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Lena Elfrath über die wahre Geschichte hinter "Leicht wie Blei"

Bildkombination: links Portrait Lena Elrath wie sie in einem Personenaufzug posiert. Rechts das Cover des Buches, welches viele schwarze, vertikale, nebeneinander aufgereihte Linein und dazu zwei schwarze Federn zeigt.

Nicht jeder hat eine Mörderin im Bekanntenkreis - die Frankfurter Autorin Lena Elfrath schon. Nach vielen Gesprächen war klar: Die Geschichte der Frau, die von ihrem eigenen Vater jahrelang missbraucht worden war, musste erzählt werden. 

Lena Elfraths zweiter Roman "Leicht wie Blei" erzählt die Geschichte der 18-jährigen Emma, die wegen Mordes ins Gefängnis kommt, weil sie ihren Vater erschossen hat. Es ist der Mann, der sie jahrelang sexuell missbrauchte.

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Leicht wie Blei

Lena Elfrath: "Leicht wie Blei"
erschienen in der Edition W,
gebunden, 244 Seiten, 20 Euro, 
ISBN 978-3-949671-04-3 

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Diese Emma geht sogar gerne ins Gefängnis, weil sie sich in ihrer Zelle zum ersten Mal sicher fühlt. Den Kontakt zu anderen Frauen meidet sie zuerst. Doch als ihre Vergangenheit im Gefängnis publik wird, wollen die anderen Frauen sie zur feministischen Heldin stilisieren.  

Wer ist Täter, wer Opfer? In welche Rollen werden Frauen - und auch Männer - gepresst? Die in Frankfurt geborene und in Bad Nauheim (Wetterau) aufgewachsene Autorin wirft in ihrem Roman unbequeme Fragen auf. 

hessenschau.de: Ihr Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Wie sind Sie darauf gestoßen?

Lena Elfrath: Im engeren Kreis meiner Familie ist eine Frau aufgetaucht, die eine extreme Geschichte durchlebt hat. Sie wurde von ihrem Vater missbraucht, seitdem sie fünf Jahre alt war. Mit 18 hat sie ihn erschossen. Danach ist sie anderthalb Jahre in den Jugendknast gekommen, weil diese Tat als Mord galt und nicht als Notwehr oder Totschlag. Sie hatte nachgelegt und hat acht Schüsse abgefeuert.  

Ich habe diese Frau interviewt. Sie hat mir diese Erinnerung an die Missbrauchsszenen gegeben und hat mir erzählt, wie es ihr damals ging. An vieles kann sie sich nicht mehr erinnern, zum Beispiel an kein einziges Weihnachten. Sie erinnert sich aber zum Beispiel, dass sie in der Schule aggressiv war und auffiel. Dass sie selber sich für einen Freak hielt und in der Schule eine Außenseiterin war.  

hessenschau.de: Das heißt, Ihr Roman ist nicht komplett dokumentarisch, sondern hat auch fiktive Elemente? 

Lena Elfrath: Ich habe natürlich recherchiert, wie es im Knast abläuft und was da so für Strukturen herrschen. Dazu hat die reale Emma mir nur gesagt, dass es für sie eine sehr friedvolle Zeit war. Endlich, endlich hatte sie da ihre Ruhe. Aber es ist natürlich interessant zu sehen: Vorher war sie in einer Welt, die von Männern regiert wurde und vor allem von den Regeln eines Mannes.  

Und dann ist sie auf einmal in einer Welt, die von Frauen regiert wird. Allein schon diesen Kontrast fand ich spannend. Aber diese Gefängnisebene im Buch ist nicht sehr realistisch, allein schon von der Sprache her. Das habe ich mir komplett selbst überlegt.  

Aber diese Rückblenden, die sind alle so passiert. So hat sie sie mir erzählt. Und die haben ja Einfluss auf das, was dann auch im Knast passiert. Von daher ist es eine Mischung aus Sphärischem, Erzählerischem, manchmal fast Traumhaftem - und dann wieder knallharte Realität. 

hessenschau.de: Sie hatten also für viele Szenen nur Fragmente und haben sich entschieden, die Geschichte in der Jetzt-Zeit stattfinden zu lassen, obwohl der Fall der realen Person hinter Emma rund 40 Jahre zurückliegt. Wie haben Sie es trotzdem geschafft, die Emma im Buch so plastisch darzustellen? 

Lena Elfrath: Zwischendurch habe ich geheult wie ein Schlosshund, weil ich mich so sehr in die Figuren reinversetzt habe. Ich kann mir sehr gut vorstellen, was die Frau gespürt hat, was für Schmerzen sie hatte, die Hilflosigkeit und Scham und auch dieses Gefühl, dass sie schuld sei und dreckig.  

Ich habe selbst auch sexualisierte Gewalt erlebt. Bin unter Druck gesetzt worden von einer anderen Person, von einer Autoritätsperson. Es kam nicht zum Äußersten, trotzdem macht es was mit einem, und man fragt sich: Wie kommt es dazu, dass jemand die Motivation hat, jemanden anderen dazu zu zwingen oder zu manipulieren. Das ist für mich völlig unbegreiflich. 

hessenschau.de: Abgesehen davon, dass Sie die reale Protagonistin kennen: Was hat Sie an dieser Story gereizt? 

Lena Elfrath: Für mich steht die Geschichte von Emma für ein größeres und universelles Gesellschaftsproblem, das mich schon aufregt, seit ich ein Kind bin. Nämlich diese Separierung zwischen den Geschlechtern und diese Vorurteile. Das schafft Lager und treibt uns fast schon dazu, gegeneinander zu gehen.  

Also: Warum gibt es Kindesmissbrauch, wenn Experten sagen, dass nur ein Bruchteil der Täter pädophil ist? Mal abgesehen von der Frage, ob Pädophilie überhaupt angeboren ist. Also, worin liegt der "Reiz" von Kindesmissbrauch? Meine Theorie ist, dass dieser Sex eine Ausübung von Macht ist. Also: Warum muss eine Gesellschaftsgruppe Macht ausüben? 

hessenschau.de: Oft geht Missbrauch, besonders sexueller Missbrauch, ja von Männern aus. Richtet sich diese Kritik also nur an Männer? 

Lena Elfrath: Überhaupt nicht. Ich möchte, dass wir alle unsere Verhaltensweisen hinterfragen. Da kann jeder und jede Einzelne schon damit anfangen, Verantwortung für sein Verhalten und für seine Gedanken zu übernehmen.  

Also nicht mehr alles auf unsere Biologie, auf unser Geschlecht, auf Haarfarbe oder Hautfarbe schieben. Ich möchte, dass wir uns fragen: Will ich wirklich so sein? Will ich wirklich zu einem Geschlecht gehören, vor dem Frauen Angst haben? Will ich wirklich eine Frau sein, die sich abhängig davon macht, wie sie aussieht? Was für eine Art Mensch möchte ich sein? Will ich jemand sein, der Sex hat, um Macht auszuüben?  

Dieses Hinterfragen und die wahren Werte, für die wir leben, für die soll das Buch stehen. Für das Miteinander, auch der Geschlechter. Miteinander zu arbeiten und zu sagen: Meine Güte, eine Frau kann männliche Attribute haben oder sich dafür entscheiden. Das ist doch total normal, ist doch völlig okay. Umgekehrt genauso. Aber solange wir in Genderrollen denken, ist es kein Wunder, dass wir da sind, wo wir sind. Das zu hinterfragen, das ist womöglich meine Mission. 

Die Fragen stellte Yvonne Koch.