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25 Jahre Stottertherapie in Kassel

Jungs die stottern

In Hessen stottern rund 375.000 Menschen. Die meisten davon sind Kinder, Jungen fünfmal so häufig wie Mädchen. Im Alltag kann das Stottern für Probleme und Ängste sorgen, mithilfe einer Therapie können jedoch schnell Erfolge erzielt werden.

Spannung im Gesicht, komische Geräusche und Wörter, die einfach nicht aus dem Mund kommen - so beschreibt Saverio aus Nidda (Wetterau) sein Stottern. "Als ich in die fünfte Klasse kam, hatte ich auch Angst zu sprechen", erzählt der Elfjährige. Inzwischen ist er in der sechsten Klasse, und es hat sich einiges für ihn verändert.

Seit den Herbstferien ist Saverio zusammen mit anderen Kindern Patient in der Kasseler Stottertherapie. In seiner Gruppe sind unter anderem Florian aus Söhrewald (Kassel) und Kyan aus Frankfurt. Alle drei sind elf Jahre alt, gehen in die sechste Klasse - und stottern. Jungen stottern fünfmal so häufig wie Mädchen, hessenweit leben schätzungsweise mehr als 375.000 Stotterer.

Angst zu sprechen

Kyan erzählt, dass es bei ihm am Anfang sehr stark gewesen sei: "Ich hatte Blockaden, das Wort wollte nicht raus. Oder ich habe Wörter und Buchstaben die ganze Zeit wiederholt." Dadurch habe er sich nicht immer getraut zu sprechen, vor allem bei Fremden sei er zurückhaltend gewesen. Doch durch die Therapie hat er schon große Fortschritte gemacht.

Kind vor Backsteinwand

Weiches Sprechen

Die Kasseler Stottertherapie verändere das gesamte Sprechmuster, mache es weicher, erklärt Alexander Wolff von Gudenberg. Der Einrichtungsleiter stottert selbst und hat die Therapieeinrichtung in Kassel vor 25 Jahren gegründet. Seitdem wurden bereits über 3.000 Patienten aus ganz Deutschland behandelt. In der Therapie "dehnen wir bewusst Laute und Silben, sodass keine Blocks mehr entstehen. Aus A-a-a-a-alexander wird Aaaaaalexaaaandeeeer", gibt von Gudenberg als Beispiel.

Neben Intensivkursen in Bad Emstal (Kassel) haben die Patienten der Kasseler Stottertherapie Online-Kurse. Das laufe seit mehr als acht Jahren und sei durch die Lockdowns noch weiter ausgebaut worden, sagt Einrichtungsleiter von Gudenberg. Für Erwachsene sei eine reine Online-Therapie möglich, Kinder und Jugendliche kämen in der Regel für ein oder zwei Wochen Intensivkurs in die Einrichtung.

Enge Betreuung während der Therapie

Kyan erzählt, dass sie in ihrer ersten Woche im Oktober ganz viele Methoden gelernt hätten, wie sie das Stottern vermeiden könnten. Einen guten Monat später wiederholen sie die Übungen. Therapeuten überprüfen, ob alles korrekt ausgeführt wird und schauen, welchen Fortschritt es gibt.

Kind vor Backsteinwand

Generell wird der Fortschritt kontinuierlich überprüft. Die Online-Übungen werden aufgezeichnet, die Kinder erhalten eine direkte Rückmeldung. Wie lange die täglichen Übungseinheiten dauern, hängt vom Alter ab. Bei den Kleinen sind es 15 Minuten, bei Erwachsenen bis zu 45.

Hinzu kommen regelmäßige Kurse, mal allein, mal in Gruppen. Ein weiterer Bestandteil der Therapie seien praktische Übungen, erklärt von Gudenberg. Darunter fallen zum Beispiel Passanteninterviews oder fingierte Verkaufsgespräche im Reisebüro.

"Ich wurde ausgelacht"

Laut von Gudenberg leiden viele Stotterer unter Sprechängsten. Sie schämten sich, nicht so zu sprechen wie andere oder befürchteten negative Reaktionen.

Im Gegensatz zu Kyan und Florian hat Saverio schon schlechte Erfahrungen in seinem Umfeld gemacht. Als er neu auf die weiterführende Schule kam, haben ihn andere Kinder wegen seines Stotterns ausgelacht. "Das hat mich traurig gemacht", erinnert er sich. "Aber die Lehrer haben direkt eingegriffen."

Teilweise sei er jetzt mit den Kindern befreundet und bekomme von ihnen Unterstützung. Sein Biologie-Lehrer sei besonders nett und gebe ihm regelmäßig Feedback, dass er schon viel besser spreche.

Kind vor Backsteinwand

Die Ursachen des Stotterns liegen im genetischen, neurologischen und psychologischen Bereich. Es kann vererbt werden - wie im Fall von Saverio. Sein Vater stottert ebenfalls, bei Saverio ging es direkt mit den Anfängen des Sprechens los. Florian erzählt, dass er bereits als Kleinkind gestottert habe, das dann aber aufgehört habe. Vor gut einem Jahr habe er jedoch wieder angefangen zu stottern. Kyan erinnert sich seit der ersten Klasse an sein Stottern, doch "meine Eltern sagen, dass ich schon stottere, seit ich vier bin", sagt er.

Obwohl ihre Therapie erst einen Monat läuft, sprechen Saverio, Kyan und Florian schon deutlich flüssiger. Sie sind stolz auf sich. Kyan findet es außerdem gut, andere Stotterer kennenzulernen: "Das gibt mir irgendwie ein besseres Gefühl. Ich weiß, dass ich nicht allein bin." Rund ein Jahr werden sie noch in Therapie sein - und dann hoffentlich einen sicheren Umgang mit dem Stottern gelernt haben.

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Berühmte Stotterer

  • Sänger Ed Sheeran
  • Schauspieler Rowan Atkinson (Mr. Bean)
  • Schauspielerin Nicole Kidman
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