Reisen trotz Lähmung Kevin Kleiber, ein Weltenbummler im Rollstuhl
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Fairwandler-Preis für Kevin Kleiber

"Wir bekommen so oft gesagt, was wir nicht können. Keiner sagt uns, was wir können." Kevin Kleiber ist gelähmt, hat aber die Welt bereist - auch um anderen Behinderten Mut zu machen, ihre Grenzen zu überwinden.
Nach seiner Rückkehr aus Mexiko fiel Kevin Kleiber erst einmal in ein Loch. "Ich habe mir die Seele aus dem Leib geweint", erzählt er. Denn Mexiko war ein besonderer Ort für ihn. Der Ort, an dem er sich zum ersten Mal frei bewegen konnte, "im Rahmen meiner Möglichkeiten".
Der 31-Jährige aus Löhnberg-Niedershausen (Limburg-Weilburg) ist motorisch stark eingeschränkt, sitzt wegen einer spastischen Lähmung im Rollstuhl. Er ist auf eine 24-stündige Betreuung angewiesen, sieben Tage die Woche. Und doch absolvierte er einen Freiwilligendienst in Mexiko, lebte zum ersten Mal in seinem Leben weitgehend selbständig.
Immer öfter ohne Eltern
Über seine Zeit in Lateinamerika hat Kleiber zusammen mit einem befreundeten Kameramann eine Doku gedreht. Außerdem schreibt er zusammen mit einer Journalistin sein erstes eigenes Buch. Mit diesem Gesamtpaket, das er "Mobilität beginnt im Kopf" genannt hat, hat er jetzt als erster Hesse den "Fairwandler" Preis gewonnen. Der Preis würdigt junge Menschen, die ihre Auslandserfahrungen nutzen, um auch in Deutschland etwas zu verändern (siehe hier).
Früher sei er am liebsten zu Hause gewesen, allenfalls mit den Eltern verreist, erzählt er - der Sicherheit wegen. Über Fernreisen immer autonomer zu werden, war ein langer Prozess: Zusammen mit seiner Ex-Freundin entdeckte er zunächst einen Veranstalter, der Reisen für Menschen mit Handicap anbietet. Hier freundete er sich mit Betreuern an, fasste Vertrauen, machte sich immer öfter ohne Eltern auf in die Ferne.
"Ein bisschen zu meinem Glück gezwungen"
An die erste Reise auf einen anderen Kontinent erinnert sich Kleiber genau: "Das war Singapur, total cool." Es folgten Australien, Lateinamerika, letztendlich alle fünf Kontinente. In dieser Zeit wurde seine Assistentin zu seiner besten Freundin. "Sie hat mich ein bisschen gestupst, wenn ich gezögert habe."
So war es auch, als Kleiber überlegte, sich für einen Freiwilligendienst zu melden - was immerhin einen einjährigen Aufenthalt im Ausland bedeutete. "Der Bewerbungsprozess war lang und kompliziert", erinnert sich Kleiber. "Ich habe sehr gezögert, weil ich eine Enttäuschung vermeiden wollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dort jemand mit so massiven Beeinträchtigungen mitmachen kann." Doch seine Freunde bestärkten ihn: "Sie haben mich ein bisschen zu meinem Glück gezwungen."
Autonom um den Alltag gekümmert
In der Bewerbungsphase kam Kleiber auch die Idee, sich mit einer Kamera begleiten zu lassen - um anderen zu zeigen, was Menschen mit Beeinträchtigungen erreichen können. Kameramann Yvonic Jäckel war schnell Feuer und Flamme: "Seine Energie und sein Enthusiasmus haben bei Kevin eine Menge möglich gemacht, und das anderen zu zeigen, ist Kevins größter Wunsch - und auch meiner. Zu zeigen: Ey, hier, das geht!"
Und es ging, Kleiber wurde genommen. Über den Verein Bezev ("Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit") reiste er im Juli 2019 nach Mexiko - bekam beim Anziehen oder Kochen zwar weiterhin Hilfe von drei Assistenten, wohnte aber erstmals ohne Eltern und kümmerte sich um seinen Alltag. Zum ersten Mal erledigte er Dinge wie den Einkauf oder organisierte den Weg zur Arbeit selbst - etwa indem er sich Uber-Fahrer bestellte.
"Dafür ist eine Großstadt praktisch", sagt er. "Bei uns auf dem Land war das immer viel zu umständlich." Für eine Einrichtung für beeinträchtigte Menschen machte Kleiber die Pressearbeit, führte Interviews für Facebook und Instagram.
Buch und Film als Ansporn
Kleiber blühte auf, wollte den einjährigen Aufenthalt eigentlich auf zwei Jahre verlängern - bis Corona kam, er seinen Dienst vorzeitig abbrechen und nach Deutschland zurückkehren musste, wo er zunächst in ein Loch fiel. Kommentare einiger Nachbarn oder von Bekannten ärgerten ihn zusätzlich: "Es kam schon vorher immer mal wieder die Frage, ob ich das auch wirklich schaffe", erinnert er sich. "Als ich dann wieder da war, hieß es: Na, hast du es doch nicht geschafft."
Schon vorher, aber auch in dieser Zeit, habe er seinen Freundeskreis stark ausdünnen müssen, sagt Kleiber. "Das war schmerzhaft. Es waren Menschen dabei, mit denen ich viel Zeit verbracht hatte." Heute ist es für ihn ein Ansporn, wenn jemand seine Fähigkeiten anzweifelt. Ein Ansporn, sich aus dem Loch wieder herauszuziehen, waren der Film und sein Buch "Vom Heimscheißer zum Weltenbummler", für das Kleiber derzeit einen Verlag sucht.
"Wir bekommen oft gesagt, was wir nicht können"
Kleibers Ziel: Anderen Mut machen, Grenzen im Kopf zu überwinden. "Wir bekommen so oft gesagt, was wir nicht können. Keiner sagt uns, was wir können." Und dabei gehe es nicht ums Reisen, betont er: "Wenn jemand im Rollstuhl sitzt und ein anderes Ziel hat, kann er das genauso wahrnehmen. Es geht darum, seine eigenen Wege zu gehen und das gegen alle Widerstände, die wir in unserer Gesellschaft haben." Wenn er nur bei einem Menschen ein Umdenken erreiche, habe er dieses Ziel schon erreicht.
Der Fairwandler Preis
Der Fairwandler Preis wird von der Karl Kübel Stiftung an entwicklungspolitisch engagierte junge Menschen vergeben, diesmal war am 22. März die Preisverleihung. Die Auszeichnung ist mit insgesamt 12.500 Euro dotiert und will den Mehrwert von Auslandsaufenthalten würdigen.
Gewonnen hat das Team von Kevin Kleiber, bestehend aus ihm selbst, der Autorin Pauline Stahl, der Lektorin Anna Moscagiuri und dem Kameramann Yvonic Jäckel.