"Wie eine Art Meditation" Aktmodell Stefan macht sich nackt für die Kunst

Stundenlang nackt vor Wildfremden stehen, um sich malen zu lassen. Das ist der Job von Stefan im Aktzeichenkurs der Freien Kunstakademie Frankfurt. Warum macht er das? Geld ist jedenfalls nicht der Grund....
Audio
Nackt für die Kunst

Es herrscht konzentrierte Stille, zu hören sind nur das leise Atmen durch Masken und das Geräusch von Stiften, die über das Papier flitzen. Die Teilnehmenden des Aktzeichenkurses der Freien Kunstakademie Frankfurt sitzen in einem weiten Kreis verteilt. In ihrer Mitte, auf einem kleinen Podest, steht Aktmodell Stefan - komplett nackt. Er hat einen Arm in die Hüfte gestemmt, mit dem anderen stützt er sich auf einer Stuhllehne ab.
So verharrt er, bis Kursleiter Gero Stoll sagt: "Die Zeit ist um. Dann machen wir nochmal einen Wechsel". Stefan bewegt sich wieder, überlegt sich eine neue Haltung. Die Teilnehmenden blättern um und beginnen erneut, Stefan auf dem Papier festzuhalten. Mal in zwei, mal in fünf, mal in zehn Minuten.
Nackt sein als Meditation
Aber wie ist es, nackt vor einer Gruppe fremder Menschen zu stehen - über Stunden hinweg? "Man braucht eine gute Einstellung zum eigenen Körper, ohne geht es nicht", erzählt Stefan. Er ist schon seit 30 Jahren Modell und sagt, er ziehe aus der Arbeit eine innere Ruhe. Manche Posen über Minuten zu halten sei zwar anstrengend, aber neben dieser körperlichen Anstrengung biete das Modell stehen ihm geistige Einkehr. Es sei wie eine Art Meditation.

Im "echten Leben" ist der 50-Jährige Ingenieur. In der Freien Kunstakademie Frankfurt sei er dagegen so etwas wie ein Schauspieler: "Optisch bin ich zwar nackt, aber letztendlich bin ich hier auf einer Bühne, trage ein Kostüm und spiele eine Rolle. In diesem Fall ist das ein Adamskostüm." Im Aktzeichenkursen gehe es um Anatomie, jeder Strich sei eine Beobachtung und eine Übung. Viele Auszubildende im künstlerischen Bereich seien auf Modelle wie ihn in ihrer Ausbildung angewiesen. Wegen dieser Atmosphäre sei das Nacktsein nichts komisches oder sexuelles, im Gegenteil.
Den menschlichen Körper verstehen lernen
Studentin Christin nimmt zum ersten Mal an einem Aktzeichenkurs teil. Anfangs sei es für sie eine Überwindung gewesen, einen nackten Menschen zu zeichnen. Aber die Atmosphäre im Raum sei so wertschätzend, dass sie schnell ihre Hemmungen verloren hätte. Kunstgeschichtlich gehöre das Aktzeichnen schon immer dazu. Da sie selbst Kunst im Nebenfach studiert, zeichnet die 24-Jährige nun jede Woche hier ein anderes Modell. Herausfordernd ist das Aktzeichnen für sie aber noch aus einem anderen Grund: "Ich weiß oft nicht, wo ich anfangen soll: Die Form zu erfassen und die Anatomie zu verstehen".

Damit ist Christin nicht allein. "Beim Aktzeichnen ist das Schwierigste eine Person in ihren Proportionen richtig dazustellen", erzählt Teilnehmer Martin. Man sehe direkt, wenn etwas an der gezeichneten Person "nicht stimmt". Seit er vor vier Jahren mit dem Zeichnen angefangen hat, habe sich das verbessert, erzählt der 65-Jährige. Und nicht nur die Ergebnisse auf dem Papier verändern sich über die Zeit. Auch auf die Warnehmung außerhalb des Kurses hätte das Aktzeichnen einen Effekt, erzählt eine weitere Teilnehmerin, Ulrike. "Der Blick auf den Menschen hat sich verändert." Wenn sie etwa einen Jogger durch den Park laufen sehe, würde sie überlegen, wie sie diese Person zeichnen könnte.
Hilfe beim Zeichnen gibt Gero Stoll an diesem Abend. Während die Teilnehmenden arbeiten geht er herum und gibt Anleitung, wenn sie gebraucht wird. "Der Körper hat Schwerpunkte, je nach Pose. Ich sage etwas, wenn mir auffällt, dass man die Formen hätte anders setzen können, aber möchte den Teilnehmenden gleichzeitig ihre kreative Freiheit lassen", sagt der 23-Jährige Kunststudent der Hochschule für Gestaltung.
Wie wird man Aktmodell?
Aktmodell kann grundsätzlich jede und jeder werden. Bei der Freien Kunstakademie Frankfurt kann man sich zum Beispiel melden und es ausprobieren. Dozenten geben in den Kursen Hilfestellung, welche Posen fürs Zeichnen geeignet sind. Aktmodelle verdienen unterschiedlich viel, je nachdem wo sie Modell stehen. Ungefähr bekommen Aktmodelle 45 Euro für drei Stunden, Portraitmodelle bekommen für dieselbe Zeit etwa 40 Euro.
Ende der weiteren InformationenKreative Freiheit haben die Teilnehmenden. Manche zeichnen mit Kohle, andere mit Aquarell oder sogar auf dem Tablet. Am Ende der drei Stunden sind viele verschiedene Versionen der Posen von Stefan entstanden. Die Teilnehmenden nehmen neue Eindrücke mit nach Hause und Stefan nimmt, neben der Aufwandsentschädigung für seine Zeit, neue Ruhe für seine restliche Woche mit.