Abfall im Bahnhofsviertel

Das Elend nimmt zu: Im Frankfurter Bahnhofsviertel gewinnen Drogen, Kriminalität und Müll immer mehr die Oberhand. Menschen aus dem Viertel erzählen, wie sie die Situation vor ihrer Haus- oder Ladentür wahrnehmen - und welche Folgen das für sie hat.

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Schwierige Lage im Frankfurter Bahnhofsviertel

hessenschau vom 20.09.2022
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Viele Menschen, die im Frankfurter Bahnhofsviertel wohnen oder arbeiten, wissen nicht mehr weiter. Es werde gefühlt von Tag zu Tag schlimmer, klagen sie. Manche machen ihre Geschäfte oder Restaurants in dem Viertel, das gleichermaßen als Szene-Bezirk und sozialer Brennpunkt gilt, dicht. Andere eröffnen trotz allem neue Läden oder sind fest entschlossen durchzuhalten. Kippt die Stimmung? Wir haben mit Menschen aus dem Bahnhofsviertel über die aktuelle Situation gesprochen.

James und David Ardinast, Betreiber des Restaurants "Stanley"

Brüder Ardinas im Frankfurter Bahnhofsviertel

Die Brüder James und David Ardinast sind schon als Kinder durchs Bahnhofsviertel gestreunert und ihm auch als Erwachsene treu geblieben. 2015 eröffneten sie das Stanley in der Ottostraße, direkt neben dem Hauptbahnhof. Ein angesagtes Restaurant, schickes Essen in ungewohnter Umgebung.

Im Oktober schließen die Brüder das Stanley. Die Gründe sind vielfältig, gestiegene Energiepreise und Fachkräftemangel spielen eine Rolle. Aber ein Grund für die Schließung lässt besonders aufhorchen: Das zunehmende Elend vor dem Restaurant.

Die Situation sorge zum Teil dafür, dass Gäste wegblieben, sagt James Ardinast: "Menschen zu sehen, die Hilfe brauchen, die sich selbst nicht mehr helfen können, die sukzessive auf der Straße verelenden - das ist harter Tobak, mit dem man auch klar kommen muss. Man hört auch immer mehr Gäste, die sagen: Ich überlege mir zweimal, ob ich ins Viertel komme."

Die Probleme hätten in den vergangenen Monaten zugenommen. In der Ottostraße gebe es immer mehr Dealer. "Aber man sieht auch hier immer mehr hilfsbedürftige Menschen, die auf der Straße leben. Gerade im Sommer kommen die auch oft an die Tische. Bei unseren Kollegen in der Kaiserstraße ist es noch schlimmer. "Dort kommen Menschen an den Tisch und klauen Essen."

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„Menschen zu sehen, die (...) sukzessive auf der Straße verelenden, das ist harter Tobak. Man hört immer mehr Gäste, die sagen: Ich überlege mir zweimal, ob ich ins Viertel komme.“ James Ardinast James Ardinast
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Grundsätzlich seien die Brüder Befürworter des Frankfurter Wegs. So heißt das Konzept der Stadt, streng gegen die Drogenhändler vorzugehen und für die Konsumierenden gesundheits- und sozialpolitische Hilfe anzubieten. Aber: "Der Frankfurter Weg greift nicht mehr, hier gerät einiges aus den Fugen", sagt James Ardinast. Nichtsdestotrotz hoffe er auf eine Verbesserung der Situation. Sollte die eintreten, können sich beide auch vorstellen, das Stanley wieder aufzumachen. "Wir wollen überhaupt nichts ausschließen, wir haben uns hier immer sehr wohl gefühlt."

Max Coga, Mitinhaber Nachtclub "Pik Dame"

Max Coga, Besitzer des Nachtclubs "Pik-Dame" im Frankfurter Bahnhofsviertel, sitzt vor einem Café auf der Kaiserstraße.

Max Coga wurde ins Bahnhofsviertel hineingeboren. Seine Mutter war Stripperin, sein Vater Besitzer des bekannten Nachtclubs "Pik Dame". Den führen Vater und Sohn mittlerweile gemeinsam, nebenbei ist der gut ausgebildete Coga Mixed-Martial-Arts-Profi. Er ist im Bahnhofsviertel sehr gut vernetzt und hat schon von der Schließung des Stanley gehört: "Es ist natürlich sehr traurig, wenn Leute Läden zumachen müssen, aufgrund dieser Situation. Diese war ja in dem Ausmaß nicht vorhersehbar. Das Stanley ist ein Laden, der für Qualität stand."

Ähnlich wie die Ardinasts sieht auch Coga, wie sich auf "seinen" Straßen die Situation verändert: "Ein großes Problem ist der Umschwung von Heroin auf Crack. Das putscht auf und man kann es ganz einfach auf der Straße rauchen, dafür muss man nicht in die Druckräume. Kleindealerei ist ein Problem, die Bandenkriminalität und die Förderung von Prostitution. Und unfassbar ist auch der Müll, der dadurch entsteht."

Die Straße vor dem Nachtclub "Pik Dame" würden sein Vater und er in Eigenregie sauberhalten. Coga will generell Teil der Lösung sein: "Ein guter Ansatz wäre, wenn die Stadt etwas in Kombination mit den Anwohnern und den Leuten, die hier arbeiten starten würde. Man kann nicht alles auf die Stadt schieben, man kann nicht alles auf die Polizei schieben."

Teoman Savas, Inhaber "Why!Coffee"

Teoman Savas steht an der Theke seines Cafés im Frankfurter Bahnhofsviertel.

Max Coga trinkt seinen Kaffee an diesem Tag bei Teoman Savas. Der hat in der Kaiserstraße das "Why!Coffee" eröffnet, im März 2022. Davor hatte er an der selben Stelle einen kleinen Handyladen. Jetzt hat er sich den Traum vom eigenen Café erfüllt.

Die Standortwahl? Die kann Savas schnell erklären: "Hier ist einfach das geilste Gebiet Frankfurts. Du kommst mit allen möglichen Menschen zusammen, von denen du es nicht erwartet hättest: Von Piloten bis zu Obdachlosen, von Spitzenbänkern bis zu Tellerwäschern, alles in extrem konzentrierter Form. Und alle begegnen sich hier auf Augenhöhe."

Savas begrüßt die meisten Gäste mit Handschlag. Er kennt viele, die immer wieder kommen: "Wir haben jetzt schon sehr viele Stammkunden. Und um die Mittagszeit wird es hier immer extrem voll. Das habe ich in der Form nicht erwartet, das macht mich sehr froh."

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„Es kommt immer näher, das spürt man schon.“ Teoman Savas Teoman Savas
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Bei all der Begeisterung für sein neues Projekt kann Savas trotzdem nicht die Augen vor dem verschließen, was vor seinem Café passiert: "Wir haben immer mehr Junkies, Obdachlose, die vor unseren Türen schlafen oder denen wir abends etwas ausgeben. Früher war das etwas weiter weg, Richtung Bahnhof. Und es kommt immer näher, das spürt man schon."

Alexander Dohn, Mitinhaber "Schuhmacherei Lenz"

Alexander Dohn sitzt im Schaufenster der Schuhmacherei Lenz, die er gemeinsam mit seinem Vater führt.

400 Meter weiter sitzt in der Schuhmacherei Lenz Alexander Dohn auf einem kleinen Hocker und arbeitet an einem Paar Lederschuhen. Der Laden hat ein offenes Schaufenster ohne Glasscheibe, Dohn schaut direkt raus auf den Bürgersteig der Münchener Straße. Was er dort in den vergangenen Monaten erlebt, lässt ihn immer häufiger den Kopf schütteln: "Manchmal muss ich mir meinen eigenen Parkplatz von Scherben befreien, die Mülleimer quillen über, die Obdachlosen setzen sich zwischen die Autos und verrichten ihr Geschäft. Nach einem halben Tag müsste der Putztrupp eigentlich schon zum zweiten Mal hier durch."

Dohn führt das Traditionsgeschäft in der Münchner Straße zusammen mit seinem Vater. Auch wenn die Zustände im Bahnhofsviertel schlimmer werden, ein Umzug sei die absolut letzte Reißleine, sagt Dohn. Er gibt aber auch zu, zumindest schon einmal darüber nachgedacht zu haben: "Was ist denn, wenn es wirklich immer so weitergeht? Ich habe ja noch über 40 Jahre Berufsleben vor mir, da muss man so etwas in Erwägung ziehen." Er sieht die Stadt in der Pflicht, die Lage für Ladenbesitzerinnen und -besitzer zu verbessern: "Wir zahlen weiterhin unsere Gewerbesteuer und es wird trotzdem gefühlt von Tag zu Tag schlimmer. Das kann es nicht sein."

Michael Weber, Ortsvorsteher Bahnhofsviertel

Michael Weber, Ortsvorsteher des Bahnhofsviertels, steht auf der Taunusstraße

Michael Weber (CDU) ist ehrenamtlicher Ortsvorsteher für die Bewohner des Bahnhofsviertels. An ihn wenden sie sich mit ihren Beschwerden. "Die Mails sind mehr und länger geworden", sagt er. "Meistens geht es darum, dass überall Dreck herumliegt, nicht nur Müll. Anwohner schreiben mir, dass in die Hauseingänge uriniert wird oder auch größere Geschäfte erledigt werden."

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„Die Beschwerde-Mails sind länger geworden.“ Michael Weber Michael Weber
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Ebenfalls häufig ein Beschwerdegrund: Der Lärm auf den Straßen. "Die Anwohner sagen, sie können gar nicht mehr schlafen. Durch die Droge Crack, die immer mehr konsumiert wird, sind die Drogenabhängigen oft aggressiv. Dann entsteht Streit zwischen den Drogenabhängigen oder den Dealern. Da wird nachts einfach rumgeschrien, ohne Unterbrechung."

Die ehrenamtliche Arbeit sei deutlich intensiver geworden, Weber führe wesentlich mehr Gespräche mit Anwohnern und Vertreterinnen und Vertretern der Stadt. Immer wieder Thema: Öffentliche Toiletten. Absolute Mangelware im Viertel, sagt Weber: "Die Forderung ist schon so alt, aber wir bringen sie immer wieder. Wenn es keine Möglichkeit gibt, auf Toilette zu gehen, machen die Menschen natürlich auf die Straße."

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