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"Es lohnt sich, im Fall Riffat genauer hinzuschauen"

Eine Schar junger Menschen sitzen unter Bäumen auf Stufen und posieren für das Foto.

Seit Jahren lebt der Somalier Riffat Shakir Adnan in der Nähe von Marburg und ist bestens integriert. Nun soll er abgeschoben werden. Doch ein großer Unterstützerkreis wehrt sich - inklusive zweier Bürgermeister und Gemeindeparlamente.

Manchmal denkt Riffat Shakir Adnan, er wäre gern gefragt worden. Ob er all das auf sich nehmen will: die Flucht, den Aufbau eines neuen Lebens in einem neuen Land, die ständige Unsicherheit, die Frage, ob dieses neue Leben auch von Dauer ist. Doch Riffats Mutter hatte bereits drei Kinder verloren. Und so fragte sie die Überlebenden nicht. Sie tat, was sie für das Beste hielt: Sie floh aus dem kriegsgebeutelten Somalia.

Im Januar 2014 kam sie mit ihren beiden Söhnen und der kleinen Tochter über Italien nach Deutschland, um sich im Hessischen Hinterland - dem ehemaligen Kreis Biedenkopf westlich von Marburg - niederzulassen. Doch das neue Leben ist am Zerbrechen: Ihr Sohn Daud wurde im vergangenen Sommer abgeschoben, Riffat droht das gleiche Schicksal. Aber Freunde, Vereine, Schüler-, Kirchen- und zwei Gemeindevertretungen stemmen sich dagegen.

Mutter wollte auf dem Land leben

13 Jahre war Riffat jung, als die Familie im Gladenbacher Stadtteil Weidenhausen (Marburg-Biedenkopf) landete, später zog sie ins benachbarte Bad Endbach. Der heute 21-Jährige und sein Bruder Daud besuchten die Intensivklasse der Europaschule, lernten schnell Deutsch, um ihrer Mutter helfen zu können, da diese nicht lesen und schreiben kann. Ihre Fluchterfahrungen brachten sie in ein Integrationsprojekt ein und engagierten sich in der Kirchengemeinde - im Chor, im Kindergottesdienst, bei Freizeiten.

Der Freundeskreis wuchs, vor allem, weil beide Brüder leidenschaftlich gern Fußball spielen - zuletzt beim Verbandsligisten FV Breidenbach. Ein Trainer beschreibt sie als außergewöhnlich talentiert. Diese Art von Landleben, diese Art von Integration in eine Gemeinschaft, in der "jeder jeden kennt", habe die Mutter gesucht - auch um die heranwachsenden Söhne davor zu bewahren, irgendwann "Blödsinn zu machen", erzählt Riffat augenzwinkernd.

Riffat Adnan und seine Fußballmannschaft

Bruder sitzt auf Sansibar fest

Auch beruflich gelang die Integration: Nach dem Realschulabschluss machte Riffat die Fachhochschulreife mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung. Im August 2020 begann er eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann im Gesundheitszentrum Marburg.

Daud besuchte derweil die höhere Handelsschule, arbeitete in einer Druckerei und wollte im Sommer 2021 eine Ausbildung in einem Elektrobetrieb beginnen. Doch dazu sollte es nicht kommen: Die Behörden hoben die Duldung der jetzt volljährigen Brüder trotz abgeschlossener Ausbildungsverträge auf. Der Grund: angeblich unklare Identitäten.

Möglicherweise durch einen Übersetzungsfehler bei einer Anhörung der Mutter und wegen inkorrekter Papiere wurde die Familie nach Tansania verortet. Was genau dazu führte, ist für die Familie schwer nachvollziehbar, auch weil inzwischen die somalischen Geburtsurkunden vorliegen. Das Innenministerium verweist auf hr-Nachfrage auf den Datenschutz.

"Hohe Emotionalität" für die Gemeinden

Doch Daud wurde nach Sansibar abgeschoben, eine tansanische Insel vor der afrikanischen Ostküste, wo er derzeit ohne Papiere festsitzt. Riffat ging bis November ins Kirchenasyl. Währenddessen wandte sich die Mutter seines besten Freundes an den Petitionsausschuss des Landtages, der ihren Antrag auf ein Aufenthaltsrecht jedoch ablehnte. Daraufhin schrieb sie die Härtefallkommission des Landes an: Riffat soll aus "dringenden persönlichen Gründen" doch in Deutschland bleiben dürfen.

Auf eine Einsicht der Kommission, die im März zusammenkommt, hoffen auch die anderen Mitstreiter. Zu ihnen gehören mittlerweile selbst die beiden Bürgermeister Peter Kremer (parteilos) aus Gladenbach und Julian Schweitzer (SPD) aus Bad Endbach sowie die jeweiligen Gemeindevertretungen. In Resolutionen sprachen sie sich für ein Aufenthaltsrecht für Riffat aus.

"Wir vertrauen absolut in den Rechtsstaat, es gibt aber Einzelfälle, die durchrutschen", fasst Schweitzer den Grund für das Engagement zusammen. "Riffat hat alles dafür getan, hier bei uns in unseren dörflichen Strukturen anzukommen." Für die beiden Gemeinden berge der Fall "eine hohe Emotionalität", weil jeder Riffat kenne.

"Habe ständig Angst"

Riffat ist derweil bei Freunden untergekommen. Zwar ist er vor Abschiebung geschützt, bis die Kommission eine Empfehlung ausspricht und der Innenminister über seinen Fall entscheidet. Doch nach Hause traut er sich nicht. "Ich kann dort nicht schlafen", erzählt er. "Ich habe ständig Angst, dass jemand kommt und mich irgendwohin verfrachtet."

Nur zum Fußballspielen verlässt er die Wohnung und für Behördengänge oder Vorstellungsgespräche. Er bemüht sich um einen neuen Ausbildungsplatz, um zu zeigen, dass er selbstständig leben will. Seine ursprüngliche Ausbildung musste Riffat auf Anweisung der Behörden zunächst abbrechen. Immer wieder übermannt ihn Verzweiflung, wie er sagt: "Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, noch einmal von vorne anzufangen."

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Die Härtefallkommission

Das 23-köpfige Gremium - darunter Abgeordnete des Landtags sowie Vertreter von Ministerien, Wohlfahrtspflege, Kirchen, Flüchtlingsrat, Amnesty International, Landesausländerbeirat, Städte- und Gemeindebund und Landesärztekammer - prüft Fälle wie den von Riffat. Es kann empfehlen, dass Menschen aus "dringenden persönlichen oder humanitären Gründen" in Deutschland bleiben dürfen. Die endgültige Entscheidung trifft dann Innenminister Peter Beuth (CDU).

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