Ex-Pfarrer Jan Kremer und Ehefrau Christin

Nach 20 Jahren als katholischer Pfarrer im Raum Fulda verliebte sich Jan Kremer und heiratete. Hier spricht er über seine Zeit als Seelsorger, seine Suspendierung aus dem Kirchendienst und warum er mit sich im Reinen ist.

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Wegen Zölibat-Verstoß suspendierter Priester in der Ehe glücklich geworden

Ex-Pfarrer Jan Kremer (Fulda)
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Jan Kremer war viele Jahre katholischer Pfarrer in Fulda und Petersberg. Als er sich jedoch in eine Frau verliebte und sie heiraten wollte, wurde er von der Kirche suspendiert. Die Ehe und das Priesteramt sind wegen des Zölibats nicht miteinander vereinbar. Rund vier Jahre ist das nun her. Lange hat der 51 Jahre alte Kremer darüber nicht öffentlich gesprochen, weil er der Kirche nicht schaden wollte. Nun, mit zeitlichem Abstand erzählt er, wie es ihm seitdem ergangen ist, warum er glaubt, dass der Zölibat irgendwann fallen wird und was die römisch-katholische Kirche seiner Ansicht nach falsch macht.

hessenschau.de: Herr Kremer, sind Sie glücklich geworden nach dem Umbruch in Ihrem Leben?

Kremer: Ja, absolut. Beruflich und familiär bin ich zufrieden und mit mir im Reinen. Der Plan ist aufgegangen. Ich kann sagen: Alles richtig gemacht.

hessenschau.de: Wie verdienen Sie, nachdem die Kirche sie im Sommer 2018 suspendiert hat, Ihren Lebensunterhalt?

Kremer: Ich bin Ober- und Mittelstufen-Lehrer am Dom-Gymnasium in Fulda und an einer Haupt- und Realschule in Hofbieber und unterrichte Ethik, Philosophie und katholische Religion.

hessenschau.de: Sie waren mit Leib und Seele Pfarrer. 20 Jahre. Vermissen Sie das nicht?

Kremer: Die Zeit, über ein Drittel meines Lebens, hat mich geprägt. Wenn ich nun sonntags in die Kirche gehe, denke ich: Da vorn, am Altar, stand ich mal und habe gepredigt. Es war schön. Aber ich denke nicht in Sehnsucht zurück. Es ist heute genauso eine wertvolle und erfüllende Tätigkeit an beiden Schulen.

hessenschau.de: Hätten Sie nicht auch gerne beides in Einklang gebracht: den Kirchen-Dienst und die Ehe?

Kremer: Beides zu vereinbaren, wäre optimal. Es war eine schöne Aufgabe, für Menschen in allen Lebenslagen da zu sein. Das hätte ich gern weitergemacht.

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Wenn Priester ihr Amt zugunsten einer Partnerschaft aufgeben

Dass Priester ihr Amt zugunsten einer Partnerschaft aufgeben (müssen), kommt selten vor. In den vergangenen zehn Jahren haben sich im Bereich des Bistums Fulda insgesamt sieben Priester nach ihrer Weihe für ein Leben in einer Partnerschaft entschieden und der römisch-katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Das berichtete das Bischöfliches Generalvikariat auf Anfrage des hr.

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hessenschau.de: Wie haben Sie die Ehelosigkeit als Pfarrer empfunden?

Kremer: Als große Einsamkeit über Jahre hinweg. Wenn man sonntagmittags alle beruflichen Verpflichtungen erledigt, die Gottesdienste gefeiert hatte, dann saß ich oft allein im Pfarrhaus - ohne einen Menschen und eine Familie, bei der man sich zuhause fühlt.

hessenschau.de: Wie war das, als Ihre spätere Ehefrau in ihr Leben trat und sich alles änderte?

Kremer: Wir haben uns mehr oder weniger zufällig kennengelernt. Sie hat am Pfarrhaus geklingelt und dann war es Liebe auf den ersten Blick. Klingt kitschig - war aber so.

hessenschau.de: Wie schnell ist dann die Entscheidung gefallen? Für ihre heutige Frau und gegen die Kirche.

Kremer: Nach einem halben Jahr war ich mir sicher, dass ich mit Christin mein Leben verbringen möchte. Die Zeit der Geheimhaltung war schwierig und unangenehm. Es durfte schließlich niemand davon wissen - zu gefährlich. Doch es war klar: Das Versteckspiel, sich an entfernten Orten zum Spazieren zu treffen, darf keine Dauerlösung sein. Man belügt sich selbst und die Gemeinde. Im Dezember 2019 habe ich Christin geheiratet. Sie hat noch zwei Töchter in die Beziehung eingebracht. Die Mädchen sind elf und zwölf Jahre alt.

hessenschau.de: Wie haben Sie Ihren Ausstand vorbereitet?

Kremer: Ich habe Termine - zum Beispiel für Hochzeiten - nur noch bis zu einem im Kalender gesetzten Zeitpunkt angenommen. Ich wollte alles sauber abarbeiten, niemanden enttäuschen und sagen müssen: "Sorry, Du hast leider Pech gehabt. Deine Trauung kann ich nicht mehr machen."

hessenschau.de: Als Sie sich geoutet haben: Wie waren die Reaktionen?

Kremer: Aus der Gemeinde durchweg positiv. Ich habe viele Briefe, Mails und Nachrichten bekommen. Sie alle haben mein Ausscheiden bedauert und Verständnis gezeigt. Weihbischof Diez war erschrocken und natürlich nicht begeistert. War ja eine weitere Lücke, die es dann personell zu stopfen galt.

hessenschau.de: Wie denken Sie heute über den Zölibat?

Kremer: Ich bin überzeugt: Die Kirche könnte gut und wahrscheinlich besser ohne den Zölibat funktionieren. Wenn man den abschaffen und die Ehe zulassen würde, würden sich bestimmt mehr junge Menschen fürs Priesteramt interessieren. Und sie würden ihre Aufgaben sicher nicht schlechter erfüllen. Ich glaube, dass früher oder später in Teilen und einzelnen Schritten der Zölibat abgeschafft wird. Denn der Druck zur Veränderung wird irgendwann zu groß. Es wird nur leider wohl noch Jahrzehnte dauern. Ich weiß nicht, ob ich das noch erleben werde.

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Zölibat - Ehelosigkeit für katholische Priester

Priester in der römisch-katholischen Kirche dürfen generell nicht heiraten, sie sollen sich ungeteilt Gott und den Menschen widmen. Der Zölibat (vom lateinischen caelebs = unverheiratet) als Ehelosigkeit für Priester wird in mehreren Religionen gefordert. Der deutsche Papst Benedikt XVI. sagte mehrmals, er halte ihn für einen "heiligen" Wert der Kirche, die an dieser Besonderheit des Priesteramtes festhalten müsse. Wer Priester werden will, muss bei der Diakonenweihe, die vor der Weihe zum Priester begangen wird, die Ehelosigkeit geloben. Ausnahmen gibt es, wenn etwa verheiratete evangelische oder anglikanische Geistliche zum katholischen Glauben konvertieren. Sie können dann zu Priestern geweiht werden, ohne ihre Ehe aufgeben zu müssen.

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hessenschau.de: Ist der Zölibat der Hauptgrund für den Priestermangel?

Kremer: Er ist vermutlich der gewichtigste Grund. Die Arbeitsbelastung als Pfarrer ist auch gewaltig. Der Glaube schwindet in der Gesellschaft. Katastrophal sind aber die fortwährenden Skandale. Das ist schade. Dadurch werden die großen Leistungen, die unter dem Dach der Kirche vollbracht werden, in den Schatten gestellt, etwa die Verdienste im karitativen und seelsorglichen Bereich. Die Kirche hat schließlich auch tolle Botschaften: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und du bist von Gott gewollt und geliebt.

hessenschau.de: Hatten Sie in jungen Jahren das Gefühl, ein Leben ohne eine Beziehung zu einer Frau verbringen zu können?

Kremer: Ich hatte als Jugendlicher nie lange Beziehungen zu Mädchen. Ich konnte mit ihnen schon was anfangen, aber es hat nicht gepasst. Daher auch meine Zuversicht, den Zölibat einhalten zu können. Erst später im Priester-Seminar wurde mir klar: Das wird eine Herausforderung.

hessenschau.de: Empfinden Sie Ihre Ausscheiden aus dem Pfarrerdienst als persönliches Scheitern?

Kremer: Als Scheitern habe ich es nicht empfunden, eher als Umkehr und Weiterentwicklung. Ich habe das 20 Jahre lang gern und gut gemacht. Aber jetzt war was anderes dran.

hessenschau.de: Sind Ihnen andere Priester bekannt, die es mit dem Zölibat nicht so genau nehmen?

Kremer: Es gibt inoffizielle Liebschaften. Ich kenne mehrere Fälle. Aber die meisten tun ihren Dienst korrekt. Es sind nicht so viele Fälle, wie manch einer denken mag. Zahlen oder Schätzungen kann ich natürlich nicht nennen.

hessenschau.de: Wäre es für Sie kein Ausweg gewesen, zur evangelischen Kirche zu wechseln? Dort dürfen Pfarrer heiraten.

Kremer: Ein pragmatischer Gedanke. Aber für mich hätte sich das falsch angefühlt. Ich bin von Grund auf katholisch und bin es heute noch. Ich habe ja mit der Kirche auch nicht gebrochen.

hessenschau.de: Sie haben lange geschwiegen, was Ihren Fall anbelangt.

Kremer: Ich wollte keine Welle machen und wollte verhindern, dass etwas hochgekocht wird. Deswegen habe ich jahrelang keine Interviews gegeben. Ich hatte kein Interesse, der Kirche zu schaden. Ich bin immer gut behandelt worden.

hessenschau.de: Aber nun mit Abstand: Was macht die Kirche falsch?

Kremer: Sie beschäftigt sich seit Jahren zu viel mit sich selbst. In der öffentlichen Wirkung ist Kirche weit entfernt von den Bedürfnissen der Menschen. Wie wird Kirche wahrgenommen? Mit Skandalen, Machtmissbrauch, Tradition und Folklore - auch wenn die Kirche das nicht so sehen mag.

Wenn etwa an Fronleichnam eine Prozession durch die Straßen von Fulda zieht, versteht das der Großteil der Bevölkerung nicht mehr. Diese scheinbare Folklore hat für viele Menschen nichts mit ihrem Glauben und ihrem Leben zu tun. Dabei präsentiert Kirche an Fronleichnam den innersten Teil des Glaubens an den menschgewordenen Jesus Christus.

hessenschau.de: Woher rührt die schwindende Bindung vieler Menschen zur Kirche?

Kremer: Es hat viel mit einer Ausdifferenzierung der Gesellschaft zu tun. Die Botschaften der Kirche dringen nicht mehr durch. Sie haben es schwer angesichts der großen Vielfalt zur Freizeitgestaltung und medialen Kanälen. Der Glaube ist nur noch ein Lebensentwurf unter vielen.

Das Gespräch führte Jörn Perske.

Sendung: hr4, 01.07.2022, 15.30 Uhr

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