort und dokumentiert den Einsatz.

Kettenrauchende BKA-Beamte

Eingehend mit der Geschichte des linken Terrors beschäftigt hat sich Sascha Stefan Ruehlow. Er bietet Stadtführungen zu dem Thema an. Für ihn sind die Bilder der Fernsehausstrahlung von damals kurios: "BKA-Beamte sind als Bauarbeiter getarnt, andere sitzen Kette rauchend mit Maschinengewehr im Anschlag", wundert er sich.

Stadtführer Baader

Ruehlow kommt regelmäßig in den Hofeckweg. "Der Ort hat sich nicht so wirklich verändert", sagt er. "Das ist ein ganz normales, bürgerliches Mehrfamilienhaus, Anfang 60er Bauart, viele Balkone. Wenn man in den Innenhof kommt, hat man eine ganz typische Hausfassade mit kleinen Küchenfenstern, einen großen Parkplatz und Garagen."

An den Großeinsatz der Polizei vor 50 Jahren erinnert heute aber nichts mehr. Das sei oft so bei Orten, die "mit Links zu tun haben", so Ruehlow. "Da hängt ja keine Plakette: Hier haben Verhaftungen stattgefunden." Er vermutet, dass nur noch wenige Anwohnende wissen, was sich damals vor ihrer Haustür zugetragen hat.

Zwei Wochen der Observierung

Am 1. Juni 1972 rechnen die Ermittler damit, dass Mitglieder der Roten-Armee-Fraktion genau hier auftauchen. Nach einem Hinweis aus der Bevölkerung hatte eine Sonderkommission das dreistöckige Gebäude zwei Wochen lang observiert. In einer zugehörigen Garage fanden die Ermittler Sprengstoff, sicherten Fingerabdrücke der gesuchten Terroristin Gudrun Ensslin.

Haus Verhaftung Baader

Tatsächlich fährt um kurz nach 5 Uhr morgens ein auberginefarbener Porsche Targa vor. Zwei Männer verlassen den Wagen in Richtung Garage, einer steht Wache - Raspe, ihn überwältigen die Polizisten. Baader und Meins verschanzen sich in der Garage.

Nach mehreren Stunden brutaler Auseinandersetzung gibt Meins auf und wird nur mit einem Slip bekleidet abgeführt. Den angeschossenen Baader ziehen die Beamten wenig später unter einem Auto hervor und aus der Garage heraus, tragen ihn in einen Krankenwagen.

Führungen zum linken Terror

"Man hat damals drei Rettungswagen gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen losgeschickt, um zu vermeiden, dass Baader von anderen Terroristen befreit wird", berichtet Ruehlow. "Er wurde dann wohl in der Uniklinik in einem Tiefbunker aus dem Zweiten Weltkrieg notoperiert." Das habe ihm vor ein paar Monaten bei seiner Führung ein Mediziner erzählt, der damals für das Krankenhaus gearbeitet habe. Seitdem erzählt Ruehlow dessen Geschichte weiter.

"Oral History", also Zeitzeugenberichte, von Generation zu Generation weitergetragen, findet Ruehlow wichtig. Über seine Stadtführung zum Thema "Baader-Meinhof-Gruppe, Roten-Armee-Fraktion und Deutscher Herbst" sagt er, sie biete im Vergleich zu anderen Rundgängen besonders viel Raum für Interaktion. "Viele Leute fangen von sich aus an, zu erzählen: 'Mensch ja, das war doch meine Studentenzeit. Ich habe das auch irgendwie mitbekommen.'"

Ruehlows Führung zum linken Terror in Frankfurt deckt die Jahre 1968 bis 1972 ausschnittweise ab. Sie beginnt auf der Zeil. Dort verübten Baader und seine Partnerin Ensslin gemeinsam mit Komplizen im April 1968, also noch vor Gründung der RAF, zwei Brandanschläge auf die Kaufhäuser M. Schneider und Kaufhof. Sie endet im Hofeckweg.

Andreas Baader 1972  im Frankfurter Krankenhausbett

Problem lange nicht erledigt

Die Verhaftung von RAF-Anführer Baader und seinen Mittätern Raspe und Meins stellte für die Polizei den bis dahin größten Fahndungserfolg im Kampf gegen die Rote-Armee-Fraktion dar. In den Folgetagen werden auch Gudrun Ensslin, Brigitte Mohnhaupt und Ulrike Meinhof in Hamburg, Berlin und München verhaftet, Anfang Juli Irmgard Möller und Klaus Jünschke in Offenbach. "Das Problem Baader-Meinhof ist erledigt", sagt Außenminister und Vizekanzler Walter Scheel (FDP) im Sommer 1972. Das ist allerdings eine Fehleinschätzung.

"Der deutsche Herbst 1977, der Prozess in Stammheim, die Entführung der Landshut, das sind Dinge über die wir dann im Anschluss an die Führung reden", sagt Ruehlow. Kann man Geschichte besser begreifen, wenn man an dem Ort steht, an dem sie sich zugetragen hat? So weit würde er nicht gehen, sagt Ruehlow. Seine Führung könne aber helfen, eine bekannte Umgebung einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Sendung: hr-iNFO, 01.06.2022, 6 Uhr