Bei der Linkspartei in Hessen soll es jahrelang sexuelle Übergriffe gegeben haben. Die Linksjugend spricht von "knapp unter zehn Tätern". Unter Druck gerät auch die Bundesvorsitzende Janine Wissler.

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#MeToo-Skandal bei der Linken

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In der hessischen Linkspartei soll es nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel jahrelang zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Es gebe Dokumente wie Chatverläufe, Fotos oder E-Mails sowie eidesstattliche Versicherungen von Betroffenen mit Hinweisen auf "mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur", berichtet das Magazin nach Gesprächen mit zehn Frauen und Männern. Bei Twitter wurden die Vorwürfe unter dem Hashtag #linkemetoo diskutiert.

Wissler weist Vorwürfe zurück

Eines der Opfer ist eine heute 22 Jahre alte Frau. Sie bestätigte dem hr die im Spiegel geschilderten Übergriffe durch einen Fraktionsmitarbeiter, den sie als noch Minderjährige kennen gelernt hatte. Mehrmals habe sie damals das Gespräch auch mit der damaligen Fraktionschefin und heutigen Bundesvorsitzenden Janine Wissler gesucht, sei aber von ihr nicht ernst genommen worden.

Wissler wandte sich entschieden dagegen, dass "mir unterstellt wird, ich hätte irgendjemanden geschützt". Die heute 22 Jahre alte Frau habe ihr 2018 mitgeteilt, "dass sie ein sexuelles Verhältnis zu meinem damaligen Partner hatte." Nach dieser Offenbarung habe sie die Beziehung beendet. Bei keinem der darauf folgenden Kontakte mit ihr "wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Gewalt erhoben", so Wissler.

In dem anderen Fall habe sie im November 2021 einen Instagram-Screenshot zugeschickt bekommen, erklärte Wissler. Darin habe eine ihr nicht persönlich bekannte junge Frau angegeben, "dass sie vor einigen Jahren durch ein Mitglied der Wiesbadener Linken sexuell missbraucht und durch ein Mitglied der Wiesbadener SPD sexuell belästigt worden sei". Wissler betonte, sie habe "sofort" gehandelt, als ihr derartige Vorwürfe bekannt geworden seien. Der Parteivorstand habe im Oktober 2021 eine Vertrauensgruppe eingesetzt, als Hilfsinstanz für Betroffene.

Aufarbeitung mit neutralen Vertrauensleuten

Der geschäftsführende Landesvorstand der Linken nennt in einer Stellungnahme die aktuelle Berichterstattung über die Vorwürfe sexualisierter Gewalt "schockierend". Die Partei habe Ende November 2021 Kenntnis davon bekommen und seitdem begonnen, "diese auf allen Ebenen aufzuarbeiten". ^

Als weiteren Schritt zur Aufarbeitung will der hessische Landesverband "neutrale" Vertrauensleute finden, wie er am Samstag erklärte. Diese sollen in der Partei keine Ämter und Funktionen innehaben. Die Suche wolle man nach Ostern abschließen.

Solid-Sprecher spricht von "knapp unter zehn Täter"

Linksjugend-Bundessprecher Jakob Hammes bezeichnete auf Twitter die Vorwürfe als "erschreckend, aber nicht überraschend". Die Jugendorganisation der Partei "Die Linke" hatte Opfer sexualisierter Gewalt aufgerufen, sich bei ihnen zu melden. "Seit Januar 2022 haben sich rund 25 mutmaßliche Betroffene sexualisierter Gewalt aus mehreren Landesverbänden der Linksjugend, auch aus Hessen, beim Awareness-Team der Linksjugend solid auf Bundesebene gemeldet", sagte Hammes gegenüber hessenschau.de.

"Neben Vorwürfen von sexuellen Übergriffen haben wir auch Vergewaltigung und Machtmissbrauch geschildert bekommen", sagte Hammes. Die Vorwürfe bezögen sich vor allem auf die letzten zwei bis drei Jahre. Auch die im Spiegel geschilderten Fälle zählten dazu. "Knapp unter zehn der mutmaßlichen Täter sind Mitglieder der hessischen Linken."

Vor allem Kreisverband Wiesbaden betroffen

Betroffen von den Vorwürfen sei vor allem der Kreisverband Wiesbaden. Hammes bezeichnete ihn als ein Paradebeispiel, wie es nicht gehen sollte. Die Aufarbeitung sei von Einzelpersonen aktiv unterbunden wurden. Auch beim Landesverband habe es Widerstand gegeben, "bis hin zu offenen Feindseligkeiten von einzelnen Personen aus dem Landesvorstand, die uns auch Parteiausschluss drohten."

In die geplante Awareness-Struktur des Landesverbandes hat Hammes "in der aktuellen Form kein großes Vertrauen". Die Ankündigung komme zu spät und sei nur präventiv, kritisierte am Sonntag auch Linksjugend-Bundessprecherin Sarah Dubiel. "An den aktuellen Fällen wird sich dadurch nichts ändern."

Dubiel: Partei muss jetzt Geld in die Hand nehmen

Dass eine unabhängige Vertrauensstelle schon seit langem gefordert werde, jedoch erst jetzt umgesetzt werden soll, bezeichnete sie als Blamage. Nötig seien professionell geschulte und ausgebildete Ansprechpartner. "Die Partei muss jetzt Geld in die Hand nehmen, sowohl zur Aufarbeitung als auch für Ansprechpersonen zu potenziellen weiteren Fälle", forderte Dubiel, die auch Stadtverordnete in Wetzlar ist. Sie hatte schon am Freitag Täter und Täterschützer aufgefordert, ihre Posten zu verlassen.

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