Collage: Frau mit pinkem Cowboyhut und Bauchladen, umrahmt von zwei Frauen und drei junge Frauen flechten sich gegenseitig Blumenkränze

Nicht nur Hochzeiten, auch Junggesellenabschiede boomen nach Corona. Aber der Besuch im Kneipenviertel mit alberner Verkleidung und einem Bauchladen voll Schnäpsen und Kondomen ist out - zumindest bei jungen Frauen. Viele werden stattdessen lieber kreativ.

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Warum JGAs den Polterabend abgelöst haben - Erklärungen von Kulturwissenschaftlerin Andrea Graf

Mit zwei Besen werden Scherben zusammengekehrt
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"Mein Blumenkranz hat den Junggesellinnenabschied leider nicht überlebt", erzählt Cesarina Schmidt lachend. "Der war am Ende des Tages sehr ramponiert." Dabei war der Junggesellinnenabschied der 28-Jährigen gar nicht so wild und heftig, wie das Klischee es will. 

Auch wenn es den Blumenkranz nicht mehr gibt, existieren zahlreiche Fotos von diesem Tag, die eine fröhliche Mädelsgruppe in gleichen T-Shirts zeigen, beim gemeinsamen Frühstück, beim Kränze basteln oder bei einer Floßtour auf der Lahn mit anschließender Party." Heimelig und kreativ statt peinlich - damit ist Cesarina nicht allein.

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Eheschließungen in 2021 auf Rekordtief

Seit dem Nachkriegsjahr 1946 haben nicht mehr so wenige Menschen in Hessen geheiratet wie in 2021.  Im Vergleich mit den vorpandemischen Jahren 2016-2019 wurden im vergangenen Jahr 12,8 Prozent weniger Ehen geschlossen.  

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Gerade in den Sommermonaten - und nach dem Corona-Tief - boomen Hochzeiten. Für rund 75 Prozent aller Bräute und Bräutigame gehört laut einer Studie des Portals Weddyplaces ein Junggesellenabschied (kurz JGA) dazu. Wie der genau aussieht ist Moden unterworfen.

Vom Polterabend zum “Hangover”-Event 

Junge Frau mit Blumenkranz und Sektglas

Warum wird der JGA überhaupt gefeiert? Junggesellin oder Junggeselle im ursprünglichen Sinne sind die wenigsten. Auch Cesarina lebt schon einige Jahre mit ihrem heutigen Mann zusammen und hat mit ihm ein Kind.  

"Dass die Ehe ein einschneidendes Ereignis ist, bei dem das Paar den elterlichen Haushalt verlässt und erstmalig zusammenlebt, das ist schon lange nicht mehr so", sagt die Kulturwissenschaftlerin Andrea Graf, die zu Junggesellenabschieden forscht.

Früher sei der Übergang von der Junggesellin oder dem Junggesellen zum Ehepaar auch nicht mit getrennten Abschiedsevents wie heute gefeiert worden, sondern viel mehr mit dem Polterabend. 

Keine Lust auf Müll vor der Haustür

Da dieser aber vielerorts in ein ungeniertes Abladen von Müll ausgeartet sei, hätten viele Paare keine Lust mehr auf den Polterabend gehabt, so die Expertin. Stattdessen habe sich seit den 1990er Jahren der aus dem angelsächsischen Raum kommende Junggesellenabschied immer stärker in Deutschland etabliert.  

Zwei Frauen mit Blumenkranz machen ein Selfie von sich.

Befeuert durch amerikanische Filme wie “Hangover“ war der Junggesellenabschied vor allem in den 2010er Jahren ein Event der Grenzüberschreitung und des alkoholischen Exzesses. Bis heute hält sich hartnäckig das Bild der johlenden Gruppe im Kneipenviertel mit einer bedauernswerten Braut oder Bräutigam, die oder der an Peinlichkeit grenzende Aufgaben erledigen muss. 

Voll im Trend: Kreative Workshops 

Diese Art, den Abschied vom Junggesellinnen-Dasein zu feiern, ist vor allem für viele Frauen mittlerweile out. "Es gibt einen riesigen Bedarf an kreativen Workshops, fernab von Bauchladen, rosa Tütüs und Alkohol", bestätigt Lisa Sochiera vom Familienunternehmen "anneschd" in Lorsch. Sie hat sich auf JGAs spezialisiert.  

Wer die Räumlichkeiten in Lorsch betritt, in der die junge Unternehmerin mit ihrem Team kreative Workshops gibt, wird von dem Duft getrockneter Gräser und Blumen empfangen. Diese stehen in üppiger Auswahl in Körben an der Wand aufgereiht. Auf dem Tisch liegen Bastelscheren und bunte Bänder. "Trockenblumen sind gerade voll im Trend - als Flowercrown, also Kopfschmuck, oder in Form von Kränzen zum Aufhängen", erklärt Lisa.  

Junge Frau hält einen Kranz mit Trockenblumen

In diesem Jahr sei bei ihnen die Nachfrage aufgrund der vielen verschobenen Hochzeiten besonders hoch. Bis zu sechs Workshop-Gruppen toben sich hier in der Hochsaison an einem Samstag aus, um sich mit ihren kreativen Basteleien anschließend in dekorativen Foto-Ecken ablichten zu lassen. "Viele Bräute wünschen sich ein kreatives Programm und wollen am Ende des Tages gerne ein Erinnerungsstück mitnehmen. Ich sage immer, sie wollen sich an diesem Tag Marmeladenglas-Momente schaffen", sagt Lisa Sochiera lächelnd.

Feiern im privaten Raum

Auch Andrea Graf vom LVR Institut für Landeskunde in Bonn hat in ihren Forschungen festgestellt, dass der ritualisierte Ablauf eines Junggesellenabschiedes mit Bauchladen und Partyspielen durch die Tendenz zur Individualisierung abgelöst wurde: "Heute erkennt man in manche Gruppen der Öffentlichkeit gar nicht mehr als Junggesellengruppe, oder manche bleiben komplett im privaten Raum." 

Das gilt offenbar vor allem für Frauen: Obwohl "anneschd" auch Gin-Tastings oder Barkeeper-Workshops als Junggesellenabschiede im Angebot hat werden in Lorsch 99 Prozent der Events von Frauengruppen gebucht.  

Einen neuen Lebensabschnitt feiern 

Cesarina Schmidt war mit ihrem JGA ganz ohne Bauchladen und Kneipentour mehr als zufrieden. "Ich wollte einen schönen Tag verbringen, um mit meinen engsten Freundinnen zu zelebrieren, dass ich heirate. Das ist absolut gelungen", sagt die inzwischen frisch getraute Braut.