Viele Menschen ohne festen Wohnsitz schaffen es auf Dauer nicht, weg von der Straße zu kommen. In Marburg soll ein Mini-Dorf eigens für Obdachlose Abhilfe schaffen.

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Marburg plant neue Art von Unterkünften für Obdachlose

Ein älterer Mann mit Vollbart, Fellmantel und Filzhut sitzt an einem Tisch und unterhält sich mit einer älteren Frau mit grauen, kurzen Haaren.
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Die bunten Häuser im Wiener "VinziDorf" sind winzig, nur acht Quadratmeter groß, aber ausgestattet mit Bett, Toilette, Waschbecken, Tisch, Stuhl. Die Bewohner sind alkoholkrank und obdachlos. 2018 öffnete die heimelige Unterkunft für sie in der österreichischen Hauptstadt. Nach diesem Vorbild will Marburg ebenfalls Mini-Häuser für obdachlose Männer bauen.

Zehn kleine Häuser plus Gemeinschaftsgebäude sollen entstehen, im Moment ist die Stadt auf Standortsuche. Wichtig sei, "dass der Planungsprozess sehr behutsam verläuft", sagt der Geschäftsführer der Gemeinnützigen Wohnungsbau-Gesellschaft GeWoBau, Jürgen Rausch.

Vom Vorbild Wien wisse man, dass es Widerstand gegen das Projekt gab. In Marburg soll die Bevölkerung von Anfang an eingebunden werden.

Vorbild in Österreich

Der Name "VinziDorf" geht zurück auf die Vinzenzgemeinschaft, die in Österreich etwa 40 soziale Einrichtungen von Notunterkunft bis Sozialmarkt und Second-Hand-Shop betreibt. Gründer ist der Grazer Pfarrer Wolfgang Pucher.

Ein älterer Pfarrer in schwarzem Anzug mit weißem Kragen zeigt auf ein Schild mit der Aufschrift "VinziDorf".

Von der Idee, in Wien Unterkünfte für alkoholkranke Obdachlose zu schaffen, bis zur Umsetzung dauerte es 15 Jahre. Schließlich entstanden auf einem kirchlichen Grundstück 24 Wohneinheiten, "Häuser für die Unbehausten", wie es der Architekt und Erbauer des Wiener "VinziDorfes", Alexander Hagner, formuliert.

Städtische Angebote für Obdachlose oft unpassend

An seiner "Architektur für Obdachlose" orientiert sich nun Marburg. Anfang 2021, mitten in der Corona-Pandemie, hielt Hagner einen Vortrag bei einer Online-Veranstaltung der Stadt. Hagner, der in Wien mit einer Partnerin das Architekturbüro Gaupenraub betreibt, hat über Jahre Unterkünfte von Obdachlosen beobachtet.

Der Architekt erkannte, dass viele Angebote der Stadt Wien an den Bedürfnissen der Wohnsitzlosen vorbeigehen: etwa, weil sie einen Hund halten, der in Gemeinschaftsunterkünften nicht erlaubt ist; weil sie einen Partner oder eine Partnerin haben; weil sie nicht vom Alkohol wegkommen; oder weil sie durch die Jahre auf der Straße einfach nicht mehr mit anderen zusammen leben können. Mini-Häuser passen hier viel eher.

Ein älterer Mann mit Vollbart sitzt auf einer Bank und unterhält sich mit einer jungen Frau.

Baubeginn für 2024 geplant

Marburg hat einen Workshop angeboten, Kriterien für einen Standort erarbeitet und die Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement ausgelotet, wie GeWoBau-Geschäftsführer Rausch berichtet. Viele Fragen seien noch zu klären, zum Beispiel, wie ein Betriebskonzept aussehen kann und wie eine pädagogische Begleitung.

Die kleinen Häuser müssten zudem auch energetisch in Ordnung sein, "denn sie sind ja gerade im Winter interessant". Umsetzen will Rausch den Plan auf jeden Fall: Im nächsten Jahr soll möglichst der Standort vorbereitet werden, 2024 dann Baubeginn sein.

Bisher seien die Reaktionen, etwa auf Facebook, erstaunlich positiv, berichtet eine Stadt-Sprecherin. Insbesondere vorm Winter gebe es sogar regelmäßig Anfragen an die Stadt: "Was macht ihr für die Obdachlosen?"

Diakonie: "Teil-Baustein" gegen Obdachlosigkeit

Stefan Gillich von der Diakonie Hessen begrüßt das Projekt, sieht es aber als "Teil-Baustein" im Kampf gegen Obdachlosigkeit. "Wir brauchen viele kleine weitere Bausteine."

Einer sei das "Housing First"-Konzept, das Obdachlosen ohne Vorbedingung - etwa Alkoholabstinenz - eine Wohnung verschafft und ihnen begleitende Hilfen anbietet. Die Idee stammt aus den USA und wird mittlerweile auch in deutschen Städten ausprobiert. Sie kommt allerdings wegen des Mangels an Wohnraum vor allem in den Städten an Grenzen.

Gillich hält es außerdem für wichtig, dass die Mini-Häuser auf einem "sicheren Platz" stehen, wo die Obdachlosen angstfrei leben können. Auch müsse man mit Schwierigkeiten rechnen, etwa, wenn einige Bewohner Freunde und Bekannte nachholen.