Ihr entgeht kein Gesicht, sie vergisst nie: Kriminalkommissarin Vanessa Stein ist eine sogenannte Super-Recogniserin. Was sie mit der angeborenen Gabe, Gesichter treffsicher wie ein Computer immer wieder zu erkennen, anfängt, erzählt sie im Interview.

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Super-Recogniserin Vanessa Stein als Talkgast bei hallo hessen

Super-Recogniserin
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Vanessa Stein ist eine so genannte Super-Recogniserin bei der Frankfurter Polizei. Die 29 Jahre alte Kriminalkommissarin besitzt eine angeborene Fähigkeit, die laut Schätzung der Wissenschaft in dieser Ausprägung nur zwei Prozent der Menschen beherrschen: Sie kann sich außergewöhnlich gut an Gesichter erinnern, auch noch nach vielen Jahren, selbst wenn die Menschen ihr Äußeres stark verändert haben. Ihre Gabe, Menschen zu erkennen, ist so stark ausgeprägt, dass sie in einigen Bereichen mindestens so viel leisten kann wie ein Computer.

Den Eignungstest für den Beruf absolvierte Stein vor zwei Jahren zusammen mit rund 1.000 anderen Bewerbern im Frankfurter Polizeipräsidium. Mit Erfolg: Seit einem Jahr arbeitet die Kriminalkommissarin als eine von zwei hauptamtlichen Super-Recogniserinnen und hilft mit ihrer Gabe bei der Aufklärung von Straftaten. Im Interview erzählt sie, dass ihr lange nicht aufgefallen ist, dass sie etwas Besonderes kann.

Vanessa Stein ist eine von derzeit zwei hauptamtlichen Super-Recognisern.

hessenschau.de: Wie haben Sie gemerkt, dass Sie Super-Recogniserin sind?

Vanessa Stein: Gemerkt habe ich das anfangs gar nicht, weil es für mich total normal war, dass ich Personen wiedererkenne. Ich hatte am Arbeitsplatz davon gehört, dass es Personen gibt, die sich Gesichter besonders gut merken und wiedererkennen können und fand das spannend. Dass ich das auch kann, wurde mir nach einem Test (Anm. d. Red.: Test der University of Greenwich) mitgeteilt. Bei dem Test hatte ich 14 von 14 Punkten.

hessenschau.de: Wie gehen Sie vor, wenn Sie Gesichter erkennen?

Vanessa Stein: Das ist eine gute Frage. Ich weiß das selbst nicht genau. Für mich ist es total einfach, Bilder zu vergleichen. Ich kann nicht sagen, wie ich das mache. Das ist eine angeborene Gabe, die man nicht lernen kann. Als ich den Eignungstest gemacht habe, konnte ich gar nicht verstehen, dass Kollegen nicht alle Gesichter erkannt haben. Für mich war das total einfach. Man kann natürlich aufmerksam Leute anschauen und überlegen, ob man sie wiedererkennt, aber man kann diese Gabe des Recognisers nicht erlernen.

hessenschau.de:  Wie werden Sie als Super-Recogniserin eingesetzt?

Vanessa Stein: Die Kollegen rufen uns an, wenn sie zum Beispiel eine Fahndung ins polizeiliche Intranet gestellt haben. Wenn die Bildqualität schlecht ist und sich die Kollegen nicht sicher sind, werden wir gefragt. Wir geben dann unsere Meinung ab und die ist meistens relativ eindeutig.

hessenschau.de: Wie kommen Sie zurecht, wenn Personen Masken tragen?

Vanessa Stein: Wir kennen die Arbeit nur mit Maske, weil es uns erst seit Mai 2021 gibt und freuen uns natürlich, wenn die Masken nicht mehr da sind. Mir reichen aber eigentlich schon die Augen, ein Ohr oder ein bisschen Haaransatz, um jemanden zu erkennen.

hessenschau.de: Das heißt, Sie bekommen ein Foto von einem mutmaßlichen Täter oder eine Täterin und werten Videomaterial von Bahnhöfen oder Flughäfen aus?

Vanessa Stein: Wir machen zum Beispiel direkte Bildvergleiche und vergleichen das Foto einer Überwachungskamera mit unserem erkennungsdienstlichen Datenbestand. Das ist ein System, in das wir ein paar Parameter eingeben können, wie Größe, Haarfarbe oder den Phänotypen. Ich schaue mir aber auch Videos an. Bei einem Tötungsdelikt im letzten Jahr habe ich zum Beispiel geschaut, ob ich den Täter bei uns in der Datenbank wiederfinde.

hessenschau.de: Sind Sie besser als ein Computer?

Vanessa Stein: Ich war zumindest mal genauso gut wie ein Computer. Da ging es um die Aufklärung dieses versuchten Tötungsdeliktes im letzten Jahr. Darauf bin ich stolz. Für 2.000 Bilder habe ich nur 15 Minuten gebraucht. Es gibt aber auch "lustigere" Fälle. Ich war mal in der Freizeit unterwegs und habe dann jemanden wiedererkannt, der seit über drei Monaten gesucht wurde, wegen einer Körperverletzung. Der war Kellner in einem Café.

hessenschau.de: Würden Sie auch ihre erste Klassenlehrerin wiedererkennen?

Vanesssa Stein: Ja, natürlich. Zum Beispiel saß ich vor zwei Wochen in der Bahn und habe eine Mutter und ihre Tochter gesehen. Beide hatten eine Maske auf und als ich neulich über den Markt gelaufen bin, habe ich die an einem Stand wieder gesehen. Ich weiß dann sofort, wo ich die Personen gesehen habe. Für andere ist so etwas schwieriger. Ich würde auch in New York auf der Straße jemanden erkennen, mit dem ich ins Fitnessstudio gehe. Die Verknüpfung ist sofort da.

hessenschau.de: Wie ist das, wenn jemand die Haare geschnitten oder zu- oder abgenommen hat?

Vanesssa Stein: Das ist gar kein Problem. Ich erkenne auch Leute von hinten. Ich war zum Beispiel letztes Jahr in Mainz auf dem Markt und habe zwei Männer von hinten gesehen und wusste, dass ich bei dem einen vor sieben Jahren bei einer Ruhestörung im Streifendienst in Wiesbaden war.

hessenschau.de: Können Sie sich "nur" Gesichter gut merken oder auch Dinge, Zahlen oder Gegenstände?

Vanessa Stein: Ich kann mir auch Wege ganz gut merken und ich habe Synästhesie. Das heißt, ich verknüpfe Zahlen mit Farben, Geschmäcker mit Musik und Personen mit Farben. Das hat aber nichts mit Super-Recognising zu tun.

hessenschau.de: Werden Sie auch bei Demos als Super-Recogniserin eingesetzt?

Vanessa Stein: Wir werden überall da eingesetzt, wo es Bilder von den Tätern gibt. Wir können auch bei Demonstrationen eingesetzt werden, wenn es dazu eine Bildlage gibt. Es bringt aber nichts, wenn man mich vor einen Demonstrationszug stellt und sagt: 'Jetzt guck mal!'. Ich muss schon wissen, wonach ich suche.

hessenschau.de: Kann das jeder mit dieser Gabe machen oder muss man zusätzlich eine Ausbildung bei der Polizei machen?

Vanesssa Stein: Nach dem Eingangstest muss man eine Reihe von vielen weiteren und längeren Tests absolvieren. In Hessen ist aber auch eine Ausbildung bei der Polizei oder ein Bachelor bei der Kriminal- oder Schutzpolizei nötig. Im Moment sind wir in Frankfurt 70 nebenamtliche und zwei hauptamtliche Super-Recogniserinnen.

hessenschau.de: Wie viele Straftaten konnten durch Sie schon aufgedeckt werden?

Vanesssa Stein: Wir haben von Mai bis Dezember 400 Fälle geschafft.

Das Gespräch führte Jens Pflüger.

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