Sie sind gut ausgebildet und bereit, ihre Heimat hinter sich zu lassen: Zehn Erzieherinnen aus Kolumbien wollen in Hessen in einer Kita arbeiten. Sie sollen die Lücken füllen, die der Fachkräftemangel reißt.

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Erzieherinnen aus Kolumbien kommen nach Hessen

Kinder spielen in einer Kita (Archivbild) (dpa)
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Alejandra Santoyo Alemán ist eine von zehn Erzieherinnen, die im Oktober aus Kolumbien nach Hessen kommen werden. "Ich bin sehr glücklich und freue mich", sagt die 26-Jährige im Videointerview. Ab Herbst wird sie hier in einer Kita arbeiten. Alles, was sie kennt, was ihr vertraut ist, lässt sie dafür hinter sich, um in ein neues Leben aufzubrechen.

Begleitet werden sie und ihre neun Kolleginnen von der Agentur TalentOrange aus Frankfurt. Denn in Deutschland gibt es zu wenige Kita-Fachkräfte. Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung könnten bis 2030 bundesweit 230.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen. Und in Hessen sieht es nicht viel besser aus. "Dort könnten es bis zu 25.000 Fachkräfte sein, die fehlen", sagt Katrin Bock-Famulla, Leiterin der Abteilung frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann-Stiftung. Diese Lücke will die Agentur TalentOrange schließen.

Keine berufliche Perspektive in Kolumbien

Alejandra Santoyo Alemán sieht für sich in dem Umzug nach Hessen eine große Chance. Die 26-Jährige wohnt in Armenia, einer mittelgroßen Stadt mit 300.000 Einwohnern. Dort gebe es viel Kriminalität auf den Straßen, sie habe Angst, überfallen zu werden. Die 26-Jährige mit der großen Brille, dem offenen Lachen und den schwarzen langen Haaren hat frühkindliche Bildung an der Universität von Quindio studiert, war eine der Besten in ihrem Jahrgang.

Eine berufliche Perspektive sehe sie in ihrem Heimatland dennoch nicht. In Kolumbien werde ihr Beruf nicht sehr geschätzt, sagt Alejandra Santoyo Alemán: "Man kann hier von dem Gehalt nicht leben, und ich brauche zwei, drei Jobs, um genug Geld zu verdienen." In Deutschland sei das anders, es gebe viel bessere Arbeitsverträge. Sie setze große Hoffnung in ihr neues Leben. Dafür hat die 26-Jährige viel investiert: Gut sieben Monate Intensiv-Sprachkurs liegen hinter ihr. Nach täglich bis zu zehn Stunden Unterricht und Lernzeit spricht sie gebrochen Deutsch.

Alejandra Santoyo Alemán steht in FFreizeitkleidung an einem Aussichtspunkt vor einem Berg.

Sprachkurs und Begleitung in allen wichtigen Bereichen

Das Unternehmen TalentOrange sucht junge Menschen wie Alejandra. Sie werden in einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren ausgewählt für das Stipendium. "Wir nehmen nur die Besten der Besten", sagt Projektleiterin Leydi Sanchez, die selbst ursprünglich aus Kolumbien kommt: junge Menschen, die bereits einen Abschluss haben, hoch qualifiziert und motiviert sind. "Wir bilden sie intensiv in der deutschen Sprache weiter und vermitteln ihnen auch die deutsche Kultur." In Kolumbien kenne sich das Unternehmen aus, weil es schon seit Jahren auch Fachkräfte für die Krankenpflege dort anwirbt. "Wir kennen die Unis und Ausbildungsinhalte", sagt Sanchez.

TalentOrange bietet bei dem Modell alles aus einer Hand: Von der Suche der Talente vor Ort, dem Sprachkurs, über die Suche nach Arbeitgebern in Deutschland, die Anerkennung der Bildungsabschlüsse bis hin zur Flugbuchung, Wohnungsuche, Anmeldung und ersten Begleitung in Deutschland. Das Ganze dauert zwischen eineinhalb und zwei Jahren und kostet ein halbes Jahresgehalt einer Erzieherin in Deutschland. Also ungefähr zwischen 15.000 und 24.000 Euro. Genaue Zahlen will TalentOrange nicht nennen. Die Kosten übernimmt der neue Arbeitgeber.

Fachkräftemangel: Kitas suchen händeringend nach Personal

Für die Kitas in Hessen ist das Angebot interessant, denn sie suchen Hände ringend nach Personal, das es nicht gibt. Offene Stellen bleiben oft jahrelang unbesetzt.

Auch der städtische Eigenbetrieb Kita Hanau hat sich entschieden, sechs der kolumbianischen Erzieherinnen einzustellen. Astrid Weiermann, Betriebsleiterin bei Kita Hanau, ist überzeugt von dem Konzept. Ihr gefällt, dass die jungen Menschen von Anfang an gut begleitet werden. Nur so könne Zuwanderung funktionieren. "Wir kaufen ja keine Ware", sagt sie. "Wir möchten, dass die Menschen hier gut ankommen." Auch die Stadt ziehe mit. Über die Baugesellschaft Hanau wurden sechs Wohnungen gefunden, die in einem Haus liegen, damit die jungen Frauen zusammen wohnen können.

Zwei Erzieherinnen aus Kolumbien werden in der Kita Francois-Gärten in Hanau anfangen. Leiterin Katharina Knies freut sich schon auf die Verstärkung. "Wir sind ein ganz offenes Team und haben schon jetzt Erzieherinnen aus verschiedenen Kulturen." Man sei gespannt, was die neuen Kolleginnen mitbringen.

Kita-Personal aus dem Ausland reicht nicht, um das Problem zu lösen

Um dem großen Mangel an Fachkräften in Kitas in Hessen zu begegnen, reiche das Anwerben von Personal aus dem Ausland aber nicht aus. "Dafür ist das Problem zu groß", sagt Betriebsleiterin Astrid Weiermann. Kita Hanau bilde deshalb jedes Jahr selbst 100 neue Erzieherinnen und Erzieher aus.

Katrin Bock-Famulla, Leiterin frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann-Stiftung bestätigt das. Man müsse insgesamt die Bedingungen für Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland verbessern, um mehr junge Leute zu gewinnen. Die Ausbildung in Deutschland sei sehr häufig noch unbezahlt, was viele abschrecke, die den Beruf eigentlich gerne ergreifen würden.

Kita-Fachkräfte aus Übersee zu holen sei nur eine Möglichkeit, ein kleiner Baustein, um die immer größer werdende Lücke zu füllen. Und in der Tat: Die Zahl der Fachkräfte, die in den letzten Jahren aus dem Ausland in hessische Kitas gekommen sind, steigt zwar, ist aber noch überschaubar. 2020 wurden nach Angaben des hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst 311 Hochschulabschlüsse aus dem Ausland anerkannt. 2017 waren das noch nicht einmal halb so viele. Die Ausbildungs- oder Studieninhalte variieren zudem weltweit so stark, dass die Anerkennung der Abschlüsse in Deutschland kompliziert und bürokratisch ist.

"Ich bin aufgeregt, aber sehr glücklich"

Bei der 26-jährigen Alejandra aus Kolumbien hat sich TalentOrange um die Anerkennung ihres Studiums der frühkindlichen Bildung gekümmert und es hat geklappt. Sie sei aufgeregt vor dem Start in ihr neues Leben in Hessen und habe großen Respekt vor der Sprache, sagt sie: "Deutsch ist wirklich sehr schwierig." Aber vor allem freue sie sich und sei "sehr glücklich".

Um in Hessen durchzustarten, lässt Alejandra ihren Mann und ihre Eltern in Kolumbien zurück. Sie hoffe aber, dass ihr Mann irgendwann nachkommen kann. Der studiere noch Chemie in Kolumbien, könne sich ein Leben in Deutschland aber gut vorstellen. In gut zwei Monaten wird Alejandra also ins Flugzeug steigen, gut 16 Stunden über den Ozean fliegen und ihre Heimat verlassen, um in einer Kita anzufangen. Die Kinder werden ihr den Start leicht machen, da ist sich Kitaleiterin Katharina Knies sicher: "Kinder sind die offensten Menschen".

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