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Landgericht verpflichtet Twitter zum Löschen ehrverletzender Inhalte

Handy mit Twitter-Account vor Twitter-Logo

Betroffene von Beleidigungen und Falschbehauptungen auf Twitter dürfen von der Plattform verlangen, dass sie solche Einträge löscht. Diese Grundsatzentscheidung hat das Landgericht Frankfurt nach einer Klage des baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten gefällt.

Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter Michael Blume hat im Streit gegen Twitter um die Verbreitung mutmaßlicher Falschaussagen einen überwiegenden Erfolg erzielt. Nach einer Entscheidung des Frankfurter Landgerichts können Betroffene von der Plattform verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden.

Die Richter gingen in der Grundsatzentscheidung aber noch einen Schritt weiter: So muss Twitter demnach auch kerngleiche Äußerungen entfernen, sobald der Kurznachrichtendienst von den konkreten Persönlichkeitsverletzungen Kenntnis erlangt. Nach einer Beanstandung müsse der Betreiber des Sozialen Netzwerks auch eigenständig nach weiteren Nachrichten mit gleichen oder ähnlichen Aussagen fahnden. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (Az. 2-03 O 325/22).

Richterin: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum"

"Die Entscheidung zeigt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist", sagte die Vorsitzende Richterin Ina Frost bei der Urteilsverkündung am Mittwoch. In dem Eilverfahren hatten Blume und die unterstützende Organisation HateAid Twitter vorgeworfen, für die Verbreitung von Verleumdungen mitverantwortlich zu sein. Konkret ging es um 46 Tweets, durch die sich der Antisemitismusbeauftragte in seinen Rechten verletzt sieht.

Blume sagte aus, dass in den Tweets unter anderem behauptet worden sei, er gehe fremd und betrüge seine Frau mit Minderjährigen. Außerdem sei bei dem Kurznachrichtendienst verbreitet worden, er sei in "antisemitische Skandale" verstrickt und "Teil eines antisemitischen Packs".

Das Gericht entschied, dass "diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr" seien. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. Sie sei aber in dem gewählten Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, Stimmung gegen Blume zu machen.

Twitter hat keine allgemeine Monitoring-Pflicht

Zudem entschied die Kammer, dass das Unterlassungsverbot nicht nur dann greife, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt werde, "sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden". Werde ein Tweet mit zu löschendem Inhalt binnen 24 Stunden mehr als zehnmal weiterverbreitet, müsse Twitter von sich aus eingreifen - andernfalls drohe dem Unternehmen ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro pro Fall.

Das Gericht erklärte aber auch, dass Twitter keine allgemeine Monitoring-Pflicht mit Blick auf seine rund 237 Millionen Nutzer auferlegt werde. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich von konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Manche Behauptung erlaubt das Gericht

Darüber hinaus erachtete die Kammer die Äußerung eines Nutzers als zulässig, wonach der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte in die jährlich vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. Unabhängig davon, ob dies gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden, hieß es. Dagegen müsse sich Blume im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.

Blume selbst vermutet hinter dem nach dem weltweit bekannten Nazijäger benannten Zentrum in Kalifornien ebenso wie hinter den diffamierenden Tweets rechte Trolle und Trumpisten, wie er in einem Blogeintrag schrieb. Das wahre Simon-Wiesenthal-Institut liege in Wien und stehe hinter ihm.

Blume: "Hass darf kein Geschäftsmodell sein"

Nach der Entscheidung sprach Blume am Mittwochmittag in Frankfurt von einem "bewegenden Tag". Die Geschäftsführerin von HateAid, Anna-Lena von Hodenberg, nannte es einen "guten Tag für die Demokratie". Sollte Blume im Hauptsacheverfahren ein Schadenersatz zugesprochen werden, will er die Summe an die Menschenrechtsorganisation spenden, wie er sagte.

Blume will sich nach eigenem Bekunden nicht daran gewöhnen, Verunglimpfungen ausgesetzt zu sein. Er kritisierte, dass ab einem gewissen Zeitpunkt auch seine Frau und die drei gemeinsamen Kinder Ziel der Angriffe geworden seien. Er nannte es "insgesamt nicht leicht, darüber zu sprechen". Blume forderte, dass es mit Blick auf Hate Speech im Internet gesellschaftlich "einen Ruck geben" müsse. Menschen müssten wissen, dass sie nicht allein seien, wenn sie solchen Situationen ausgesetzt seien. "Hass darf kein Geschäftsmodell sein", sagte Blume.

Michael Blumes Anwalt Chan-jo Jun twitterte: "Heute ist ein guter Tag für die Würde des Menschen (unantastbar, btw), die Meinungsfreiheit und den demokratischen Rechtsstaat, bei dem Regeln für alle gelten - und nicht nur für Milliardäre und anonyme Trolle." Der Anwalt hält es für gut möglich, dass das Verfahren am Ende beim Bundesgerichtshof (BGH) landet. Jun vertrat auch schon die frühere Bundestagsabgeordnete und Bundesministerin Renate Künast (Grüne), die sich gegen Beleidigungen auf Facebook wehrte - mit Erfolg.

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