Ein Mitarbeiter steht ganu oben auf einem Gerüst und rollt schwarzen Stoff über eine großformtatiges, sehr kleinteiliges farbiges Bild.

Die documenta hat einen handfesten Antisemitismus-Skandal. Nach Monaten der Debatten-Abwehr und Beteuerungen, dass es nirgends Antisemitismus gebe, stehen Ruangrupa und die documenta vor einem Scherbenhaufen. Das hätte vermieden werden können.

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Umstrittenes documenta-Banner: Wer trägt die Verantwortung?

hessenschau vom 22.06.2022
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Diese documenta wird als Antisemitismus-documenta oder - wie es die Bild-Zeitung schreibt - "Kunst-Ausstellung der Schande" in Erinnerung bleiben, dabei hat sie gerade erst begonnen. Monatelang hatten die documenta-Leitung und das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa Antisemitismus-Vorwürfe als haltlos hingestellt - nur um gleich nach dem Eröffnungswochenende einen handfesten Skandal an der Backe zu haben. Wie konnte das passieren?

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 Portrait von Sonja Süß. Daneben steht das Wort "Meinung".

Sonja Süß
Redaktion hessenschau.de

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Alle Rhetorik der vergangenen Monate, um die Debatte um Antisemitismus-Vorwürfe in den Griff zu bekommen, war umsonst: Auf einem Bild des indonesischen Kollektivs Taring Padi ist ein Mann mit krummer Nase zu sehen, der einen Hut mit SS-Runen trägt; dazu Soldaten mit Schweinsgesicht, die ein Halstuch mit einem Davidstern tragen. Das Bild mitten auf dem zentralen Friedrichsplatz wurde nach lautstarkem Protest am Montagabend kurzerhand komplett mit schwarzen Stoffbahnen verdeckt. Nun soll es komplett entfernt werden.

Beleg für alle Kritiker

Ein Beleg für alle, die vorher Befürchtungen hatten - wie etwa der Zentralrat der Juden: Sie wurden leider bestätigt. Man hätte den mehr als 1.500 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern dieser documenta gewünscht, dass die Antisemitismus-Vorwürfe sich nicht bewahrheiten und die Welt auf die Kunst und Themen des globalen Südens schaut. Das wäre die Verantwortung der documenta-Leitung gewesen. Stattdessen ist jetzt fraglich, ob die documenta sich vom Antisemitismus-Vorwurf in der öffentlichen Wahrnehmung noch erholen kann.

Taring Padi verteidigte sich am Montag in einer Pressemitteilung, das Bild sei in keiner Weise antisemitisch, sondern "kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen". Indonesien ist ein mehrheitlich muslimisches Land und traditionell pro-palästinensisch. Aber: Gerade weil antisemitische Stereotype und Bilder weltweit in "kulturspezifischen Erfahrungen" zu finden sind, müssen sie hinterfragt werden. Auch die Deutschen haben in Sachen Antisemitismus noch viel zu tun.

Das zunächst abgedeckte Bild sei nun ein "Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs", schrieben Taring Padi am Montag. Genau das ist es aber nicht, sondern das Ende von Warnungen und Diskussionen, die nicht fruchteten: Die Behauptung einer Unmöglichkeit des Dialogs bei den Antisemitismus-Vorwürfen schiebt die Schuld nur weiter auf die vermeintlich unversöhnlichen Anderen.

Anzeige wegen Volksverhetzung

Das Problem bei Taring Padi ist, dass die gezeigten Darstellungen von Juden eben keine Aufforderung zur Diskussion sind, sondern in Deutschland womöglich sogar strafrechtlich relevant - auch wenn das Bild schon vor 20 Jahren für eine Protestaktion in Indonesien entstanden ist. Der Grünen-Politiker Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), hat Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet. Und da Bilder nicht bestraft werden können, sondern nur Personen, hätte die documenta wenigstens ihre Künstler vorab schützen können, damit diese nicht in juristische Schwierigkeiten geraten.

Stattdessen zieht sich die documenta aus der Verantwortung: Man prüfe keine Kunst vorab, hieß es am Montag. Dafür könnte jetzt ein Gericht die Aufgabe übernehmen und die Grenzen der Kunstfreiheit verhandeln.

Kein Befindlichkeitsproblem

Antisemitismus ist keine unbequeme Meinung oder künstlerische Freiheit, sondern ein Problem und im Zweifel ein Verbrechen. Es geht nicht um Zensur von Kunst, sondern darum, niemanden öffentlich zu diffamieren und herabzuwürdigen.

Deswegen ist es auch mehr als ungeschickt, dass die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, nach der Verhüllung des Aufreger-Bildes bedauerte, dass "Gefühle verletzt wurden". Als sei Antisemitismus ein Befindlichkeitsproblem von ein paar Juden in Deutschland. Ähnlich ohnmächtig heißt es nun, man werde jetzt "Expertise" einholen - warum erst jetzt und zu was eigentlich?

Statt monatelang eine Art Abwehrkampf gegen Antisemitismus-Vorwürfe zu führen, hätte die documenta gut daran getan, sich eine Strategie zu überlegen: Sich ganz im Sinne des "Lumbung" - Austauschen und Teilen - auch mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Und Ruangrupa hätte entscheiden können, solche Darstellungen von Juden nicht zu dulden - genauso wenig, wie sie es mit rassistischer Kunst getan hätten.

Steinmeiers Rüge wird zur Prophezeiung

Als Bundespräsident Steinmeier am Samstag die documenta mit dem Satz eröffnete, dass er wochenlang nicht sicher war, ob er überhaupt kommt, machte er die Eiseskälte klar, mit der die Politik auf das Gebaren der documenta schaut. Zu sehen war ein Bundespräsident, der deutlich angefressen war und sich nicht zurückhielt, Ruangrupa und die documenta-Leitung vor versammelter Presse die Leviten zu lesen. Er erklärte sinngemäß, dass der deutsche Staat auch Israelkritik in Form von Boykott-Aufrufen als Judenfeindlichkeit sieht.

Überhaupt machte Steinmeiers Rede den Eindruck, als sei die documenta zersetzt mit Antisemitismus. Das inspirierte die Bild-Zeitung zur Twitter-Schlagzeile "Kunstmesse der Schande" und ließ Ruangrupa und die documenta-Leitung zerknirscht zurück.

Zu diesem Zeitpunkt waren der Vorwurf von Steinmeier allerdings noch eine streitbare These und der Ruf der documenta noch nicht ruiniert: Bekannt waren die israelkritischen Bilder eines Künstlers aus dem Gaza-Streifen, die Serie "Guernica Gaza" und dass verschiedene Künstler und Kuratoren Aufrufe zum Boykott Israels unterschrieben hatten. Viele sahen darin erst mal keinen Antisemitismus.

Das Bild mitten auf dem Friedrichsplatz erfuhr erst einen Tag später Aufmerksamkeit. Für die documenta war es da längst zu spät, den Skandal noch aufzuhalten. Die Rüge von Steinmeier war zu einer Prophezeiung geworden. Das hätte nicht passieren dürfen.

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