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hr-iNFO Podcast: Wenn Hitze tötet

Mann trocknet sich mit einen Tuch die Stirn ab

Sie ist eine Naturkatastrophe, die wir kaum auf dem Schirm haben: Hitze tötet auch in Hessen pro Jahr teils hunderte Menschen - und die Tage mit extremen Temperaturen nehmen stetig zu. Trotzdem fehlen vielerorts klare Schutzpläne.

Spargelbauer Bodo Mönich hat ihn gesehen, den Hitzetod. Im Juni 2019 knallt die Sonne bei knapp 40 Grad auf seine Felder in Südhessen. Mönich und seine Leute bleiben zu Hause - da erreicht ihn der Anruf: Auf einem Acker bei Büttelborn (Groß-Gerau) liegt ein älterer Mann. Mönich ruft den Rettungsdienst und fährt hin: "Er lag in der prallen Sonne und war nicht ansprechbar." Ein Hubschrauber bringt den Mann ins Krankenhaus, doch er überlebt nicht.

Solche Hitzetode machen selten Schlagzeilen. Dabei gibt es sie tausendfach - nahezu unbemerkt, jeden Sommer. "Hitze ist die schlimmste Naturkatastrophe in unseren Regionen", sagt hr-Meteorologe Tim Staeger, "das hat man oft nicht auf dem Schirm." Sie trifft die Verletzlichen am härtesten: Babys, kranke und ältere Menschen. Risikogruppen wie den Mann auf dem Feld: "Er war über 60, hatte Bluthochdruck und Diabetis", sagt Mönich.

Hitze ist gefährlicher als Stürme und Starkregen, meint Staeger - und trotzdem wird sie unterschätzt. Gerade in Städten nehmen Hitzewellen wegen des Klimawandels zu. Hessens Gemeinden haben begonnen, sich um den Schutz der Menschen vor extremen Temperaturen zu kümmern. Doch die Schritte sind klein.

Schutzpläne fehlen

Weit muss man nicht zurückschauen, um die tödliche Wirkung großer Hitze zu sehen: In den Jahren 2017 bis 2021 sind in Deutschland geschätzt 22.400 Menschen an den Folgen von Hitze gestorben. Das haben das Robert-Koch-Institut, der Deutsche Wetterdienst und das Umweltbundesamt gerade ausgewertet. Allein 2018 starben 8.700 Menschen deutschlandweit. In Hessen waren es 740.

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Was tun im Hitzenotfall?

Bei Verdacht auf einen Hitzenotfall empfiehlt das DRK: Die Person sofort in den Schatten bringen, den Oberkörper flach oder erhöht lagern. Kühle Getränke anbieten. Wenn die betroffene Person das Bewusstsein verloren hat, in die stabile Seitenlage bringen und den Notruf wählen. Besonders Kopf und Nacken kühlen, kein Eis direkt auf den Körper geben.

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Hessen erfasst und beobachtet die Zahl der Hitzetoten. Es hat auch ein Hitzewarnsystem. Doch einen Hitzeaktionsplan, wie ihn der Bund den Ländern und Landkreisen schon seit 2017 empfiehlt, hat Hessens Sozialministerium erst für 2023 angekündigt.

Auch der Kreis Groß-Gerau hat seit dem tödlichen Hitzevorfall kein solches Schutzkonzept entwickelt - so wie die meisten hessischen Gemeinden. Das zeigt eine hr-Abfrage. Einzelmaßnahmen sind vielerorts der Tropfen auf den heißen Stein.

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Mehr Tropennächte und Hitzetage in Frankfurt

Sommer für Sommer, wenn der Asphalt in Frankfurts dicht bebauter City zu flimmern beginnt, wird die Bankenmetropole zu einem der heißesten Orte in Hessen. Die Zahl der Tage mit Lufttemperaturen über 30 Grad ist über die Jahrzehnte immer weiter gestiegen: von weniger als fünf Tagen im Jahr 1988 auf mehr als 40 Hitzetagen 2018.

Noch gefährlicher als heiße Tage sind heiße Nächte, sagt Andreas Matzarakis, Medizinmeteorologe beim Deutschen Wetterdienst. Diese "Tropennächte", in denen das Thermometer nicht unter 20 Grad fällt, gibt es in Frankfurt immer öfter. "Erholsamer Schlaf wird dadurch beeinträchtigt" - und das schadet der Gesundheit. "Hitze ist ein Brandbeschleuniger" für Krankheiten, sagt auch Lungenarzt und Hitzeforscher Christian Witt von der Beriner Charité im hr-Interview.

Gerade in Metropolen wie Frankfurt oder Offenbach gibt es zu wenig Frischluftschneisen und Grünanlagen, die dafür sorgen, dass Hitze verdunsten und die Luft abkühlen kann. Jetzt arbeitet Frankfurt an einem Hitzeaktionsplan, der noch dieses Jahr kommen soll.

Kurvengrafik mit Tropennächten in Frankfurt und Hessen

Stufenplan in Offenbach

Weit vorne in Sachen Hitzeprävention ist Offenbach. Die Stadt hat 2021 einen Aktionsplan mit drei Stufen eingeführt:

  1. Hitzewarnungen auf der Stadt-Webseite und in Social Media.
  2. Kurzfrist-Maßnahmen wie das Schließen von Seniorentreffs.
  3. Langfrist-Maßnahmen: zum Beispiel Dächer bepflanzen und mehr Schattenplätze schaffen.

Mit so einem festgeschriebenen Plan ist Offenbach bislang die Ausnahme. Viele Gemeinden verzichten noch darauf, setzen auf einzelne Baumaßnahmen oder Info-Kampagnen.

Heller Asphalt und grüne Zimmer

Rüsselsheim will seinen Bahnhofsvorplatz mit begrünten Sitzplätzen abkühlen. Wenn neue Straßen gebaut werden, mischt man dem Asphalt teilweise hellen Split bei, der die Sonne reflektieren soll. Darmstadt hat seinen Friedensplatz hell gepflastert und Bewohner bekommen in einigen Vierteln Zuschüsse, wenn sie ihre Hausfassade begrünen oder Innenhöfe natürlicher gestalten.

Helle Straßenbeläge nutzt auch das mittelhessische Bad Nauheim (Wetterau), nachdem es bereits in mehrern Sommern die heißeste Stadt Hessens war. Außerdem sollen Bushaltestellen bepflanzt werden.

Das sogenannte mobile grüne Zimmer probieren immer mehr Städte in Hessen aus: Eine Art Wartehäuschen mit Sitzbank und begrünten Wänden gibt es zum Beispiel in Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden.

Frankfurts Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Mitte) sitzt mit Anwohnern im "Grünen Zimmer".

Kassel warnt Risiko-Personen

Helle Böden und mehr Grün sind zwar ein Anfang. Doch es ginge mehr. Medizinmeteorologe Matzarakis kann sich zum Beispiel Wasserspender an Bushaltestellen vorstellen - und vor allem viel mehr Information: "Wichtiger sind Fortbildungen für Rettungskräfte, Pfleger, Sprechstundenhilfen, Kindergärten" - alle, die mit Risikogruppen arbeiten.

Martin Herrmann ist Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit und berät Städte und Gemeinden bei der Ausarbeitung von Hitzeaktionsplänen. Er glaubt: "Im Gesundheitssektor müssen wir noch viel tun: ausbilden, forschen. Viele Krankenhäuser sind baulich überhaupt nicht ausgerichtet auf Hitzewellen." Außerdem wüssten die Menschen zu wenig über die Gefahr. Infobroschüren seien oft zu harmlos formuliert, sagt Herrmann: "Hitze tötet!"

Mit Aufklärung geht auch Kassel gegen den Hitzetod vor. Die Stadt reiht sich ein in die lange Liste der Städte und Gemeinden ohne Hitzeaktionspläne. Aber sie bietet seit zwölf Jahren ein Hitzetelefon für Senioren an - ein Anrufservice, der jedes Jahr ab Mitte Juni ältere Menschen über drohende Hitze informiert und Tipps gibt.

Szenario: mehr Hitzetage in Zukunft

Tipps will auch die Landesregierung geben: Sie will im kommenden Jahr eine Internetseite mit Hinweisen für besonders heiße Tage freischalten: genug trinken, Sonnenschutz und Tipps für Hitzeschutz an Häusern - viel konkreter wurde die Ankündigung nicht.

Das Säulendiagramm zeigt die Hitzewellen seit 1950. Seit ca 1995 mehren sich die Säulen deutlich.

Aufschub duldet das Thema jedenfalls längst nicht mehr: Seit Jahren nehmen Hitzewellen zu - und die nächsten werden kommen, warnt das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG), das verschiedene Szenarien für die Zukunft berechnet.

Werden die Klimaschutzziele eingehalten, werde es in Hessen künftig rund ein Grad wärmer - machen wir weiter wie bisher, könnten es bis zu fünf Grad sein. "Die Extreme werden sich in den wärmeren Bereich verschieben", so die Behörde. Sehr kalte Tage würden rar, dafür gäbe es mehr solcher Tage wie jenen 2019 in Südhessen, an den sich Bodo Mönich noch so gut erinnert. 

"Wir haben ab einer gewissen Temperatur weder eine Erntequalität, noch kann man Menschen zumuten, draußen rumzulaufen", sagt der Landwirt - und mit Blick auf den Mann, der in der Hitze starb: "Es war unnötig."

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Tipps zum Hitzeschutz

Das Rote Kreuz empfiehlt:
- Einen zusätzlichen Liter mehr als sonst trinken (Wasser oder Schorlen)
- keine körperliche Anstrengung
- Kinder und Tiere nicht im Auto lassen (Lebensgefahr binnen Minuten!)
- Auto vor der Fahrt lüften
- Klimaanlagen nicht zu kühl einstellen, sonst kann der Kreislauf bei hohen Außentemperaturen überlastet werden.

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