Hände mit blauen Schutzhandschuhen geben eine Spritze in den Oberarm einer Frau.

Der Frankfurter Virologe Stürmer hat den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Lauterbach nach klaren Impf-Ansagen für alle Altersgruppen kritisiert. Die Forderung an die Stiko sei fehlplatziert und eine vierte Impfung aktuell oft unnötig, sagt der Mediziner im Interview.

Videobeitrag

Video

Fehlzeiten wegen Corona gestiegen

hs
Ende des Videobeitrags

Bisher wird die vierte Corona-Impfung von der Ständigen Impfkommission (Stiko) nur Menschen über 70 Jahren und Risikogruppen empfohlen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) fordert von der Stiko nun eine klare Ansage für alle Altersgruppen. "Wir sollten nicht nur sagen, was die über 70-Jährigen machen sollen", so Lauterbach. "Wir müssen auch eine Antwort für den 40-Jährigen haben", so der Minister, der zugleich für eine zweite Auffrischungsimpfung auf breiterer Front plädierte.

Für den Frankfurter Virologen Martin Stürmer sind solche Forderungen fehlplatziert und unnötig. Im Interview mit hessenschau.de erklärt der Mediziner, warum er Lauterbachs Vorgehen nicht gutheißt und wann eine vierte Impfung Sinn macht.

hessenschau.de: Herr Stürmer, warum nimmt Herr Lauterbach diesen Vorstoß in Richtung Stiko jetzt vor?

Der Virologe Martin Stürmer steht im Labor und lächelt in die Kamera.

Martin Stürmer: Ich sehe immer mal wieder, dass versucht wird, politische Entscheidungen auf die Stiko abzuwälzen. Dass man also versucht, mit der Stiko bestimmte politische Strömungen zu instrumentalisieren und Entscheidungen in bestimmte Richtungen zu drängen. Herr Lauterbach versucht natürlich die Impfung in den Vordergrund zu bringen, weil auch er weiß, dass wir mit einer guten Impfstrategie viel leichter in den Herbst und Winter gehen können. Nur zum jetzigen Zeitpunkt ist das meiner Meinung nach nicht mehr sinnvoll, diesen Druck auf die Stiko auszuüben.

hessenschau.de: Kritisiert Herr Lauterbauch die Stiko zu Recht?

Stürmer: Wir haben in der ganzen Phase der Pandemie schon häufiger die Stiko in der Kritik gesehen - sicherlich zum Teil auch berechtigt. Die Mechanismen, die zu Entscheidungen führen, sind manchmal etwas langwierig. Auf der anderen Seite ist es ein unabhängiges Gremium. Meiner Meinung nach sollte die Politik sich dort raushalten und keinen Einfluss auf diese Kommission nehmen. Wenn die Politik entscheidet, was richtig ist, dann ist so ein Expertengremium nicht wirklich zielführend.

hessenschau.de: Für Menschen unter 70 Jahren gibt es bislang keine Empfehlung für eine vierte Impfung. Können Sie das nachvollziehen?

Stürmer: Es gibt ja von der Stiko Empfehlungen, für welche Patientengruppen eine vierte Impfung empfohlen wird. Im Umkehrschluss heißt das, wenn ich nicht zu dieser empfohlenen Gruppe gehöre, ist für mich die Impfung aktuell aus deren Sicht nicht notwendig.

hessenschau.de: Und aus Ihrer Sicht?

Stürmer: Was die Stiko zeitnah umsetzen könnte, wäre die Überlegung, ob man von der Altersgrenze 70 auf die Altersgrenze 60 gehen würde. Alles andere würde ich abwarten, bis die angepassten Impfstoffe zur Verfügung stehen. Ich glaube nicht, dass das Sinn ergibt, wenn die Stiko jetzt Energie darauf verschwendet, um für jede Altersgruppe und Grunderkrankung irgendwelche Spezial-Empfehlungen rauszugeben.

Voting

Wollen Sie sich vor dem Herbst noch impfen lassen?

hessenschau.de: Ist eine Impfung für jüngere Menschen aktuell überhaupt sinnvoll?

Stürmer: Zum aktuellen Zeitpunkt haben wir Impfstoffe, die an den Ursprungsstamm angepasst worden sind und uns vor schweren Verläufen schützen. Aber bei der BA.5-Variante schützen sie so gut wie gar nicht mehr vor der Ansteckung. Insofern ist der Mehrwert für junge, immungesunde Menschen marginal. Eine Impfung würde da jetzt keinen großartigen Bonus mehr geben.

hessenschau.de: Wie geht es denn im Herbst weiter?

Stürmer: Wir werden im Herbst sicherlich angepasste Impfstoffe zur Verfügung gestellt bekommen. Die Studienlagen sehen sehr gut aus. Ich gehe davon aus, dass wir mit diesen Impfstoffen einen deutlich besseren Schutz vor Infektionen gegen die Omikron-Varianten haben werden. Wie lang dieser Impfschutz dann auch anhält, das ist Zukunftsmusik.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen