Eine Frau geht mit ihrem Jungen an der Hand über den Bahnsteig, an dem ein Zug steht (von hinten fotografiert). Davor geht ein Mann einer Hilfsorganisation und trägt eine große Tasche.

Bislang sind erst wenige Geflüchtete aus der Ukraine in Hessen angekommen, doch für die kommenden Tage und Wochen werden noch zahlreiche Menschen erwartet. Die Hilfsbereitschaft ist groß, aber es gibt noch offene Fragen.

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Hilfe für Flüchtlinge aus Ukraine

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In drei Kleinbussen sind am Dienstagmorgen 21 Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine in Marburg angekommen. "Sie sind völlig überwältigt", sagt Michaela Kalabis, die den privaten Hilfstransport mitorganisiert hat. "Sie haben Geschichten im Gepäck, die niemand hören möchte. Es ist unfassbar."

Vorerst bleiben die Ukrainerinnen und Ukrainer in einer Gaststätte in Lahntal (Marburg-Biedenkopf), die den Geflüchteten für die kommenden Tage Hotelzimmer und Versorgung zur Verfügung stellt. "Jetzt sollen sie dort erstmal zur Ruhe kommen und ein, zwei Tage durchschnaufen", sagt Kalabis.

Erste Geflüchtete auch in Gießen und Frankfurt

Auch an anderen Orten in Hessen sind seit Beginn der Woche die ersten Geflüchteten aus der Ukraine eingetroffen: In der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Gießen seien am Montagabend bereits 16 Personen angekommen, wie ein Sprecher des Regierungspräsidiums mitteilte.

Am Dienstagnachmittag erreichten rund 15 Geflüchtete aus der Ukraine den Frankfurter Hauptbahnhof, mit einem Zug am Abend weitere. Für Donnerstag wird die Rückkehr eines Hilfstransports mit 45 Geflüchteten in Darmstadt erwartet. Dazu kommen Menschen, die Angehörige in Hessen haben und bei diesen privat untergebracht werden.

"Hohe Aufnahmebereitschaft" bei Städten und Kreisen

Dennoch sind das nur sehr wenige der insgesamt über 520.000 Menschen, die nach Angaben des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, am Montagabend seit dem Einmarsch Russlands bereits aus ihrem Land geflohen sind.

Das Land Hessen erwartet in den kommenden Tagen und Wochen "deutlich ansteigende Einreisezahlen", wie das Innenministerium am Montag mitteilte. Die Landkreise und Städte hätten bereits eine "hohe Aufnahmebereitschaft" signalisiert. Außerdem habe die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes ein Konzept, um flexibel auf den Anstieg zu reagieren.

Nach Angaben des zuständigen Regierungspräsidiums Gießen gibt es aktuell 5.330 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen, davon seien 3.898 belegt. Zusätzlich sollen ehemalige Kasernengebäude in Friedberg, Fuldatal und Darmstadt "in wenigen Tagen fertiggestellt und dann sukzessive belegbar sein", so das Regierungspräsidium.

Über 100.000 freie Schlafplätze in ganz Deutschland

Zusätzlich melden sich Privatpersonen in ganz Hessen, um Wohnraum für Geflüchtete anzubieten - teilweise nehmen die Städte und Kreise die Angebote mittlerweile zentralisiert entgegen.

Auch über die Seite Elinor wurden mittlerweile schon über 100.000 Betten deutschlandweit angemeldet. Die Idee stammt von Start-Up Gründer Lukas Kunert aus Gersfeld (Rhön). "Mit so einer Resonanz haben wir wirklich nicht gerechnet", sagt Kunert.

Zusammen mit seiner Frau, die aus Russland stammt und die er in der Ukraine kennen gelernt hat, habe Kunert sich angesichts der Nachrichten aus dem Kriegsgebiet gefragt: "Was können wir tun in dieser machtlosen Situation?" Nun arbeite seine achtköpfige Firma mit größeren Partnern zusammen, um das große Aufkommen an Anfragen zu bewerkstelligen.

Lukas Kunert

Noch keine klaren Regelungen

In Marburg arbeitet auch Michaela Kalabis im Hintergrund weiter an Absprachen mit vielen Menschen, die Wohnungen für die Geflüchteten zur Verfügung stellen möchten. "Die ganze letzte Woche bin ich eigentlich nur noch am telefonieren", sagt sie. Denn es gebe noch viele bürokratische Hürden, keine klaren Regelungen und offene Fragen.

Darauf weist auch Elke Voitl hin. Die Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt nimmt am Dienstagnachmittag Geflüchtete am Frankfurter Hauptbahnhof in Empfang. "Für uns ist das ein Anliegen, die Menschen so schnell wie möglich in Leistungen zu bekommen", sagt sie.

Für Frankfurt habe man "eine kreative Lösung" entwickelt, um alle Menschen direkt zu versorgen. "Wir werden sogenannte Krankenscheine ausfüllen, sodass sie erstmal krankenversichert sind", erklärt Voitl. Aus Stiftungsmitteln werde man außerdem Taschengeld auszahlen, bis alle Fragen zum Status der ankommenden Geflüchteten geklärt seien.

Weitere Informationen

Informationen von Bund und Land für Betroffene

Vom Krieg betroffene Menschen in Hessen können sich auf der Seite des hessischen Innenministeriums informieren. Mitarbeiter des Landes stehen bei weiteren Fragen außerdem unter ukraine@hmdis.hessen.de und der Hotline 0800-1103333 zur Verfügung.
Auf der Seite des Bundesinnenministeriums gibt es außerdem Antworten auf häufige Fragen zur Einreise aus der Ukraine.

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Asyl, visumsfreie Einreise oder gesonderte EU-Richtlinie?

Viele dieser offenen Fragen erreichen momentan auch Timmo Scherenberg vom hessischen Flüchtlingshilfswerk. Dabei geht es zum Beispiel um das Aufenthaltsrecht. Die Europäische Union hatte sich am Sonntag dafür ausgesprochen, die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie zu aktivieren, durch die Kriegsflüchtlingen ein vorübergehender Schutz ohne langwieriges Asylverfahren ermöglicht werden soll.

"Die Richtlinie gibt es zwar schon seit 2001, aber sie wurde noch nicht aktiviert", erklärt Scherenberg. Daher wüssten auch die Behörden noch nicht, wie das Verfahren ablaufen werde. Der hessische Flüchtlingsrat empfiehlt Geflüchteten aus der Ukraine, vorerst kein Asyl in Deutschland zu beantragen und die Umsetzung der Richtlinie abzuwarten.

Außerdem sei für die Klärung des Aufenthaltsrechts noch keine Eile geboten, da ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger über die visumsfreie Einreise bis zu 90 Tage in Deutschland bleiben können. Wie das hessische Innenministerium mitteilte, können Ukrainerinnen und Ukrainer, die schon in Hessen sind, bei den zuständigen Ausländerbehörden "möglichst unbürokratische Verlängerungen ihrer Titel" erhalten.

"Sehr große Hilfsbereitschaft"

"Für Menschen, die bei Angehörigen untergekommen sind, ist das also völlig stressfrei", sagt Scherenberg. Etwas problematischer sei die Lage für Geflüchtete, die Wohnungen und Versorgung brauchen - denn bei der visumsfreien Einreise gibt es anders als bei Asylsuchenden keine staatliche Unterstützung.

Scherenberg spricht von einer "sehr großen Hilfsbereitschaft", vergleichbar mit 2015, als die Zahl der Asylsuchenden in Europa stark anstieg. Er sei zuversichtlich, dass die Menschen für die erste Zeit trotz noch unklarer Regelungen versorgt werden können.

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