Antisemitismusvorwürfe gegen documenta-Teilnehmer Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt?

Fünf Monate vor dem Start der Kunstausstellung documenta15 in Kassel sorgen Antisemitismus-Vorwürfe gegen eine palästinensische Künstlergruppe für Diskussionen. Bundes- und Landesregierung sorgen sich, die Stadt Kassel erinnert an die Kunstfreiheit - und die jüdische Gemeinde fordert eine Entscheidung.
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Antisemitismus-Vorwürfe rund um documenta

Die jüdische Gemeinde Kassel erwartet von den Organisatoren der documenta15 eine Entscheidung: Laden sie nach Antisemitismus-Vorwürfen die Künstler einer palästinensischen Gruppe aus oder nicht?
Die Vorsitzende Ilona Katz sagte, sie sehe womöglich eine "gefährliche Tendenz" bei der Gruppe. Sie selbst wolle das aber nicht "mit irgendwelchen Schildern 'Antisemitismus' beschmücken".
Sie hoffe, dass weiterhin ein Dialog zum Thema stattfindet und sei im Gespräch mit der Stadt.
Kasseler Bündnis veröffentlichte Vorwürfe
Die internationale Ausstellung für zeitgenössische Kunst, "documenta fifteen", findet vom 18. Juni bis zum 25. September in Kassel statt. Im Oktober war die Liste der documenta-Künstler veröffentlicht worden. Mitglieder vom "Bündnis gegen Antisemitismus" aus Kassel entdeckten darin eine Gruppe aus Palästina, deren politische Ausrichtung anti-israelisch sein soll.
Demnach soll sich die Gruppe "The Question of Funding" in der Vergangenheit für den Boykott Israels im kulturellen Leben ausgesprochen haben. Sie soll dem Bündnis zufolge eine Kampagne unterstützen, die zu wirtschaftlichem Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel aufruft.
Der Bundestag hatte 2020 beschlossen, dass Organisationen, die die Kampagne "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS) unterstützen, keine finanzielle Förderung vom Staat bekommen sollen. Vor einer Woche machte das Kasseler Bündnis die Antisemitismus-Vorwürfe öffentlich.
Bündnis: Kein Zugang zu öffentlichen Räumen
Bündnis-Mitglied Jonas Dörge fordert, dass die Beteiligten sich mit dem Thema auseinandersetzen und dass öffentliche Räume, die mit Fördergeldern finanziert werden, nicht "BDS-Sympatisanten" zur Verfügung gestellt werden, was inzwischen auch passiert. Man habe nicht damit gerechnet, dass das so ein Echo hervorrufen würde, sagte Dörge dem hr.
Bundes- und Landesregierung hatten sich schnell eingeschaltet: Die Kulturstaatsministerin der Bundesregierung, Claudia Roth (Grüne), forderte eine Untersuchung der Vorwürfe. Es gab Gespräche zwischen der documenta, dem Land Hessen und der Stadt Kassel.
Oberbürgermeister sieht keinen antisemitischen Bezug
Hat die documenta nun ein Antisemitismus-Problem? Christian Geselle (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Kassel und documenta-Aufsichtsratsvorsitzender, widerspricht: "Bislang hat die documenta kein Antisemitismus-Problem."
Es gehe um einen künstlerischen Beitrag aus Palästina, der sich vorwiegend mit politischen und ökonomischen Fragen in Palästinensergebieten beschäftigt", sagte Geselle dem hr. Es liege nahe, dass bei einer internationalen Kunstschau manche möglicherweise auch eine andere Sicht auf Israel mitbrächten.
Die Stadt Kassel positioniere sich klar gegen Antisemitismus: "Für uns ist das eine Staatsräson, eine besondere herausragende Verantwortung für Menschen jüdischen Glaubens und den Staat Israel."
Auch nach vielen Beratungen sehe er im Fall der documenta aktuell keine "rote Linie" bei strafrechtlichen Fragen überschritten. Deswegen gebe es keinen Grund, in die Freiheit der Kunst einzugreifen, es sei "bisher überhaupt nichts passiert". Er könne "keinen antisemitischen Bezug" in der Arbeit der Gruppe erkennen.
Kasseler Bündnis wird "primitive Polemik" vorgeworfen
"Primitive Polemik" sehen Kritiker und Kritikerinnen in der Auslegung des "Bündnis gegen Antisemitismus", die den Ansatz des indonesischen Kuratorenkollektivs "ruangrupa" und auch die palästinensische Gruppe verteidigten.
Die documenta äußerte sich mit einem kurzen Statement zu den Vorwürfen. Man wolle "Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus sowie jeder Art von Diskriminierung" entschieden entgegentreten.
Jüdische Gemeinde: Entscheidung des Bundestags sehr deutlich
Vor einer möglichen Entscheidung über die Teilnahme der kritisierten Gruppierung fasste die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Kassel, Ilona Katz, den Erkenntnisstand zusammen:
Es gebe bei der Gruppe offenbar eine Nähe zum BDS, der Ausgrenzung von israelischer Kunst und israelischen Produkten - und da habe der Bundestag bereits sehr deutlich entschieden.
documenta fifteen
Die Kunstschau findet vom 18. Juni bis 15. September 2022 an verschiedenen Orten Kassel statt. Der Kartenvorverkauf hat bereits begonnen.
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