Optische Effekte durch 3D-Projektionen an den Mauern der Stiftsruine bei den Bad Hersfelder Festspielen im Theaterstück "Notre Dame"

Altes Gemäuer, neues Gewand: Die Stiftsruine wird zum Start der Bad Hersfelder Festspiele mit technischer Magie verzaubert. Die Uraufführung von "Notre Dame" gelingt – die Themen des Klassikers sind aktueller denn je.

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Bad Hersfelder Festspiele mit Premiere von "Notre Dame" gestartet

Theaterstück "Notre Dame" bei den Bad Hersfelder Festspielen
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Ein Klassiker in neuer Verpackung, ein alt-ehrwürdiger Spielort in neuem Look und ein Festakt, in dem kriegsbedingt neue, ernste und dem Krisenfall geschuldete Töne angeschlagen wurden: Die 71. Bad Hersfelder Festspiele haben am Freitagabend mit dem sehenswerten Eröffnungsstück "Notre Dame" und vielen nachdenklichen Worten begonnen.

Der Festakt vor der Uraufführung stand unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs. Deswegen wurden von den Rednern aus Kultur und Politik auf der Bühne Friedensappelle formuliert. Sie riefen zudem zur Solidarität mit dem von Nachbar Russland überfallenem Land auf.

Intendant Joern Hinkel sagte: "Wir befinden uns gerade auch in einem Weltenumbruch – in einer Zeit, in der alles, was einmal sicher war, plötzlich unsicher ist. Wir befinden uns aber auch in einer Zeit des Aufbruchs, der Hoffnung und des Zusammenstehens."

Große Emotionen in jeglicher Hinsicht

Die aus Kiew stammende Regisseurin Marina Schubarth schilderte eindrücklich, wie Kulturschaffende und andere Menschen aufgrund von Bomben und Panzern in ihrer Heimat um ihr Leben bangen müssen. Die Leiterin des Berliner Dokumentartheaters sagte am Ende unter Tränen, sie wünsche sich Frieden und Freiheit. Sie bekam dafür stehende Ovationen an einem Abend, der mit großer Betroffenheit und emotionaler Schwere begann. Am Ende zeigte das Publikum jedoch große Begeisterung.

Viel Applaus spendeten die knapp 1.300 Gäste in der fast vollbesetzten Stiftsruine für die gelungene und vor allem atmosphärisch dichte und eindringliche Inszenierung von "Notre Dame". Intendant und Regisseur Hinkel zeigte den Klassiker aus der Weltliteratur in einer ansprechenden modernen Fassung. Vor allem die neuen Technik-Highlights überzeugten, die so in der Festspiel-Geschichte noch nie zu sehen waren.

Mapping heißt die Technologie. Und die ermöglichte es, die Mauern der Stifstruine mit immer neuen computeranimierten 3D-Projektionen zu bespielen. Nachdem es dunkel geworden war, kam dieses Stilmittel in der zweiten Hälfte immer wieder wirkungsvoll zum Einsatz. Die für "Notre Dame" charakteristischen Wasserspeier erschienen an den Mauern der Stiftsruine. Farben, Formen und architektonische Strukturen wanderten über die Kulisse.

Visuelle Erlebnisse dank neuer Technik

Bei Feuer-Szenen züngelten die Flammen an der größten romanischen Kirchenruine Europas in Bad Hersfeld empor. Und als Eindringlinge im Stück versuchen, die Kathedrale von Notre Dame in Paris zu stürmen, bekamen die Gäste eine Symbiose aus Ton- und Bild-Effekten zu sehen und spüren: Als mit einem Rammbock gegen das Kirchenportal gestoßen wurde, erschütterte die gesamte Ruine – akustisch und visuell.

Mapping Notre Dame Bad Hersfelder Festspiele

Regisseur Hinkel resümierte dazu: "Ich denke, die Technik hat die Handlung nicht erschlagen, sondern wir haben versucht, sie sachte und als Erweiterung des Bühnenraums einzubringen. Das hat ganz gut funktioniert." Auf solche Innovationen dürfen sich die Zuschauer auch künftig freuen. Denn die Beamer und weiteren Elemente wurden gekauft. Sie können auch für kommende Produktionen verwendet werden.

Esmeralda und Quasimodo mit großem Schauwert

Ihre Hersfeld-Premiere bei dem renommierten Theater-Festival feierten auch zwei Schauspieler in tragenden Rollen: Cathrine Sophie Dumont als Esmeralda und Robert Nikisch als Quasimodo. Dumont bekam für ihre leichtfüssige und ausbalancierte Darstellung der betörenden Tänzerin, die den Männern den Verstand raubt, viel Anerkennung. Dumont sagte, für sie sei die tiefergehende Botschaft des Stücks, dass alle Figuren fehlbar seien: "Es ist auch faszinierend zu sehen, wie alle Figuren scheitern, beim Versuch zu lieben."

Theaterstück "Notre Dame" bei den Bad Hersfelder Festspielen

Noch aufmerksamkeitserregender gerieten die Auftritte von Nikisch als physisch und psychisch eingeschränkten Glöckner von Notre Dame. Sein intensives, körperbetontes Spiel strotzte vor brachialer Kraft und einfühlsamer, fast zerbrechlicher Zärtlichkeit zugleich. "Ich werde oft gefragt für außergewöhnliche Rollen", erklärte Nickisch, der schon in diversen ARD- und ZDF-Krimis mitwirkte.

Robert Nikisch als Quasimodo in "Notre Dame" bei den Bad Hersfelder Festspielen

Anerkennung verdiente sich auch Anouschka Renzi, die mehr Klasse als bei ihren Auftritten im RTL-Dschungelcamp bewies. Sie bekleidete gleich vier Rollen und wurde nur von Allrounder Jürgen Hartmann übertroffen, der gleich in fünf Figuren schlüpfte.

Anouschka Renzi als Falourdel im Theaterstück "Notre Dame" bei den Bad Hersfelder Festspielen

Mehr als eine Liebesgeschichte

Robert Nikisch hingegen durfte sich ganz auf Quasimodo konzentrieren. Er buhlt im Stück um die Gunst der faszinierenden Tänzerin Esmeralda. Doch da sind noch drei andere Männer, die sich in Esmeralda verguckt haben: ein liebenswerter Poet, ein selbstverliebter Hauptmann und ein düsterer, überhaupt nicht liebenswürdiger Erzdiakon - sie alle wollen mit der exotisch erscheinenden Schönheit ins Bett. Das Trio wird von Mathias Schlung, Oliver Urbanski und Richy Müller sehr gut dargestellt. "Es ist aber keine reine Liebesgeschichte", betonte der aus den Stuttgarter "Tatort"-Krimis bekannte Müller.

Theaterstück "Notre Dame" bei den Bad Hersfelder Festspielen

Für Regisseur Hinkel ist das Stück "ein Plädoyer gegen jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit". Und die darin aufgeworfenen Fragen zu Ausgrenzung, Vorurteilen und gesellschaftlicher Stimmungsmache seien heute aktueller denn je. Deswegen lohne es sich auch im Jahr 2022, sich mit dem Bestseller aus dem Jahr 1831 auseinanderzusetzen.

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Programm der Bad Hersfelder Festspiele

Die 71. Bad Hersfelder Festspiele laufen acht Wochen und enden mit einer Abschluss-Gala am 28. August. Auf dem Programm stehen neben "Notre Dame" auch "Der kleine Glöckner" als Familien-Fassung des Stücks. Neu ist auch die Komödie "Volpone" auf der Nebenbühne in Schloss Eichhof. Wiederaufgenommen aus dem Vorjahr werden "Der Club der toten Dichter" sowie das Musical "Goethe!".

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