Hand mit einem Smartphone auf dessen Screen ein Video zu sehen ist (scharf im Vordergrund). Im Hintergrund (unscharf) ein junges Mädchen, welches das Smartphone hochhält.

Die Arolsen Archives wollen bei TikTok junge Menschen für Antisemitismus und Rassismus sensibilisieren. Es ist ein schmaler Grat zwischen True-Crime-Unterhaltung und Wissenschaft.

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Arolsen Archives jetzt auf TikTok

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Karl Bruchmann ist ein Meisterausbrecher. Vier Mal schafft er es, sich aus einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten zu befreien. Beim vierten Mal sogar mit Erfolg. Doch was er dabei nicht mitnehmen kann, ist sein Ehering, den er bei seiner Verhaftung abgeben musste.

Der Ring ist heute Teil der Arolsen Archives, die unter anderem das Schicksal von Verfolgten des NS-Regimes aufklären wollen. Dazu beschreiten die Archives neue Wege in den sozialen Medien. Im Fall von Karl Bruchmann rufen sie in einem TikTok-Video Nutzer dazu auf, Hinweise zu seinen Nachkommen zu geben. Das Ziel: Die Familie soll den Ring zurückbekommen.

Eine der Verantwortlichen ist Julia Reger. Sie arbeitet in der Pressestelle der Arolsen Archives und betreut gemeinsam mit ihrer Kollegin Gina Wiedemann deren Auftritte auf Instagram, Youtube und jetzt auch TikTok.

Als "Berufsverbrecher" deportiert

Die Ideen für ihre Beiträge holen sich die beiden jungen Frauen in den Archiven in Bad Arolsen. Hier lagern mehr als 30 Millionen Original-Akten aus der NS-Zeit. Die Schicksale von rund 18 Millionen Menschen sind hier dokumentiert - auch das von Karl Bruchmann.

Der schlägt sich in der NS-Zeit als Kleinkrimineller durch, wird gefasst und zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Entlassen wird er aber nie. Die Nazis deportieren ihn als so genannten "Berufsverbrecher" ins KZ Sachsenhausen und weiter ins KZ Dachau. Zwei Mal versucht er zu fliehen, scheitert aber. Am Ende wird er ins KZ Buchenwald gebracht. Von hier kann er nach dem zweiten Versuch fliehen.

Oft junge Protagonisten

Bei der Auswahl der Geschichten für TikTok achten Renger und Wiedemann darauf, dass sie Gegenstände und Dokumente ihrer Protagonisten in ihrem Archiv haben.

Oft suchen sie diese auch nach ihrem jungen Alter aus: Gerade arbeiten sie an einem Video zu dem ukrainischen Zwangsarbeiter Wladimir Saplatynskyi, geboren 1921, der in jungen Jahren im KZ Neuengamme bei Hamburg eingesperrt wird. Von ihm haben sie unter anderem eine alte Taschenuhr.

 Gina Wiedemann und Julia Reger

Arolsen Archives auf TikTok: ein schmaler Grat

Was hat die Nazi-Zeit mit uns zu tun? Diese Frage stellen die Arolsen Archives anhand solcher Protagonisten auf ihrem Kanal. Dort gibt es nicht nur Antworten auf diese Frage, sondern auch Ideen, was jeder Einzelne gegen Ausgrenzung tun kann. Die Archives wollen ein Gesellschaftsbild vermitteln, das für Respekt, Vielfalt und Demokratie steht.

Es ist ein schmaler Grat zwischen jung und cool und wissenschaftlich korrekt, den die Arolsen Archives auf TikTok gehen müssen. Passt eine Plattform, die immer wieder wegen Mängeln beim Jugend- und Datenschutz in der Kritik steht, zu einem internationalen Zentrum, das sich mit der Verfolgung von Menschen in der Nazizeit beschäftigt?

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Die Arolsen Archives

Die Arolsen Archives sind ein internationales Zentrum, das sich mit der Verfolgung von Menschen in der NS-Zeit beschäftigt. Sie sind nach eigenen Angaben das weltweit umfassendste Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe und umfasst Hinweise zu rund 17,5 Millionen Menschen.

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Da sein, wo junge Leute sind

"Wir haben ein bisschen gezögert und das beobachtet", erinnert sich Anke Brückner, Leiterin der Pressestelle. Es habe sich aber klar abgezeichnet, dass die jungen Menschen vor allem bei TikTok sind. Den Schritt hin zum eigenen Kanal hat man sich nicht leicht gemacht, schließlich ist die Social-Media-Plattform oft alles andere als sozial.

Gina Wiedemann und Julia Reger

Doch die Macherinnen von Arolsen Archives wollen bewusst dort guten Content verbreiten, wo auch viel rechte Hetze und Propaganda geteilt wird. Sie erhoffen sich davon, dass junge Leute so sehen, dass es wichtig ist, sich für Respekt und Demokratie einzusetzen, erklärt Brückner.

Großes Interesse an Themen aus der NS-Zeit

Bei der sogenannten Generation Z, also jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind, rennen sie damit offene Türen ein. Denn diese Generation interessiert sich besonders stark für die NS-Zeit, wie eine Studie der Arolsen Archives ergab.

Das zeigt sich auch im "Come In", dem Jugendzentrum in Bad Arolsen. Dort schauen sich Fabienne Piskorski und Dominic Krukowski ein paar Clips an. "Das ist irgendwie spannend", beschreibt Fabienne ihren ersten Eindruck. "Ich würde es auch in der Freizeit einfach so gucken", sagt Dominic, man bekomme einen Eindruck, wie Deutschland früher war.

Das Video zu Karl Bruchmanns Ehering ist mit fast 10.000 Aufrufen bislang das erfolgreichste des Kanals. Dafür, dass es ihn erst seit einem Monat gibt, sind die Macherinnen damit schon ziemlich zufrieden. Sie erhoffen sich Erkenntnisse über Bruchmanns Angehörige, denn seine Spur hat sich nach dem letzten Ausbruch verloren.

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