In Krankenhäusern sind die psychischen Belastungen für das Personal nicht erst seit der Pandemie besonders hoch. Trotzdem gibt es bisher wenige Hilfsangebote für Mitarbeitende. Ein Pilotprojekt am Markus-Krankenhaus in Frankfurt soll das ändern.

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Hilfe für psychisch belastetes Klinikpersonal

Erschöpfter Krankenhausmitarbeiter sitzt in Schutzkleidung auf dem Boden und starrt mit geneigtem Kopf vor sich hin.
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Ein betrunkener Patient, der in der Notaufnahme randaliert. Eine junge krebskranke Schwangere, die stirbt, mit dem Baby im Bauch. Einsame, noch junge Sterbende auf der Covid-Station. Solche Ereignisse gehen selbst für erfahrenes Krankenhauspersonal über die Routine hinaus, wie Claudia Gutmann sagt.

"Das Krankenhaus ist ein Ort, an dem ganz viele existenzielle Dinge passieren", sagt Gutmann. Sie leitet die Psychoonkologie des Agaplesion-Markus-Krankenhauses in Frankfurt und bietet Krebspatientinnen und -patienten psychologische Hilfe an. Inzwischen sieht die Psychologin sich auch als eine Ansprechpartnerin für das Personal im ganzen Krankenhaus, wenn ein besonders belastendes Ereignis stattgefunden hat. Zusammen mit dem Krankenhaus-Ethiker Kurt Schmidt entstand kurz vor der Pandemie die Idee, ein geschultes Team aufzubauen, das nach belastenden Krisensituationen helfen kann.

"Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen", kurz SbE, nennt sich das Konzept, das in anderen Berufsgruppen wie bei der Polizei, der Bundeswehr, der Deutschen Bahn oder Fluggesellschaften schon lange etabliert ist. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt solche Handlungspläne auch für Kliniken und Krankenhäuser. Bisher gibt es in Deutschland nur an sieben Krankenhäusern eigene SbE-Teams. Das Projekt von Gutmann und Schmidt in Frankfurt ist das erste dieser Art in Hessen.

Routine reicht nicht immer aus

Gutmann sagt, oft herrsche gerade im Gesundheitsbereich die Annahme vor: Wenn etwas Schlimmes passiert, gehört das eben dazu, dann muss man da durch. "Die Menschen hier sind dafür ausgebildet und verkraften das auch, wenn jemand stirbt", so die Psychologin.

Claudia Gutmann steht vor dem Klinikum und lächelt in die Kamera.

"Manchmal passieren aber schwere Ereignisse, mit denen auch wir hier im Krankenhaus keine Routineerfahrung haben." Es sei vollkommen normal, dass dann selbst sehr belastbare Menschen an ihre Grenzen stoßen. Doch dem Personal in Gesundheitsberufen falle es häufig besonders schwer, sich das einzugestehen. "Das passt manchmal nicht zum Selbstbild", sagt Gutmann.

Mitarbeiter sollen entlastet werden

Deswegen sei die Idee des SbE-Teams, sehr niedrigschwellig Unterstützung im System anzubieten. "Mit einem ganz klaren Konzept, das entlastet, aber auch nicht zu tief geht", sagt die 52-Jährige. Damit der Zugang zum Team möglichst leicht ist, setzt es sich aus 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedenster Bereiche und Berufsgruppen im Krankenhaus zusammen - zum Beispiel der Intensivstation, der Seelsorge oder der Psychiatrie.

Vier mal zwei Tage Fortbildung beim SbE-Institut schließen sie in der kommenden Woche ab. "Das ist unheimlich effizient, weil diese Menschen schon da sind und nicht von außen herangeholt werden", sagt Gutmann. Wenn es beispielsweise zu einem Übergriff in der Notaufnahme kommt, könne ein Teammitglied aus der Notaufnahme herangezogen werden, das selbst nicht involviert war. Eine psychosoziale Fachkraft aus dem Team moderiert die Nachbesprechung im Team.

Vorbeugen, dass psychische Symptome verschleppt werden

Dann folgt der klare Ablauf: Als erstes berichten alle Beteiligten, was genau passiert ist. Denn oft nehme jeder nur die eigene Perspektive eines Ereignisses wahr, erklärt Gutmann. Deshalb sei zunächst meist gar nicht klar, an welchem Punkt eine Situation eskaliert ist.

Als nächstes werde besprochen, welche psychischen Symptome auftreten können: Schlafprobleme, Angst zur Arbeit zu kommen, wiederkehrende Bilder im Kopf. "Das ist total normal", betont die Psychologin. Zum Schluss gehe es darum, was in der Situation trotz allem gut gelaufen ist und wie sich die Beteiligten regenerieren können.

Das Ganze soll nicht lange dauern und es soll auch keine Psychotherapie ersetzen, macht Gutmann klar. "Im Dienst muss man gut funktionieren, und dafür müssen wir mit diesem Angebot sorgen." Es gehe in dem Moment nicht darum, emotional in die Tiefe zu gehen, sondern vorzubeugen, dass psychische Symptome verschleppt werden. Und das Signal zu senden: "Wenn Symptome anhalten, bitte einfach melden."

Corona: Belastungssituation ohne Ende

"Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen" bezieht sich eigentlich auf Ereignisse, die abgeschlossen sind - mit einem Anfang und einem Ende. Mit der Pandemie bewegen sich alle Beschäftigten im Krankenhaus jedoch seit Monaten in einer Extremsituation - und ein Ende ist nicht in Sicht.

"In dieser Dauerkrise entstehen immer wieder belastende Ereignisse on top", sagt Gutmann. In der Pflege kommt der bundesweite Personalmangel verschärfend hinzu.

Wie immer weiter durchhalten?

Einfach durchhalten und sich von Monat zu Monat, von Welle zu Welle zu retten, gehe oft irgendwie gut - aber nicht immer. "Eigentlich gibt es immer Spielräume und Möglichkeiten der Entlastung", sagt die Psychologin. Aber aktuell seien manche Kolleginnen und Kollegen so sehr am Ende ihrer Kraft, dass sie sich entscheiden würden, aus dem Beruf herauszugehen.

Wenn sich nach der Pandemie der tatsächliche Bedarf an psychosozialer Unterstützung von Krankenhauspersonal zeige, vermutet Claudia Gutmann, dass es über das hinausgehen wird, was SbE leisten kann. Laut einer Online-Befragung der Universität Bonn litten mehr als 17 Prozent des medizinischen Personals schon in der ersten Pandemie-Welle unter psychosozialen Problemen. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) warnt vor langfristigen psychischen Belastungsfolgen.

Fokus selten auf Personal

Dennoch sind spezielle Konzepte zur psychosozialen Unterstützung des Personals noch rar. Zwar gibt es in den meisten Einrichtungen Krankenhausseelsorge oder psychiatrische Fachabteilungen, die im Notfall auch für das Personal ansprechbar sind. In erster Linie liege der Fokus aber auf den Patientinnen und Patienten, auch am Markus-Krankenhaus.

Dennoch ist Claudia Gutmann zuversichtlich - berufsbedingt müsse sie das sein. "Der Blick ist durch die Pandemie stärker darauf gerichtet, was es heißt, im medizinischen System zu arbeiten." Mittlerweile gebe es mehr Verständnis für die Belastungen von Pflegekräften. Dennoch seien Krankenhäuser "schwerfällige Tanker", wo Veränderungen Zeit brauchten.

"Ohne die Pandemie hätte auch die Umsetzung unseres Projektes vielleicht länger gedauert", sagt sie. Nun stehe die Krankenhausleitung hinter den Angeboten. Gutmann hofft, dass andere Häuser nachziehen und es flächendeckende psychosoziale Angebote für Krankenhauspersonal gibt. "Meine Vision ist, dass ich das noch in meiner Arbeitszeit erlebe."

Weitere Informationen

Notfall-Hotline

Der gemeinnützige Verein zur psychosozialen Unterstützung im Gesundheitswesen, PSU Akut, bietet deutschlandweit über die PSU Helpline unter 0800 0 911 912 eine anonyme und kostenfreie Telefonberatung für besondere Stress- und Belastungssituationen.

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