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"The tide is high" zeigt die Ergebnisse von Reisestipendien

Dunkelhaarige Frau steht vor einem gewebten Wandteppich.

Seit 30 Jahren vergibt die Hessische Kulturstiftung Reisestipendien an Künstlerinnen und Künstler, damit sie die Welt kennen lernen. Eine Ausstellung im Kunsthaus Wiesbaden zeigt, wie die Stipendiaten ihre Eindrücke umsetzen.

Max Brück hat sein Atelier in Gießen für zwölf Monate als Stipendiat der Hessischen Kulturstiftung verlassen, um nach Polen zu reisen. Er war im Winter in Kattowitz, im polnischen Kohlerevier, das gerade einen Strukturwandel durchlebt. Er wollte die rauchenden Schornsteine sehen, hat statt alter Kraftwerke aber oft nur noch Schuttberge und Brachen angetroffen.

Gerade das hat ihn gereizt: "Es sind eigentlich die verschwindenden Orte, die es bald nicht mehr geben wird. Diese Nicht-Orte können mit eigenen Ideen beschrieben werden, und das reizt mich auch in meiner Praxis."

Der 31-Jährige hat in Kattowitz eine brachiale Maschine gebaut, die Brocken zertrümmert und durch Siebe schüttelt, bis sie als feiner Staub in Schraubgläser rieseln. In seinem Werk stellt er einen ironischen Bezug her zu Sandsouvenirs aus Mallorca. "0-5 mm" heißt es, wie die Körnung von Sand.

Muße, um in einen Ort einzutauchen

Das Reisen von Künstlern wie Max Brück zu fördern, ist auch heute noch wichtig, sagt Sylvia Metz, die für das Stipendienprogramm verantwortlich ist: "Weil man einfach ganz anders von einer Reise wieder zurückkommt, als man aufgebrochen ist."

Ein Mann mit Schiebermütze greift nach einigen Steinchen vor ihm

Seit dem 18. Jahrhundert gehört Reisen zu jeder ordentlichen Künstlerbiographie. Man schulte Hand und Auge an den alten Meistern und den Werken der Antike. Im 19. Jahrhundert waren es exotische Ziele wie die Südsee, im 20. Jahrhundert traf sich die Avantgarde der Kunst in New York.

Im Laufe von 30 Jahren hat die Hessische Kulturstiftung über 200 Künstlerinnen und Künstler auf Reisen geschickt und dafür 4,5 Millionen Euro aufgewendet. Die Stiftung unterhält Ateliers in Paris, London, Istanbul und New York, denn für die Arbeit brauche man Muße, betont Geschäftsführerin Eva-Claudia Scholtz: "Wenn Sie wirklich in einen Ort eintauchen wollen, sich mit all seinen Möglichkeiten, seinem Fundus an Wissen, Kunstsammlungen und Archiven vertraut machen wollen, brauchen Sie einen längeren Zeitraum."

Parallelen erkennen

Bewerben kann man sich für die Stipendien ohne Altersbegrenzung und sogar mit Familie. Die Frankfurter Künstlerin Haleh Redjaian hat ihren Sohn mit in den Senegal genommen, wo sie sich mit der traditionellen Weberei beschäftigte. Bei der monotonen Arbeit beginnen die Menschen dort im Rhythmus des klappernden Webstuhls zu summen und zu singen. Eine spannende Parallele zum Iran, wo man sich beim Teppichknüpfen die Muster zusingt. Haleh Redjaian hat das bei einer Recherchereise 2020 künstlerisch verarbeitet.

Reisen und Begegnungen seien wichtige Einflüsse für ihre Arbeit, sagt die 52-Jährige. "Die Reisen müssen gar nicht so exotisch sein. Es kann auch von Berlin nach Frankfurt gehen. Aber dieses Sich-weiter-Bewegen, aus seiner Bubble rauszukommen und Begegnungen mit Menschen zu haben, das ist schon sehr wichtig für meine Arbeit."

Weiterentwicklen statt zu kopieren

"The Tide is high - Reisen als Herausforderung" - mit diesem Titel nimmt die Ausstellung im Kunsthaus Wiesbaden Bezug darauf, dass politische Unruhen, der Krieg in der Ukraine oder die Pandemie manche Projekte des aktuellen Jahrgangs erschwert haben.

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Blick über den hessischen Tellerrand

Kunsthaus Wiesbaden: The tide is high
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Der Titel spielt aber noch auf etwas anderes an, die Frage nämlich, wie man Reisen und Eindrücke aufnehmen kann, ohne zu klauen oder zu kopieren. Denn der Song "The Tide is high" ist inzwischen so oft erfolgreich gecovert worden, dass sich kaum noch jemand daran erinnert, dass er ursprünglich von der jamaikanischen Reggaeband The Paragons stammt.

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