Ein Rettungswagen in schneller Fahrt (mit Bewegungsunschärfe)

Stürzen Senioren zuhause, ist der rettende Notruf-Knopf oft unerreichbar. Ein Start-up-Unternehmen aus Kassel geht deswegen neue Wege: Ihre Software bemerkt, wenn Kaffeemaschine oder Fernseher nicht zur üblichen Zeit benutzt werden - und schlägt Alarm.

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Studierende entwickeln smarten Hausnotruf

hs 14.02.2023
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Der Anlass, der die Gründer von Veli auf ihre Idee gebracht hat, ist ein sehr persönlicher - und einer, der tragisch hätte enden können. Wie viele allein lebende Seniorinnen und Senioren hatte auch die Großmutter von Mitgründer Tim Weiß einen Hausnotruf-Knopf. Doch als sie stürzte und dringend Hilfe benötigte, war er für sie außer Reichweite.

"Sie lag mehrere Stunden in der Wohnung, ohne Schutz", erzählt sein Geschäftspartner Jan-Peter Seevers. Für sie ging das Unglück glimpflich aus, sie schaffte es, sich aufzurappeln. Doch in anderen Fällen kann eine solche Situation lebensbedrohlich werden.

Das gab den beiden jungen Ingenieuren den Anstoß, ein alternatives Warnsystem zu entwickeln, gemeinsam mit einem drittem Partner. Das Ziel: Im Notfall soll es automatisch Alarm schlagen, ohne dass der Hilfsbedürftige aktiv werden muss. Dabei setzen sie auf die Hilfe von Haushaltsgeräten wie Kaffeemaschine, Herd und Fernseher. Die Grundidee ist simpel, die Software dagegen ausgefeilt - und inzwischen über Jahre weiterentwickelt.

Bilder aus hs-Beitrag Smarter Hausnotruf: Sechs Menschen stehen vor einem Computer.

Software kann Geräte identifizieren

Über kleine Sensoren am Wasser- und Stromzähler wird der Verbrauch in der Wohnung beobachtet. Wird über längere Zeit weder der Wasserhahn aufgedreht noch Strom genutzt, kann das ein Alarmzeichen sein. Die Software kann aber noch mehr: Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz identifiziert sie über die Verbrauchswerte einzelne Geräte und lernt dazu, erklärt Seevers.

"Nach einer Trainingsphase erkennt der Algorithmus automatisch, wann die Person aufsteht." Zum Beispiel über ein Licht, das eingeschaltet wird. "Wenn sie ein halbes Jahr nicht nach 7 Uhr aufgestanden ist, dann wäre 7.30 Uhr schon mal eine Zeit, zu der eine Pflegekraft oder Angehörige nach ihr schauen könnten, wenn kein Signal kommt." Aber auch die üblichen Ruhephasen des Nutzers kann die Software erlernen, um nicht grundlos zu alarmieren. "Wenn eine Person ab und zu zwischen 12 und 16 Uhr Mittagsschlaf macht, ist es wichtig dass der Alarm nicht um 15 Uhr kommt."

Rund zwei Wochen brauche das System, bis es genügend Daten gesammelt hat, um zuverlässig zu arbeiten. Auch andere Notfälle kann Veli erkennen, sagt Seevers: Wird die Herdplatte angelassen, kann das System warnen. Ebenso, wenn der Wasserverbrauch extrem in die Höhe schnellt, zum Beispiel nach einem Rohrbruch.

Bilder aus hs-Beitrag Smarter Hausnotruf: Software auf Tablet zeigt Alarme

Zweijähriger Praxistest in Kassel

Bei Elfriede Reimers weiß es inzwischen: Morgens nach dem Aufstehen zapft die 88-Jährige als erstes Wasser und kocht dann Kaffee. Reimers lebt allein im Betreuten Wohnen. Gemeinsam mit 21 weiteren Mieterinnen und Mietern des Evangelischen Altenhilfezentrums Stiftsheim in Kassel hat sie zwei Jahre lang am Praxistest von Veli teilgenommen.

Auch die 88-Jährige hatte bisher einen Hausnotruf-Knopf, doch der lag unbeachtet im Nachtschränkchen. "Ich denke, ich bin noch so fit und fühle mich so gut, dass ich das nicht brauche. Eigentlich ist es fahrlässig", gibt die Seniorin zu. Doch sie ist nicht die einzige, die so handelt, sagt die Leiterin des Altenhilfezentrums, Charlotte Bellin: "Es gibt Studien, die sagen, 50 bis 60 Prozent der Senioren haben den Notrufknopf in der Nachtischschublade." So sei er überflüssig.

Bilder aus hs-Beitrag Smarter Hausnotruf: Rentnerin Edith Reimers im Portrait.

Für Reimers ist der smarte Notruf deswegen eine gute Alternative. "Es dauert natürlich eine Zeit, bis das System reagiert, aber auf jeden Fall wird es bemerkt." Das gebe ihr Sicherheit. "Man kann länger in der eigenen Wohnung bleiben, man muss nicht umsiedeln ins Pflegeheim, wenn man schwächer wird."

Dass eine Software genau registriert, wann sie den Fernseher einschaltet, störe sie nicht - weil im Notfall Hilfe komme. Per Lichtsignal im Aufenthaltsraum werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stifts im Ernstfall alarmiert.

Noch nicht für Privathaushalte

Leiterin Charlotte Bellin ist mit der Testphase zufrieden. "Wir planen, wenn das System an den Markt geht, es bei uns einzusetzen." Dann sollen alle Wohnungen damit ausgestattet werden. Auch mit weiteren Einrichtungen für Betreutes Wohnen ist das Team von Veli im Gespräch. Der Preis variiert je nach Gebäude zwischen ein paar hundert und bis zu 1.500 Euro. Dazu kommt eine monatliche Gebühr.

Bis das System auch für private Haushalte erhältlich ist, wird es laut Seevers aber noch dauern. Dann könnte das System Angehörige, Freunde oder Nachbarn im Notfall per Push-Nachricht auf dem Handy informieren.

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